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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

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Heft 9
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Scheffler, Karl: Die holländische Stadt, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0450

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HAARLEM, GASSE AN DER JANKIRCHE

wird. Es ist im Grundriss ein Produkt der mittel-
alterlichen Bodenaufteilung. Diese schmalen, tiefen
Grundstücke sind charakteristisch für alle nordischen
Städte, vor allem für die Handelsstädte, die am
Meer oder an einem schiffbaren Fluss liegen. In
Gegenden, wo im wesentlichen Landwirtschaft ge-
trieben wurde, schnitt man von vornherein die
Grundstücke reichlicher und nach anderen Grund-
sätzen zu; in den Handelsstädten dagegen, wo sich
die Bewohner möglichst engum den Stadtmittelpunkt
ansiedeln wollten, wo sie alle eine Front nach der
Strasse, nach dem Wasser oder gar nach beidem
zugleich haben wollten, kam man ganz von selbst
bei der Bodenaufteilung dazu, das schmale, tiefe
Grundstück als Einheit anzunehmen. Und das blieb
auch so, als das einstöckige kleine Haus, dessen

Hof ein kleiner Garten war, zu eng
für die Bewohner wurde oder als
das Behagen nach mehr Räumen
verlangte. Man rührte nicht an
die Form der Baustelle, sondern
baute in die Höhe. Und das ge-
schah überall mit einer Konse-
quenz —- bis heute —, dass ganze
Städte wie auf Befehl gleichförmig
gebaut zu sein scheinen. Und doch
ist die holländische Stadt ein durch-
aus demokratisches und freies Ge-
bilde. Zweierlei setzt zugleich in
Erstaunen: zum ersten, wie getreu
die Konvention überall befolgt
worden ist, und zum zweiten, wie
frei und naiv im Einzelnen dann
doch vorgegangen ist. Der Effekt
ist, dass sich das Uniforme und das
willkürlich Malerische in einer
wundervollen Weise durchdringen,
dass man in der willkürlichen Fülle
einen starken,ordnendenRhythmus
spürt und im Rhythmischen unge-
bundene Freiheit. Dieses Festhalten
an der Tradition, trotz aller Ver-
suchungen unserer Zeit davon ab-
zuziehen und während in allen
Ländern die Völker diesen Ver-
suchungen mehr oder weniger
unterliegen, macht das holländische
Stadtbild zu etwas Einzigem; es
bringt den mit nichts zu verglei-
chenden Charakter herein und er-
hebt ihn bis zur Stilkraft.
Das typische Wohnhaus, um darauf zurückzu-
kommen, stellt sich also als ein hohes, schmales
Bauwerk von drei bis vier Stockwerken dar. Es ist
aus Ziegelsteinen erbaut und hat eine sehr dunkle
braun violette, fast schwärzliche Farbe. Die Fenster
(Schiebefenster) sind sehr hoch; sie sollen in dem
trüben Winterklima den tiefen Zimmern möglichst
viel Licht geben. Die Hausthür ist in der Regel
seitlich angeordnet; zu ihr führt eine Treppe mit
einem einfach schönen Eisengeländer an der Mauer
des Hauses hinauf. Bei den stattlicheren Häusern,
wie man sie zum Beispiel in Amsterdam an der
Kaisergracht und Herrengracht findet, ist die Haus-
thür mit Gesimsen aus Haustein oder hell gestri-
chenem Putz umrahmt. Über der Thür wird dieses
Gesimswerk dann oft wie eine Supraporte ausgebildet

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