Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe (18.1920)

DIE NATUR

VON

ROBERT WALSER

Geh nur zu ihr, sie wird dich willkommen
heißen. Ihr sind alle lieb, die sich an sie
schmiegen, auch du wirst sie liebgewinnen. Ver-
lieren wirst du bei ihr nichts, sie hat noch nie
jemand beschädigt. Ihre Sprache wirst du bald
gelernt haben, ebenso ihr Wesen, das dich von
einem guten Zustand in den andern führt, das
keinem fremd bleibt, der es liebt. Du wirst dich
bei ihr weder langweilen, noch zerstreuen; sie wird
dich so kräftig machen, daß du weder das eine
fürchten noch das andere begehren wirst. Raum
und Zeit sind schon an sich ein Genuß, und
die reine Luft schlürft sich wie ein angenehmes
Getränk. Erst sie lehrt dich lieben, daß du in der
Welt wie in einem schönen Hause bist und dich
von Stunde zu Stunde annehmen kannst, wie du
bist und alles andere ebenfalls. Du wirst in kurzer
Zeit zu deuteln und nörgeln völlig verlernen; alles
ist dir klar; du brauchst nur jeden Tag schlicht
vorhanden sein zu wollen. Das sind Dinge, die

sie dir sagt, ohne ein Wort zu reden. Ihr Blick,
ihre Gestalt werden es dir eindringlich und einfach
genug erklären. Du wirst nichts mißverstehen
können, und ihr ist es nicht gegeben, dich irre-
zuleiten. Ihr Einfluß ist nie ein anderer als ein
guter. Herrschen will sie nicht, dient aber auch
nicht ohne weiteres; sie wartet, daß sich jemand
mit ihr beschäftige. Sie ist groß und bewegt sich
auf unberechenbare Art; darum darfst du bei ihr
nicht jeden Moment im klaren sein wollen, was
ja auch nichts als eine Ängstlichkeit ist, die der
Überzivilisation anhaftet. Sie wird dich das Ver-
gessen lehren, und du wirst dir einprägen, wie
schön es ist, dich über vieles Gedankliche hinweg-
zusetzen, womit nur neue und schönere Gedanken
Raum bekommen, das Bisherige versperrt dem
Kommenden den Weg. Du wirst bei ihr den Mut
haben, alles wegzugeben, um alles nur wieder zu
erlangen. Eine göttliche Deutlichkeit wird über
dich kommen, und du wirst viel Kraft brauchen,

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