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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 18.1920

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Heft 2
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Scheffler, Karl: Ein Arbeitsprogramm für den deutschen Werkbund
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https://doi.org/10.11588/diglit.4750#0063

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ein neues, schöneres Deutschland aufzubauen. Eine
Riesenarbeit! Aber nicht eine unmögliche Arbeit,
wenn das deutsche Volk noch jenes Volk ist, von
dem Schiller in seinem Entwurf zu einem Gedicht
zur Jahrhundertswende gesprochen hat. Er entwarf
sein Gedicht zu einer Zeit, als Deutschland ähnlich
am Boden lag wie heute, und es klingen seine
Worte als seien sie für uns und für diesen Augen-
blick gesprochen. Der Glaube, der aus seinen
Worten spricht, wirft ein helles Licht auch auf
unseren dunkeln Weg. Seine Worte mögen darum
das abschliessen, was ich zu sagen habe und ein
Zeugnis bilden für den Geist, von dem das neue
Arbeitsprogramm erfüllt sein muss, wenn es sieg-
reich bleiben soll.

„Darf der Deutsche", so spricht Schiller „in
diesem Augenblick, wo er ruhmlos aus seinem
thränenvollen Krieg geht, wo zwei übermütige
Völker ihren Fuss auf seinen Nacken setzen und
der Sieger sein Geschick bestimmt — darf er sich
fühlen? Darf er sich seines Namens rühmen und
freuen? Darf er sein Haupt erheben und mit Selbst-
gefühl auftreten in der Völker Reihe?

Ja, er darfs! Er geht unglücklich aus dem

Kampf, aber das, was seinen Wert ausmacht, hat
er nicht verloren. Deutsches Reich und deutsche
Nation sind zweierlei Dinge. Die Majestät des
Deutschen ruhte nie auf dem Haupt seiner Fürsten.
Abgesondert von dem Politischen hat der Deutsche
sich einen eigenen Wert gegründet, und wenn auch
das Imperium unterginge, so bliebe die deutsche
Würde unangefochten. Sie ist eine sittliche Grösse,
sie wohnt in der Kultur und im Charakter der
Nation, der von ihren politischen Schicksalen un-
abhängig ist. Der Deutsche ist erwählt von dem
Weltgeist, während des Zweikampfes an dem ewigen
Bau der Menschenbildung zu arbeiten; nicht im
Augenblick zu glänzen und seine Rolle zu spielen,
sondern den grossen Prozess der Zeit zu gewinnen.
Jedes Volk hat seinen Tag in der Geschichte, doch
der Tag des Deutschen ist die Ernte der ganzen
Zeit. Denn dem, der den Geist bildet, beherrscht,
muss zuletzt die Herrschaft werden, wenn anders
die Welt einen Plan, wenn des Menschen Leben
irgendeine Bedeutung hat. Endlich muss die Sitte
und die Vernunft siegen, die rohe Gewalt der Form
erliegen — und das langsamste Volk wird alle die
schnellen flüchtigen einholen."
 
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