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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 18.1920

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Heft 4
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Hartlaub, Gustav Friedrich: Die nordische Malerei in der Galerie zu Gotenburg
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Stockholm, er erregte die Aufmerksamkeit der
Besten, eines Pilo und des hervorragenden Bild-
hauers Sergel, vertiefte sich in die dortigen Kunst-
eindrücke, vor allem in den unbeschreiblichen
Claudius Civilis von Rembrandt. In die Heimat
zurückgekehrt, eröffnete er sodann eine umfang-
reiche Altarbilder-Produktion für schwedische Land-
kirchen. In den Pausen solcher großen Arbeiten
entstanden Gemälde wie die Familiengruppe der
Gotenburger Galerie. Das auf Bolusgrund gemalte
Bild ist in einem rembrandthaften braundunklen
Gesamtton gehalten, aus dem ein geisterhaftes, vom
Fenster herkommendes Licht einzelne bernsteingelbe,
metallisch blaue und grüne, etwas changierende
Töne hervorglühen läßt. Der Gegenstand des Bil-
des ist genrehaft wie etwa bei Chardin. Aus der
Darstellung der Personen und ihrer Verteilung im
Raum spricht aber ein gewisser dumpfer Ernst,
ein verhaltenes fast unheimliches Pathos, als laste
ein Bann auf ihnen; den modernen Beschauer
dünkt es fast, als habe das Familienbeisammensein
eine (vom Künstler gewiß nicht bewußt beabsich-
tigte) Strindbergsche Stimmung bekommen. Ist es
der geheime, nur allzu oft von Internationalismus
und Virtuosentum verdrängte Dämon der Rasse,
welcher hier aufglimmt?

Mit Per Hörberg und dem tiefen Einblick, wel-
chen er uns in noch verborgene Möglichkeiten
schwedischer Kunst zu eröffnen scheint, schliessen
wir unsere Wanderung durch die schwedische Ma-
lerei der Gotenburger Sammlung. Aber unser Be-
richt kann damit noch nicht abgeschlossen sein.
Der schöne Ehrgeiz Dr. Romdahls, welcher in der
Person eines vorbildlichen Kunstfreundes, des Herrn
Lundquist, wirksamste Unterstützung findet, will
aus der Sammlung seiner Vaterstadt ein Zentral-
museum skandinavischer Kunst machen und dieser
Entwurf ist schon ziemlich weit fortgeschritten.
Die dänische Malerei, deren intime Eigenart vor
kurzem an dieser Stelle besprochen worden ist,
ist mit Hammershöj, Willumsen, Kroyer, einer
schönen blonden schwarz und gold gehaltenen
Mädchengruppe von Paulsen, einem nicht sehr
überzeugenden monumental stilisierten Frauen-
bildnis von Nilsson ansprechend vertreten. Inter-
essanter noch istNorwegen repräsentiert. Von älteren
Arbeiten stellt das ausgezeichnet gemalte, meister-
haft durchgebildete Doppelbildnis des Gussow-
schülers Christian Krogh (1876) eine in ihrer Art

klassische Leistung dar, die sich neben den aller-
besten Hervorbringungen unserer zeitgenössischen
deutschen Meister hält. Von den Modernen fesselt
außer Sörensen, der vor allem für die Gotenburger
Künstlerschaft anregend gewirkt hat, hauptsächlich
Edvard Münch. Er ist mit einem großen Herren-
bildnis, gleichsam einer kolossalen, gewaltig ange-
legten Pinsel-Studie, und mit einem „Vampyr" be-
zeichneten kleineren Bilde der bekannten luziferisch-
psychologischen Art gut, aber längst noch nicht
ausreichend vertreten.

Noch mehr fast, als der Leiter einer deutschen,
ist gewiß der Direktor einer schwedischen Galerie ver-
pflichtet, durch Aufzeigen der großen Richtlinien
europäischer Kunst den Rahmen zu schaffen, inner-
halb dessen die heimische Kunst erst entwicklungs-
mäßig verstanden werden kann. Es kommt dabei
vor allem Frankreich, nächst ihm gewiß auch
Deutschland in Betracht, dessen künstlerischen Zu-
sammenhang mit Schweden um die Jahrhundert-
mitte wir vermerkt haben. Der französische Im-
pressionismus ist denn auch mit einem stattlichen
Aufgebot vertreten. Keine geringeren als van Gogh,
Renoir, Bonnard, Cezanne, Gauguin, ja sogar die
neuesten wie Picasso und Matisse vermerkt der
Katalog. Freilich versprechen diese Namen wohl
etwas mehr, als die Sammlung mit ihren nicht in
jedem Fall sehr charakteristischen Stücken tatsäch-
lich hält'. Die deutsche (auch die schweizerische)
Kunst fehlt in der Gotenburger Galerie völlig.
Nur der einzige Arnold Böcklin ist in die Samm-
lung Fürstenberg mit einer prachtvollen Replik
seiner frühen „Landschaft mit Faun und Nymphe"
gleichsam verschlagen. Von unseren Großmeistern
der Wirklichkeitsmalerei wie Leibi, Trübner, Uhde,
Liebermann, Slevogt, auch von Künstlern wie Thoma,
Kalckreuth und vielen anderen, die im schwedischen
Herzen ganz gewiß verwandte Saiten anklingen
lassen würden, ist in unserem Museum keine Spur
zu finden. Es mag sein, daß gerade die genannten
deutschen Künstler des letzten Jahrhundertdrittels
auf die schwedische Kunst nicht mehr unmittel-
bar befruchtend gewirkt haben. Aber soll wirklich
ein solcher pedantisch-historischer Gesichtspunkt
ausschlaggebend sein, wo gerade zwischen der
schwedischen und deutschen Malerei der siebenziger
bis neunziger Jahre eine oft auffallende Wahlver-
wandtschaft herrscht und immer jedenfalls die
mannigfaltigsten und anregendsten Vergleichspunkte
 
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