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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 18.1920

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Heft 9
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Scheffler, Karl: Die freie Sezession
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https://doi.org/10.11588/diglit.4750#0429

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DIE FREIE SEZESSION

VON

KARL SC HEEFLER

Die Ausstellung dieses Jahres offenbart den Bankerott des
Ausstellungswesens. Ja, sie offenbart vielleicht den
Bankerott unserer Kunst überhaupt. Es ist nicht länger zu
verkennen, daß es mit dem Ausstellungsbetrieb so nicht
weiter geht, und daß es dieser Ausstellungsbetrieb ist, der
die Kunst ruiniert. Die Künstler, die noch an Tradition und
Handwerk glauben, die älteren Sezessionisten scheinen dieses
zu fühlen. Denn sie haben sich in diesem Jahr verstimmt
zurückgehalten. Ihre Bilder füllen einen einzigen Saal. Sie
haben kampflos das Schlachtfeld den Traditionslosen, den
Sensationisten überlassen. Es scheint auch, als wenn die
Vertreter der Tradition in der Jurv achselzuckend ihre Ohn-
macht eingesehen und die unverständlichen Wertungen der
anarchischen (aber ach, so akademischen!) Theoretiker über
sich haben ergehen lassen. Im Gefühl der Aussichtslosig-
keit, einer besinnungslos gewordenen Masse gegenüber. So
kommt es, daß neben dem Saal der alten Mitglieder und
einer in dieser Umgebung sich wunderlich genug ausnehmen-
den Sonderausstellung von Plastiken des fünfzigjährigen
Fritz Klinisch, das ganze Haus den Jüngsten gehört.

Es ist trostlos! Ich bin mehrere Male aufmerksam von
Werk zu Werk durch die Ausstellung gegangen, um eine
Anzahl von Bildern und Skulpturen zur Illustrierung dieser
Besprechung herauszufinden. Zehn Arbeiten habe ich zur
Not gefunden, davon sind aber fünf noch mit einem Frage-
zeichen versehen. So wollen wir es denn dieses Mal lieber
ganz lassen und nur zwei schöne Bildnisse Liebermanns, wie
zum Protest und als Bekenntnis, beigeben. Wer diese Zeit-
schrift kennt, weiß, daß es nicht Blindheit ist. Ich weiß das
Gute in dem assyriologischen Expressionismus derMarc'schen
Tiere zu würdigen, erkenne die feinen illustrativen Elemente
in Campendoncks Phantasien, sehe ein, daß Chagalls selt-
samer Prophet in der unglaublich elenden Umgebung, worin
er hängt, eine gewisse an HenriRousseau erinnernde kindische
Klassik hat, daß Heckel mit seinem Tiiptychon und mit
seinen holzgeschnitzten und bemalten Figuren, die von
weitem flach wie Zeichnungen, wie meisterhafte Schießbuden-
bilder aussehen, hoch über seine Genossen hinausragt, daß
die überschätzte Paula Modersohn eine charaktervolle Persön-
lichkeit ist und daß im Schwarz-weiß-Saal manches Gute
zwischen recht Belanglosem ist. Doch ist das alles so sehr
relativ. Es ist so unwichtig, angesichts des Gesamtniveaus,
angesichts des Bankerotts im Ganzen. Ein solches Urteil
kann und wird natürlich als pietschig von denen abgetan
werden, die an sich und ihre Zeit gewaltsam glauben wollen.

Entspränge mein Urteil doch persönlicher Unzulänglichkeit!
Aber ich weiß leider mit heiliger Gewißheit, daß der Punkt
erreicht ist, wo die allgemeine Armut der Zeit schrecklich
offenbar wird, daß ich nicht ein Zurückgebliebener, ein
Empfindungsloser bin, sondern daß die Zukunft mein Urteil
sachlich rechtfertigen wird.

Die Kunst stirbt am Ausstellungswesen; an ihrer Öffent-
lichkeit stirbt sie. Früher wurde für das Haus, schlimmsten-
falls für's Museum gemalt; jetzt wird nur noch für die Aus-
stellung gemalt. Wie einst in den Glaspalästen süßer Kitsch
fabriziert wurde, um dem Publikum zu schmeicheln, so wird
jetzt revolutionärer Kitsch gemacht, um das Publikum in
Verwunderung zu setzen. Wirkung ist alles, jedes Bildchen
will das Sensationelle. Es begann vor Jahrzehnten schon
mit dem Ausstellungsschlager, mit dem für die Ausstellung
aus besonderer Wirkungsabsicht gemaltem Bild großen
Formats. Der„Clou" hat das Ausstellungswesen demoralisiert.
Er hat die Virtuosität, die Routine, die Geniegebärde, die
Sensation betont und das gute Handwerk in den Hinter-
grund gedrängt. Leibi hat nie einen „Schlager" gemalt.
Und es soll laut, jetzt beim Ausgang, gerühmt werden, daß
Liebermann mit seiner stillen Bilderwand in den Sezessions-
ausstellungen, die Würde der Kunst in unvergleichlicher
Weise gewahrt hat, während ringsumher die Künstler den
Verführungen der Öffentlichkeit erlagen. Immerhin war
früher der Ausstellungsschlager noch die Ausnahme. Heute
aber soll jedes Werk der Malerei oder Plastik ein Schlager
sein. Im kleinsten Werk ist diese unanständig sich vor-
drängende Gesinnung; jedes einzelne ruft dem Betrachter
gellend und frech zu: steh still, und staune meine Kühnheit
anl Und diese Gesinnung ruiniert das Handwerk der Kunst.
Nicht an Talentarmut geht die Kunst zugrunde, Charakter-
schwäche wird ihr zum Verhängnis. Keiner ist der Zeit und
dem Schicksal mehr gewachsen, keiner wird ein ganzer
Kerl trotz des Milieus, alle erscheinen wie Marionetten einer
in Unordnung geratenen Zeit. Chronos frißt wieder ein-
mal seine eigenen Kinder.

Es sind die alten Räume! Wieviele Entzückungen haben
wir darin erlebt, für wie viele neue Erkenntnisse und große
Augenblicke haben wir dankbar zu sein! Jetzt gehen wir
durch sie dahin, wie durch ein Haus, darin die Eltern ge-
storben sind und das die Erben rücksichtslos umgestalten.
Wir gehen hindurch, wie durch die Straßen Berlins, bei
jedem Schritt empfindend: es fehlt ein Herr!

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