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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 18.1920

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Heft 8
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Falke, Otto von: Meissener Tierplastik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4750#0387

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daher wenig bekannt. Man konnte sie fast nur
an einer einzigen Stelle sehen, in dem überfüllten
Saal des Dresdener Johanneums und in einer aus-
gesucht ungünstigen Aufstellung. Zwar besitzt auch
das Berliner Kunstgewerbemuseum zwei Stücke,
die Löwin und den Luchs, genannt der Bauern-
schreck, aber sie zählen beide nicht zu den Perlen
der Gattung und sind erst einige Wochen vor der
Versteigerung in das Museum gekommen. Als die
Tiere auf der Versteigerung in einer eindrucks-
vollen Auswahl, nicht zu viel und nicht zu wenig,
zum ersten Mal außerhalb ihres gewohnten Käfigs
auftraten, erregten sie unverkennbar eine starke
künstlerische Wirkung und selbst die Porzellan-
freunde strengster Observanz, die sich sonst kühl
von jeder unbemalten Porzellanplastik abwenden,
mußten sich eines besseren belehren lassen.

Diese spätbarocke Tierplastik aus Meißener
Porzellan ist in der Tat so etwas wie ein kunst-
geschichtliches Phänomen. Sie ist spontan, fast
ohne Vorläufer, jedenfalls ohne Zusammenhang
mit der Tradition ins Leben getreten. Von der
antiken Freude an der Tierdarstellung war nur
sehr wenig auf die Großplastik der christlichen
Zeit übergegangen. Es ist nur eine kleine Zahl
von Tierformen, wie Löwe, Adler, Pferd, Greif,
deren die nachantike Bildhauerei wegen ihrer
symbolischen oder heraldischen Bedeutung oder
wegen ihres Zusammenhangs mit der Denkmals-
plastik nicht ganz entraten konnte. Daß aber auch
Ziegen und Reiher, Füchse, Affen und Windspiele,
Bären und Papageien, Luchse, Pintscher, Schwäne,
Trappen, Hähne und Wasserhühner ein würdiger
Gegenstand für die selbständige Bildnerei großen
Maßstabs sein könnten, dkran hat weder das Mittel-
alter noch die Renaissance gedacht. Eine Aus-
nahme machen nur die aus der italienischen Klein-
plastik herausgewachsenen Bronzetiere Taccas im
Bargello, von denen indessen den Meißener Bild-
hauern schwerlich etwas bekannt geworden war.

Für sie war der einzige Antrieb der Wunsch
und Auftrag ihres Fürsten. Die unersättliche
Porzellanmanie Augusts des Starken, die zunächst
in der massenhaften Ansammlung ostasiatischer
Vasen und Geschirre Befriedigung suchte, nahm
mit der Erfindung Böttgers und der Einrichtung
der ersten europäischen Porzellanfabrik in Meißen
eine Wendung ins Schöpferische. Da der bei den
kostspieligen^Ankäufen von Chinaporzellan immer-

hin drückende Vorwurf unwirtschaftlicher Ausgaben
wegfiel, wenn es sich um Arbeiten der Meißener
Manufaktur handelte, brauchte der König seinen
Wünschen keine engen Grenzen zu ziehen; die
drängende Menge seiner Bestellungen hat in der
Tat die Leistungen des jungen Unternehmens ge-
steigert und ihm über die Zeit der Kinderkrank-
heiten rasch hinweggeholfen. Zum Denkmal der
königlichen Sammelleidenschaft wurde das von
Pöppelmann erbaute Japanische Palais bestimmt,
in dem neben den ostasiatischen Erzeugnissen auch
die Kunst seiner eigenen Fabrik sich gleichberechtigt
und großzügig entfalten sollte. Im Jahre 1727 wurde
ein Umbau des Palais in Angriff genommen und
das mit den erweiterten Räumen gewaltig an-
wachsende Programm der Porzellanausstattung ver-
anlaßte nun die Bestellung der verschiedenartigsten
einheimischen und exotischen Tiere, vom Elefanten
bis zur Bachstelze, deren Aufstellung, meist in
mehreren Exemplaren, teils in den Galerien, teils
im Garten an der Elbe geplant war. Für lebende
Modelle stand der kurfürstliche Tiergarten zur
Verfügung; wo er versagte, mußten graphische
Vorlagen aushelfen. So geht das von Kirchner
modellierte Nashorn auf eine Vorlage Dürers zurück.

Die Ausführung oblag zunächst dem Modell-
meister Gottlob Kirchner, den von 17 31 an Kandier
unterstützte und bald ersetzte. Die ganze Meißener
Tierplastik großen Maßstabes ist damals in einem Zeit-
raum von wenigen Jahren herausgebracht worden,
wobei Kändler anfänglich auch Entwürfe Kirchners
auszuführen hatte. Es ist deshalb trotz einiger
urkundlicher Hilfsmittel noch nicht ganz klar ge-
stellt, welche Modelle auf Kirchner entfallen. Er
hat sich durch andere für die Manufaktur ge-
schaffene Stücke, namentlich eine Marienfigur,
einen Apostel Petrus und einen Waschbrunnen
(im Kunstgewerbemuseum), als ein tüchtiger Barock-
bildhauer bewährt. Aber da sich Kändler später-
hin als das bei weitem überlegene und ursprüng-
lichere Talent erwies, so muß Kirchner in der
heutigen Beurteilung mit den .konventionelleren,
lahmeren Tierfiguren vorlieb nehmen. Bei seinem
Löwenpaar ist er der Gefahr des unfreiwilligen
Oberländerns nicht ganz entgangen, noch weniger
bei seinem Luchs, der sich einer allgemein aner-
kannten zoologischen Identifizierung bis heute ent-
zogen hat, weil sein typisches Merkmal, die Haar-
büschel auf den Ohren, in Porzellan nicht wieder-

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