ABBILDUNG I UND 2. FALISKISCHE VORRATSGEFÄSSE. WEISSE DECKFARBE AUF ROTEM THON
ZWECKFORM, WERKFORM, KUNSTFORM
EINE STUDIE ZUR ANTIKEN KERAMIK
VON
HEINRICH BULLE
I
Die Maschine ist im neunzehnten Jahrhundert
die grosse Verwüsterin des Formgefühls ge-
wesen,wiesie die Mörderin des Individuums ist. Alle
Zukunft wird davon abhängen, ob und wie bald
die Zerstörung der Persönlichkeit durch das Fabrik-
wesen sozial und psychologisch wird überwunden
werden können durch Wurzelhaftmachung des
Arbeiters auf einer Scholle und Dezentralisierung
der Grossstädte. Für die Kunst aber wird es darauf
ankommen, einerseits ob Maschinenarbeit künstle-
risch veredelbar ist — da sie nun einmal un-
entbehrlich bleibt —, mehr noch ob neben ihr eine
Einheit von Kunst und Handwerk wiedererstehen
kann, wie sie bis zum Ende der Biedermeierzeit das
Selbstverständliche war. Denn in jeder früheren
Epoche war das gesamte Formschaffen eine stili-
stische Einheit. Da giebt es vom Grossbauwerk
bis zum geringsten Gerätschmuck nur Qualitäts-
unterschiede, keine solche des Formempfindens;
man kann die Stilanalyse einer Epoche ebensogut
beim Tischgeschirr wie bei Tempel und Kirche an-
fangen. Erst mit der Maschine ist die individuelle
Empfindung beim Gestaltungsprozess ausgelöscht,
und dadurch wurde rückwirkend das Gefühl für
Form überhaupt so gelähmt, dass man überall nur
„Muster" kannte. Auf dem tiefstenPunkte haben wir
sogar theoretisch den Tod aller Kunst angekündigt
bekommen. Aber seit 1900 etwa hat die Gegen-
arbeit gegen die Erstarrung durch die Medusa
Maschine begonnen, zunächst von oben her, da es
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ZWECKFORM, WERKFORM, KUNSTFORM
EINE STUDIE ZUR ANTIKEN KERAMIK
VON
HEINRICH BULLE
I
Die Maschine ist im neunzehnten Jahrhundert
die grosse Verwüsterin des Formgefühls ge-
wesen,wiesie die Mörderin des Individuums ist. Alle
Zukunft wird davon abhängen, ob und wie bald
die Zerstörung der Persönlichkeit durch das Fabrik-
wesen sozial und psychologisch wird überwunden
werden können durch Wurzelhaftmachung des
Arbeiters auf einer Scholle und Dezentralisierung
der Grossstädte. Für die Kunst aber wird es darauf
ankommen, einerseits ob Maschinenarbeit künstle-
risch veredelbar ist — da sie nun einmal un-
entbehrlich bleibt —, mehr noch ob neben ihr eine
Einheit von Kunst und Handwerk wiedererstehen
kann, wie sie bis zum Ende der Biedermeierzeit das
Selbstverständliche war. Denn in jeder früheren
Epoche war das gesamte Formschaffen eine stili-
stische Einheit. Da giebt es vom Grossbauwerk
bis zum geringsten Gerätschmuck nur Qualitäts-
unterschiede, keine solche des Formempfindens;
man kann die Stilanalyse einer Epoche ebensogut
beim Tischgeschirr wie bei Tempel und Kirche an-
fangen. Erst mit der Maschine ist die individuelle
Empfindung beim Gestaltungsprozess ausgelöscht,
und dadurch wurde rückwirkend das Gefühl für
Form überhaupt so gelähmt, dass man überall nur
„Muster" kannte. Auf dem tiefstenPunkte haben wir
sogar theoretisch den Tod aller Kunst angekündigt
bekommen. Aber seit 1900 etwa hat die Gegen-
arbeit gegen die Erstarrung durch die Medusa
Maschine begonnen, zunächst von oben her, da es
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