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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 18.1920

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Heft 5
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Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4750#0254

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CHRONIK

TAie Absicht des Eisenbahnfiskus, das vor der Front des
Potsdamer Bahnhofs gelegene Reststück eines alten
Friedhofs aufzulassen und baulich auszunutzen, hat, als sie be-
kannt wurde, bereits vor dem Kriege in der Berliner Archi-
tektenschaft die Forderung entstehen lassen, die Aufgabe
zum Gegenstand eines öffentlichen Wettbewerbs zu machen.
Der Fiskus hat dieser berechtigten Forderung stattgegeben,
und der Wettbewerb ist, nachdem er einmal bereits zurück-
gezogenwar, nach dem Kriege erneut ausgeschrieben worden.
Obwohl die Beteiligung sehr rege war, hat der Wettbewerb
keinen Entwurf gezeitigt, der als überzeugende Lösung gelten
kann (wodurch das Preisgericht in die Verlegenheit gesetzt
wurde, statt eines ersten zwei zweite Preise zu verteilen).
Möglich, daß die Aufgabe überhaupt unlösbar ist. Der Platz vor
dem Potsdamer Bahnhof, wie er heute ist, bildet einen toten
Winkel, eine stille Bucht abseits eines breiten Verkehrsstroms.
Als Vorplatz für die (künstlerisch gute) Bahnhofsfront ist
er architektonisch ohne Bedeutung. Als Erweiterung des
beengten Potsdamer Platzes spielt er keine Rolle.. Räum-
lich aber würde er dem Potsdamer Platz, wenn bei diesem
Zufallsgebilde überhaupt von einer architektonischen Ge-
staltung die Rede sein könnte, die gefährlichste Konkurrenz
machen, weil er das kubische Gleichgewicht des Sternplatzes
in empfindlichster Weise stören müßte. Schinkel hat das
Problem, das hier zu lösen ist, angedeutet, als er die Mün-
dung der Leipziger Straße durch Errichtung zweier symme-
trischer Torhäuschen betonte und auf diese Weise eine
klare Trennung der beiden Platzräume, des Achtecks (Leip-
ziger Platz) und des Strahlenplatzes vor dem Tor (Pots-
damer Platz) wirksam durchführte. Eine ähnliche Lösung
versuchen auch die Wettbewerbsentwürfe, die das Preis-
gericht einer Auszeichnung für würdig hielt (Verfasser
A. von Werner, Prof. Brix und Fader). Sie schlagen die
Errichtung zweier kleiner, als Kaffeehäuser gedachter Ge-
bäude zu beiden Seiten des Vorplatzes vor, in einfachsten,
der Bahnhofsarchitektur untergeordneten Formen und so
niedrig gehalten, daß die Hauptfront möglichst frei bleibt.
Das ist mehr eine praktische als eine künstlerische Lösung
des Problems, ein brauchbarer Vorschlag, die gegebene Fläche
zweckmäßig baulich auszunutzen. Neben den aufwändigen
Turm- und Denkmalbauten, die die verstiegene Phantasie
einiger Bewerber für diesen Zweck ausgedacht hat, wirken
diese Vorschläge doppelt wohltuend durch ihre Bescheiden-
heit und Einfachheit. Und in ihrer bewußten Beschränkung
auf das gegenwärtig Mögliche, in ihrer vorsorglichen Be-
dachtnahme auf die Ausführbarkeit erscheinen sie beinahe
wie überzeugende Lösungen. W. C. B.

•*

Das Staedel-Museum in Frankfurt am Main besaß einst-
mals eine Reihe von Gemälden von Hans Holbein d. Ä.,
prachtvolle Bilder. Heute hängen sie im Historischen
Museum der Stadt Frankfurt. Man hat sie früher einmal
abgestoßen und einen Teniers dafür genommen, abgestoßen
als „Gotik" oder „Mittelalter". Teniers galt als ein Meister,
Hans Holbein war gut genug für das Historische. Wo die
Bilder heute hängen, sieht sie nur der Fachmann oder der

Blinde; und der Fachmann, wenn er nicht Spezialist ist,
vergißt sie ganz.

Wir dünken uns heute erhaben über unsre Väter, die
um eines Teniers willen, wenn auch eines sehr guten
Teniers, eine Reihe Holbeins aus der Galerie abgaben.
Wir werden uns diese Erhabenheiten abgewöhnen: Ähn-
liches, viel Schlimmeres steht vor der Tür. In Köln will
man die Bilder der Altkölner aus dem Wallraff-Richartz-
Museum entfernen I Meister Wilhelm und Stefan Lochner,
der Meister der Sippe und der Georgslegende, der Meister
von Sankt Severin und der Ursulalegende; und der Meister
des Marienlebens; und der Meister des Bartholomäus-
Altars — alles das und noch mehr soll heraus aus der
Galerie. Man will dort ein Museum mittelalterlicher Kunst-
altertümer machen, Bilder und Plastik und Kölner Krüge
und Kölner Scheiben, kurz die ganzen Herrlichkeiten des
alten Köln will man vereinigen an einer historischen Weihe-
stätte. Karl Schaefer, der in Lübeck das Annenkloster
zu einem vorbildlichen Museum mittelalterlich lübischer
Kunst gestaltete, soll diesen seinen Plan in Köln ausführen.

Man muß protestieren. Zwar: keiner ist für diese Auf-
gabe so geeignet, wie Karl Schaefer. Aber dennoch: man
muß protestieren. Was in Lübeck fruchtbar war, wird in
Köln tötlich. In Lübeck handelte es sich bei den Bildern
um die durchschnittlichen „gotischen" Tafeln, gute Dinge,
aber doch nicht so, daß von ihnen Offenbarungen ausgingen.
In Köln aber handelt es sich um Meisterwerke, nur das
Höchste, was wir aus dem fünfzehnten Jahrhundert auf dem
Gebiete der Malerei überhaupt besitzen. Eine geschlossene
Malerschule und zwar die zeitweis führende, in ihren besten
Vertretern. Bilder, die durch das Schöpferische und die
Schönheit längst alles Historische und zeitlich Bedingte ab-
gestreift hatten, die längst einmalig und ewig geworden waren.

Solche ästhetische Werte darf man nicht in einen anderen,
wenn auch noch so taktvoll und künstlerisch abgestimmten
Zusammenhang bringen. Dergleichen Kunstwerke wollen
isoliert, nicht mit Statuen und Stollenschränken und Glas-
scheiben und Krügen auf eine Linie gebracht werden.
Sicher war der Mann, der eine bunte Glasscheibe höchsten
Ranges entwarf, auch ein großer Künstler. Und sicher
dachte der Bartholomäus-Meister beim Malen an eine
ganz bestimmte Art der Aufstellung für seinen Schrein. Aber
uns bedeuten die Dinge etwas andres und dieses andre
kommt nicht zur Geltung, dieses jenseits aller Dekoration
noch Geistige bleibt stumm, wenn das Licht, das den Schrein
beleuchtet, vorher (theoretisch gesprochen) durch eine bunte
Scheibe geströmt ist, und wenn ich gezwungen werde, in
derselben Minute den Crucifixus des Meisters des Marien-
lebens und den schönsten Stollenschrank zu bewundern.

Was an tausend Stellen, nicht nur im germanischen
Museum, recht ist, darf nicht auf die fünf Dutzend von
altdeutschen Meisterwerken ersten Ranges angewendet
werden, die wir besitzen. Die Museen, in denen man alt-
deutsche Malerei genießen kann, sind ohnehin gezählt. Das
Wallraff-Richartz Museum war das großartigste. Man lasse
es in Frieden. Emil Waldmann.

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