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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 18.1920

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Heft 2
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Glaser, Curt: Die neue Grafik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4750#0065

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ERICH HECKEL, BADENDE. RADIERUNG

von einer vorgefassten Meinung, die der Stilbegriff
enthält, seinen Ausgang zu nehmen, anstatt von
den Erscheinungen der Kunst selbst.

So reichhaltig die Literatur über die jüngste
Kunst ist, so wenig ergiebig erweist sie sich bei
näherer Prüfung. Sie ist erfüllt von theoretischen
Erörterungen über das Wesen des Expressionismus,
die mehr Analysen eines Begriffes sind und Ver-
suche ihrer rückschreitenden Anwendung auf die
thatsächlichen Erscheinungen als ernstliche Aus-
einandersetzungen mit diesen selbst. Man liest viel
von „expressivem Kunstwollcn", aber man begegnet
kaum den Ansätzen einer eigentlichen Stilbestim-
mung, die doch einmal in Angriff genommen werden
sollte, da es sich nicht mehr darum handelt, eine neue
Kunst im Kampfe gegen widerstrebende Mächte
durchzusetzen, vielmehr in sachlicher Stellungnahme
ihre formengeschichtlicheBedeutungzuerkennen und
das Wesentliche vom Unwesentlichen zu scheiden.

So kann das Verständnis für die verschieden-
artigen Ausdrucksformen der graphischen Kunst
in unserer Zeit nicht durch allgemeine Redewen-
dungen über den „expressiven Gehalt" gefördert

werden, sondern nur durch die Einsicht in die
grundsätzlich veränderte Stellung der Zeichnung
zum Bilde, die aus der neuen Stilform der Malerei
mit zwingender Notwendigkeit sich ergiebt.

Unsere Generation war in einer Anschauung
von der Zeichnung gross geworden, die sich
von der früherer Zeiten wesentlich unterschied.
Der Impressionismus, oder vielmehr — da auch
dieses Wort eine viel zu eng gefasste Gruppe mo-
derner Künstler umfasst, — jede extrem malerisch
orientierte Kunst trägt in sich die Tendenz, das
Handschriftliche zum Massstab der Qualität zu
erheben und die Grenzen zwischen Skizze und Bild
verschwinden zu lassen. Damit gewinnt die Zeich-
nung eine ganz neue Bedeutung. Sie ist nicht mehr
nur Arbeitsmaterial des Künstlers, vielmehr eine
andere, aber gleichberechtigte Form bildnerischer
Gestaltung. Zugleich verzichtet die Radierung, die
ehemals bemüht war, ein in allen Teilen gleich-
mässig abgerundetes Bild in Schwarz-Weiss zu geben,
auf den ihr erreichbaren Grad plastischer Durch-
bildung und zieht sich zurück auf die Reize skizzen-
hafter Andeutung.

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