Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 18.1920

DOI Heft:
Heft 6
DOI Artikel:
Chronik
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4750#0300

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Bewohner mehr oder weniger nach den physiognomischen
Bedingungen der Landschaft ausgewählt wurde aus dem
Material, das an einmal modern gewesenen Kleidern vom
Hofe und weiter herunter in die Landschaft kam. — Die
Trachten entstanden aus der Wahl, kaum aus der Initiative
der Bewohner. — Die Physiognomie des ursprünglichen
Hauses, „wie es noch heute in Holland und vielen andern
Gegenden Tradition ist", wird und wurde natürlich zunächst
einmal in seiner — wenn geschmackvollen — Form be-
dingt als geschmacklich geordneter Zweckbau, dem Klima,
der Witterung und dem Bedürfnis angepaßt. Dann bestimmt
auf dem bald schon ästhetischen Wege das ursprünglich ein-
heimische oder nicht ferne Material, worauf man angewiesen
ist, von vornherein die bauliche Physiognomie in verbind-
licher Weise zu einer der Landschaft und dem Menschen
passenden Farbe und angebrachten Form. Die dem Menschen
und seiner Landschaft innewohnende Manifestationslust be-
dingt die Art des Umgangs mit der Luft und dem gewachsenen
Hintergrund; so, ob man kräftig sprechen läßt oder still. Eine
entsprechende Auswahl, auch an herangebrachten Formen
und Farben wird eingeleitet und allmählich traditionell, und
so kommt es, daß so ein ursprüngliches Haus oder danach
gemachtes, nicht nur der Landschaft gut steht, sondern ein-
fach „sitzt". Ja, es kommt vor, daß ein eingeborenes Haus
die Landschaft „hat", sie hat, wie meinetwegen der Schrei
der,. Möve das Land am Meer „hat" und in sich hat, und
sie in Verbindung mit Wasser das Meer, und Sand mit einer
Möve drüber ohne weiteres eine Düne ist.

Das kann am Niederrhein oder im Holländischen, um
noch einmal auf Taut's Holland zurückzukommen, ein
farbiges Haus sein und wird es sein und ist es auch. Da,
wo man über Boden geht mit fetteren Farben, wo das Grün
breit aufsitzt, alles bunter wird, und die frischen Farben der
Landschaft und der kleinen Häuser hinter- den Deichen sich
doppelt so frisch und stark im ziehenden Strom spiegeln
und Spaß dran bekommen, wo farbig aktives Gewölk groß
und schwer tief ins Land herein wie eine Wand vom Meer
her am Himmel steht, vor der die Dinge Farbe bekennen
und am Horizont Silhouette annehmen müssen, da geht der
Mensch an seinem Haus wie von selbst voller in die Form,
und die Farbe wird dicker aufgetragen und lebhafter. Wie
steigert sich's auf dem Weg über Westfalens rote Erde mit
seiner häusischen Buntheit bis zum ganz Bunten der Schaum-
burger Mischung auf entsprechender Erde! Weiter rheinauf
aber, gen Köln und noch weiter zu den Sieben Bergen, da
gibts ein feines malerisches Aroma in der Rheinebene. Da

legt sich das Licht zugleich mit dem Schimmer der Rhein-
luft an die Dinge und füllt ihre Tiefen aus und läßt sie
nur schwer plastisch erscheinen. Sie hängen immer in
einem Gewebe von Licht und feuchtem Duft und sind wie
eine Fata Morgana. In dieses zarte Blondsein gehört keine
Farbe, sondern der ernste Tuff oder getöntes Weiß; und
was übrigens die Modellierung des Hauses angeht, so gieift
man da nun tüchtig hinein und heraus mit Blendarkaden
und Zwerggalerien und läßt es dann von der Luft ver-
schleiern. (In Stuttgart ist es ähnlich, Stadt im Kessel,
feuchte Luft unten und warm. Da zerfließt natürlich der
Turm des neuen Bahnhofs, weil er der Luft und ihren
Bedingungen kein Relief zeigen, und an ihm gebührend mit
ihnen umgehen kann.) Dann aber kommt Assmannshausen
zum Beispiel, und, wenn man da ein buntes Haus vom
Niederrhein hineinsetzte! Nicht einmal einen roten, wenn
auch patinierten Dachziegel verträgt man da. Man baut auf
schiefrigem Grund und an den Bergen mit ihm als Folie.
Silbrig glitzerndem Grau. Dazu kommt die Natur, das ernste
schmale Grün der Rebe. Dieser feine, zirpende Klang kann
nur auf Weiß als Resonanzboden bestehen. — Am Weiß
wird alles klar, auch die feinste Nuance; diese wird klar und
klärt sich und verklärt sich an ihm. Breughel hat das ent-
deckt, und bei Cezanne finden wir das Weiß als Fugen in
dem Aufbau seiner Bilder; Konturen sind bei ihm weiß,
nicht schwarz. Alte Gobelins kennen es auch. — Und nun
sind da oben am Rhein die Häuserwände weiß, und das
Schwarz des Holzwerks springt sinnvoll hindurch, und
zwischen dem Milchig-Weißen und dem Schwarzen geht
auch das Licht an dem Schieferdach hin und her, und da-
zwischen sprenkelt sich ein bischen Grün von der Rebe,
und zu dem Ganzen gesellt sich dann und wann noch ein
Körnchen von dem verhaltenen Blau der rheinischen Winzer-
bluse. . • \

Da könnte nichts bunt sein, und das farbige Bauen
müßte da der Teufel holen, wenn nicht gerade der es hin-
gesetzt hätte. — Man kann nicht überall farbig' bauen, aber
man soll es überall da, wo die Landschaft es verlangt.

Wo zum Beispiel roter Boden ist, und die rote Erdhaut
(aber das caput mortuum Westfalens will anders behandelt
sein, als der rote Sandstein im Neckartal) zwischen dem
Grünen durchschimmert, und dieser Klang aufgenommen
und aufgehoben', wo weißer Sand, wie am Meer, illuminiert
sein will, wo die Landschaft, wie die märkische und von
Leistikow so vorgesetzte, auch selbst in kleinen oder großen
Farbstücken sich uns bietet. Und so weiter. Paul Mahlberg.

289
 
Annotationen