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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

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Heft 8
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Berliner Städtische Hochbauverwaltung
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https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0411

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worden. Andrerseits muss es als eine Interesse-
losigkeit des für das Hochbauwesen der Stadt Berlin
verantwortlichen Stadtbaurats bezeichnet werden, wenn
er es widerspruchslos geschehen lässt, dass beim Neu-
bau des Osthafens der architektonische Teil dieser
wichtigen Bauaufgabe einer Architektenfirma über-
tragen wurde, an deren künstlerische Leistungsfähig-
keit man höhere Ansprüche zu stellen nicht gewohnt
ist: hier war zu erwarten, dass der Stadtbaurat ent-
weder selbst eingreifen und seine bewährte Kraft
der Gestaltung dieser dankbaren Bauaufgabe nutz-
bar machen würde, oder dass er, im Falle allzu-
starker Inanspruchnahme, für die Heranziehung eines
auf dem Gebiet des Industriebaues bewährten Archi-
tekten Sorge getragen härte. Durfte man in diesem
Fall die Unterlassungssünde vielleicht noch mit einer
durch zeitweilige Überanstrengung und übermässige
Kraftanspannung hervorgerufenen Unaufmerksamkeit
entschuldigen, so musste man schon einige Monate spä-
ter einsehen, wie ungerechtfertigt eine so wohlwollende
Annahme gewesen wäre: für den Neubau des am Gross-
schiffahrtsweg geplanten Westhafens, eines umfang-
reichenMillionenprojekts, das berufen wäre,denBerliner
Grosshandel in monumentaler Weise zu repräsentieren,
wird, mindestens wieder mit stiller Genehmigung des
Stadtbaurats, eine auf dem Gebiete des Kirchen- und
Bankenbaues als akademisch zuverlässig bewährte Firma
herangezogen, die indessen ihre unzureichende Be-
fähigung für die Aufgaben des modernen Industriebaues
an denFassaden desTietzschen Geschäftshauses am Alex-
anderplatz und am DönhofFsplatz zur Genüge bewiesen
hat und von der eine wahrhaft schöpferische Lösung und
Durcharbeitung dieses grossen Bauvorhabens darum
kaum erwartet werden kann. Symptomatisch aber für die
einseitige Art, mit der die baukünstlerischen Unter-
nehmungen der Stadt Berlin neuerdings behandelt wer-
den, ist der Wettbewerb für die neue Grossmarkthalle
an der Beusselstrasse. Für dieses Riesenprojekt, das
seinesgleichen in der Welt nicht hat, das einen Aufwand
von beinahe vierzig Millionen Mark verursachen wird,
zu dessen Lösung man die gesamte deutsche Archi-
tektenschaft hätte aufrufen und für dessen Bearbei-
tung man sich durch besonders verlockende Preise der
Teilnahme der besten und allerersten Kräfte hätte ver-
sichern müssen, wagt es die Stadt Berlin, einen auf fünf
Berliner Architekten beschränkten Wettbewerb auszu-
schreiben, von denen mindestens drei durch ihre bis-
herigen Leistungen diese ehrenvolle Einladung in keiner
Weise rechtfertigen können, während die beiden übrigen
die Aufforderung des Stadtbauamts wohlauchmehrihrer
umfangreichen praktischen Erfahrung, als besondern
künstlerischen Grossthaten zu verdanken haben. Man
gewinnt den Eindruck, als sei im Berliner Stadtbauamt
für solche neuartigen, spezifisch modernen Bauaufgaben,
wie sie die Speicher- und Lagergebäude eines Hafens
und die Riesenhallen einer grossstädtischen Markthalle

bieten, nicht das rechte Verständnis vorhanden, als wür-
den sie in ihrer künstlerischen Bedeutung stark unter-
schätzt. Gerade diese Aufgaben aber sollten eine will-
kommene Gelegenheit bieten, von dem indifferenten
Allerweltsklassizismus, der unsere Grossstadtarchitektur
beherrscht, loszukommen, neue Wege einzuschlagen und
selbständige, für die neuen Zwecke charakteristische
Ausdrucksformen zu suchen. Für diese Aufgaben gilt
es daher jene Talente heranzuziehen, die mehr durch
schöpferische Kraft als durch feinen Geschmack und aka-
demische Glätte ausgezeichnet sind, in deren Werken
vielleicht noch manche Willkür und Roheit zu finden
ist, in denen unzweifelhaft aber ein starker bildnerischer
Trieb lebendig ist. Vor allem hätte ein Architekt wie
Poelzig, dessen Begabung nach einer Aufgabe in solchen
Riesendimensionen geradezu hungert, hier nicht über-
gangen werden dürfen, auch wenn sein künstlerisches
Wollen der herrschenden akademischen Kunstauffassung
gerade entgegengesetzt ist.

Es bedarf kaum der Erwähnung, dass der eng be-
grenzte Wettbewerb für die Berliner Grossmarkthalle
unter solchen Umständen eine endgültige Lösung, die
der Aufgabe sowohl wie der Bauherrin würdig wäre,
eine Lösung, bei der man sich mit gutem Gewissen be-
ruhigen durfte, nicht hat bringen können. Immerhin hat
das Ergebnis der Ausschreibung eine Überraschung ge-
zeitigt. Die Arbeit Hermann Jansens, die mit der Hälfte
des ersten Preises bedacht wurde (die andere Hälfte
erhielt die durch besondere technische Vorzüge aus-
gezeichnete Arbeit der Bauräte Reimer &c Körte) zeigt
sehr beachtenswerte künstlerische Qualitäten, wie sie
von diesem bisher nur als Stadtbaukünstler bekannten
und längst vortrefflich bewährten Architekten nicht
ohne weiteres zu erwarten war. Jansen hat sich hier
gleichsam selbst übertroffen. Wenngleich dem Entwurf
die entscheidenden neuschöpferischen Werte fehlen, die
bei der Lösung einer so gewaltigen Bauaufgabe zu
wünschen wären — ein Mangel, der auch durch die
Grosszügigkeit der Gesamtanlage nicht ausgeglichen
werden kann —, so verdient die klar durchdachte und
konzentrierte Arbeit, auch wenn bei dem andern
preisgekrönten Projekt infolge der beschränkten Höhen-
entwicklung wirklich ein oder zwei Millionen gespart
werden könnten, um ihrer künstlerischen Vorzüge
willen den Lohn, der in der Übertragung der Bau-
ausführung besteht, den einzigen, der einen Künstler
wahrhaft zu befriedigen vermag. (Und in diesem
Falle um so mehr, als diesem tüchtigen und schaffens-
freudigen Architekten, der jetzt in seinen besten
Jahren steht, damit eine gewisse Entschädigung für
sein Schicksal gewährt würde, das ihm, dem Gewinner
sovieler Konkurrenzen und dem Träger sovieler ersten
Preise, bisher dieses Glück, irgendeinen seiner grossen
Entwürfe auch ausgeführt zu sehen, nicht vergönnt hat.)

Mag man sich also, wie die Dinge nun einmal liegen,
mit dem Ergebnis des Wettbewerbs begnügen und Jan-

ih
 
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