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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

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Heft 9
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Elias, Julius: Liebermann - Corinth
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https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0448

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LOVIS CORINTH, BAUMSTUDIE. IS78

Diese Welt hatte nichts für ihn, was nicht mal-
bar gewesen wäre. Um Stoffliches war er nie be-
sorgt. Sein Heim war sein Atelier, und von Mo-
dellen wimmelte es um ihn. Sein Heim und zu-
gleich eine Art Festung. Ich glaube nicht, dass Co-
rinth irgendein Bild im Freien fertig gemalt hat.
Daher wohl auch der durchlaufende Grundton eines
hohen, starken Blond, der letzten Endes auf Uhde
zurückgeht. Er treibt zunächst also Kunst auf ma-
terialistischer Grundlage; was neben ihm, in nächster
Lebenssphäre, geht und steht, kreucht und fleucht,
atmet und hantiert, kommt ihm gerade recht zum
Malen: Vater, Weib und Kind, Freunde und Freun-
dinnen. Esistihmgewissermassen Ehrensache, mitder
ganzen Bande auf der Leinwand ins Reine zu kom-
men. Und für ihn als Künstler sind sie Lebens- und
Gefühlsfrage, diese Rembrandt-Saskia-Stimmungen,
diese Kinderstubenpoesie und diese Bespiegelungen
der eigenen athletenhaften Daseinsempfindung mit
ihren makabren Hintergründen. Man mag von man-

chen dieser realistisch-phantastischen Porträts
sagen: ein guter Zuschuss Pose ist dabei —
doch es giebt eine Art Pose, die schon wieder
Natur geworden ist.

Corinths Verhältnis zur Natur ist ja doch
nicht rein und unverwickelt. Es ist proble-
matisch wie der ganze Kerl. Der Spiegel
seines Auges kann nicht immer ungetrübt und
ganz treu sein, weil der Spiegel seiner burschi-
kosen, witzigen Seele dem Auge oft sehr be-
nachbart ist und ihm burleske, karikaturistisch
umwertende „Transpositionen" unterschiebt.
Seine Abschriften der Wirklichkeit haben ko-
mische Unterstreichungen. Ich formulierte ein-
mal: Corinth kommt naturalistisch-wuchtig,
romantisch-realistisch, realistisch-idyllisch und
visionär; kurz, er übt alle die Tonarten, für
die das Lexikon heutiger Kunst nur Fremd-
wörter hat. Seine farbig-lineare Ausdrucks-
fähigkeit hat einen lustigen Elan, eine himm-
lische Bravour: er schreibt drastische Trauer-
spiele, fröhliche Blutvergiessen, turbulente
Grabesstimmungen, fesche Volksmeuten, gro-
tesk sich enthüllende Liebesbrünste und Sinnen-
lüste, mit unbesorgt gleitender Rhythmik hin ...
Ebenso geringe Sorge bereiten ihm Religion,
Sage und Geschichte. Ein wahrer Hexensabbat
von Ungelehrsamkeit; aber scherzhafte, genre-
hafte Eingebungen von so unterhaltsamer Dä-
monie, von so hüllenlosem Esprit, von so
dramatischer Bewegtheit, dass man an die kleinen
Wunder der grossen Parodisten, der wahrhaft künst-
lerischen Blageure erinnert wird. Voll derber Teu-
feleien sind seine Passionsbilder — man sehe sich
die Lümmel von Henker auf der „Kreuzigung" an.
In Fanatikern und Heiligen wittert er geheimes
Narrentum. Die „badende Susanne" ist eine geniale
Grimasse. Die Schilderungen aus dem klassischen
Altertum — „Kindheit des Zeus", „Urteil des Paris"
— sind allerbeste Mischung aus OfFenbachs Grazie
und Heines melancholischer Lehre vom Auf- und
Niedergang der himmlischen Dynastien („Götter
im Exil"). Doch wo Corinth religiöse Gegen-
stände (wie auf der „Pieta" oder dem „Weib des
Uria") in absolutem Ernste, mit Zügelung seines
satt-ironischen Temperaments ergreift, da wird er
akademisch, maskenhaft, unglaubwürdig.

Nehmt alles in allem: Corinths Werk ist witziger
Schönheitskultus. Das ist nicht das Grösste, doch
etwas Grosses. Es giebt nicht viele seines Schlages.

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