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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 18.1920

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Heft 5
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Friedländer, Max J.: Slevogts Zauberflöte
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https://doi.org/10.11588/diglit.4750#0207

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SLEVOGTS ZAUBERFLÖTE

VON

MAX J. FRIEDLÄNDER

\ ls Slevogts neues Werk, die Randzeichnungen
Xx. zu Mozarts Zauberflöte, neulich in den Probe-
drucken der 47 Radierungen bei Paul Cassirer zu
sehen war, rief es jenes harmlose Wohlgefallen her-
vor, das unter allen Arten der Kunstfreude die
seltenste geworden ist. Der heitere und leichte
Ton hob sich ab von dem grimmigen Ernst, mit
dem die gegenwärtige Generation den Geist der
Zeit auszudrücken sich verpflichtet fühlt. Diese un-
zufriedene und nervöse Zeit affichiert sich allent-
halben mit Schrecklichkeiten und Grimassen. Auf
Schritt und Tritt begegnet uns aufdringliche
Wichtigtuerei, angemaßtes Priestertum und ein
gespanntes Geniewesen, das uns mit Unerhörtem
zu überwältigen beflissen ist. Nach dem Gesetz
der Reaktion schlägt der Pendel des Geschmacks
zurück. Von Wagner zu Mozart. Ungewollte
Originalität, spielende Kraft berührt uns wie ein
Labsal nach langem Dürsten.

Slevogt hat sich die ungewöhnliche Aufgabe
gestellt, eine Oper zu illustrieren. Oder jemand
anders, der ihn gut kannte, hat sie ihm gestellt.
Ein geschickter, gebildeter und geistreicher Zeichner
hätte in diesem Falle zwei Möglichkeiten vor sich
gesehen, von denen er nach einigem Nachdenken
die eine gewählt oder die er kunstvoll zu kombi-
nieren unternommen hätte. Er wäre als Bühnen-
kenner oder als Antiquar vorgegangen. Das tradi-
tionelle Bühnenbild, das draußen gesehene, hätte
er ausgestaltet, verfeinert und reformiert. Oder die
Erwägung, Mozart—: das wäre deutscher Rokoko,
hätte ihn verlockt, die Porzellanwelt von Meißen
und Nymphenburg, also wieder draußen Erblicktes,
zu beschwören. Slevogt, der mehr ist als ein
geschickter, gebildeter und geistreicher Zeichner, hat
eine Welt geschaffen, die ganz und gar nichts zu
tun hat mit den geprägten Formen der Theater-
überlieferung und ebensowenig mit denen eines
vergangenen Zeitalters.

In ihren Vorzügen und Schwächen ist die
Zauberflöte eine Oper, nämlich ein Spezimen jener

Kunstgattung, die, um die Sprache des Tages zu
reden, das Entzücken einer üppigen und kapitalis-
tischen Gesellschaft ausmacht. Über das Textbuch
hat man sich weidlich entrüstet, weil es mit
hohen und tiefen Symbolen frivol Ball spiele, und be-
klagt, daß Mozarts Musik zur Zwangsehe mit der
wirren Erzählung verurteilt wäre. Nicht ganz mit
Recht. Hätte Mozart besser getan, Nathan den
Weisen zu komponieren? - Die leichtherzige
Mischung von Zauberkomödie und aufklärerischer
Humanitätslehre ist trotz — oder wegen — ihrer
Unvernünftigkeit ein federndes Sprungbrett für den
Komponisten und — wie sichs jetzt zeigt — für den
Zeichner. Weder Mozart noch Slevogt hätten
einen Vorteil davon gehabt, wenn der Textverfasser
logischer gewesen wäre. Gerade die Unklarheit
der Fabel, die schillernde Unbestimmtheit der
Charaktere, die Wagheit der zeitlichen und ört-
lichen Umstände gibt der tönenden wie der bilden-
den Phantasie Spielraum, Schwungkraft und Be-
wegungsfreiheit.

Albern ist das Buch der Zauberflötc, aber zu-
gleich, in opernhaft unverantwortlicher Art, tier-
sinnig. Wäre das Werk klar, so läge seine Flach-
heit peinlich am Tage, so aber, überströmt von
Melodien, scheint es an das Tiefste zu rühren.
Wertvolle Gedanken schenkt uns diese Oper frei-
lich nicht, versetzt uns aber in einen leichten Rausch,
in dem wir Hohes ahnen, und leitet dorthin, wo
die letzte Weisheit mit der letzten Narrheit sich
versteht. Indem der Ernst des Lebens fragwürdig
wird, erscheint die Posse doppeldeutig und gleich-
nishaft.

Den Ton der Oper und den Ton dieser Oper
hat Slevogt, in vollkommener Harmonie von Wollen
und Vollbringen, ausgedrückt, nicht geflissentlich
und mit Überlegung, sondern aus dem Instinkt
seiner musikalischen und bildnerischen Begabung.

Ist es Sache der Bühnenaufführung, die Musik
sichtbar zu machen, so ist Mozarts Zauberflöte im
Oktober 1919 zum erstenmal aufgeführt worden,

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