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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

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Heft 8
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Pauli, Gustav: Justus Brinckmann
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https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0406

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nicht mehr; jede Abteilung hat den alten Rahmen über-
schritten — und doch ist dieser Führer, der freilich als
Wegweiser im anfangs geplanten Sinne nicht mehr
dienen mag, keineswegs veraltet; und wird nicht ver-
alten.

Es entspricht ganz jener Denkweise Brinckmanns,
die ihn zu einer gewissen Geringschätzung rein littera-
rischer Vorzüge führte, dass er auch für die besonderen
Reize einer dekorativ wirksamen Schaustellung nicht
jenes Verständnis besass, das uns bei jüngeren Museums-
leitern seines Faches begegnet. Er meinte zunächst ge-
nug zu thun, wenn er alles wohl geordnet ins rechte
Licht brachte und etwa in den Schränken der kerami-
schen Sammlung geschmackvoll gruppierte Dinge zu-
sammenstellte. Freilich hat er später selber in der Ein-
leitung zu seinem Führer diese Art der Aufstellung
nach technischen Gruppen nur für die Jugendzeit der
Gewerbemuseen gelten lassen wollen, indem er — und
zwar zuerst — die seither üblich gewordene kultur-
geschichtliche Gruppierung von der Zukunft verlangte.
Zur Durchführung dieses Programmes hat er sich in-
dessen nicht entschlossen. Er Hess es bei Ansätzen dazu
bewenden — vielleicht in dem Bewusstsein, für andere
Aufgaben besser gerüstet zu sein. —Ja, die glänzendste
Leistung in jener Kunst der Schaustellung, die Gabriel
Seidl im bayrischen Nationalmuseum vollbracht hatte,
erweckte sogar Brinckmanns entschiedenen Wider-
spruch. Der redliche und ernster Prüfung gewohnte
Sammler empfand etwas wie Indignation in diesen
prächtig geschmückten Räumen, deren Einrichtung die
Grenze zwischen dem echten Sammlungsbestand und
dem modernen Rahmen zu verwischen bemüht war
und ausserdem die Ausdehnung der Sammlungen behin-
derte. Allerdings hatte Brinckmann mit seinen Ein-
wendungen vollkommen recht — nur nicht darin, dass
er die künstlerische Leistung als solche verkannte.
Und doch entbehrte diese nicht eines ganz besonderen
Interesses. Denn sie war eigentlich das Gegengeschenk
des Künstlers an den Museumsmann, der ihm zu freier
Bedienung alle möglichen Herrlichkeiten alter Kunst
vor Augen geführt hatte, um sich nun darüber belehren
zu lassen, wie man dergleichen Dinge im historischen
Gewände zu neuem Leben erwecken könne. Und gleich-
zeitig war diese Einrichtung die letzte und reifste
Frucht einer Kunst, die, an alten Mustern genährt, sich
in dem Bestreben erschöpfte, Vergangenes und Gegen-
wärtiges miteinander zu versöhnen.

Seinen eigentümlichen Charakter erhält das Museum
Brinckmanns schliesslich auch durch die starke Betonung
des einheimischen Kunstfleisses. Seine Hamburgensien-
sammlung, vorzugsweise aus langjährigem Verkehr mit
der Bauernschaft des Landgebietes gewonnen, bildet

die wertvollste Ergänzung des Museums für ham-
burgische Geschichte und berührt sich mit Lichtwarks
Hamburgischer Galerie. Ausser manchen köstlichen
Erwerbungen ist Brinckmann geradezu der Nachweis
vergessener Zweige der heimischen Kunstindustrie ge-
lungen. Im Anschluss an diese mit besonderer Liebe
gepflegte Abteilung entwickelte sich die Inventarisation
der hamburgischen Kunstdenkmäler, die Brinckmann
1898 übernommen hatte. Die Sorge seiner letzten
Tage galt einer Ausstellung, welche die Früchte dieser
Arbeit dem Publikum vor Augen führen sollte. Auch
hier hatte er unbekümmert um sonstigen Brauch die
Aufgabe mit genialischem Blick auf seine Art erfasst
und organisiert. Was sonst als Nebensache behandelt
war, stellte er voran, die bäuerliche Kunst des Land-
gebietes. Diese ehrwürdigen Reste eines älteren Volks-
tums, die alljährlich mehr zusammenschwinden, sind
durch seine Mühe nun wenigstens so weit wie irgend
möglich im Bilde festgehalten worden. Denn bei seiner
Art der Inventarisation war in glücklicher Umkehr des
sonst Üblichen das Bild dem Texte gegenüber bevor-
zugt. Die Ausstellung zeigte in den treuesten Auf-
nahmen manches köstliche Bauernhaus aus den Dörfern
der Vierlande, das inzwischen durch Brand zerstört
worden war. Jedesmal orientierten Photographien über
den Gesamteindruck, während alles weitere durch sorg-
same architektonische Aufnahmen, Detailzeichnungen
und malerisch farbige Ansichten festgelegt war.

In der Geschichte seiner Wissenschaft steht Brinck-
mann als einer der Vorkämpfer des modernen Museums-
wesens, als der würdigste Repräsentant eines von natur-
wissenschaftlichen Anschauungen durchdrungenen und
beherrschten Zeitalters, als der unbestechliche Beob-
achter, der sicherste Kenner und darum auch als der
erfolgreichste Sammler. Dass seine Schöpfung nun
durchaus in seinem Geiste weiter entwickelt werden
müsse, heisst Unmögliches verlangen; denn auch das
Wirken des Tüchtigsten ist zeitlich bedingt. Ganz un-
abhängig von aller Zeitlichkeit wird Brinckmanns Wert
indessen dann, wenn wir ihn in seiner ethischen Bedeu-
tung fassen. Denn er gewährt uns das Bild der höch-
sten, freiwillig und freudig bis zur Selbstverleugnung
geübten Pflichterfüllung. Sein Ehrgeiz war von jeder
Eitelkeit und Selbstsucht vollkommen frei. Was er ver-
mochte und besass, hat er ohne zu schwanken seinem
einen Lebensziel geopfert. Was alles in diesem Opfer
an Behagen und häuslichem Glücke dargebracht worden
ist, das wissen nur seine Nächsten. Auch er hätte es
von sich sagen können: „Was fragt ihr nach meinem
Leid? . . . Trachte ich denn nach Glücke? Ich trachte
nach meinem Werke." Wir sagen es gern, dass eine
solche Gesinnung deutsch sei.

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