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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 18.1920

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Heft 10
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Oldenbourg, Rudolf: Genelli und Kaulbach
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https://doi.org/10.11588/diglit.4750#0473

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„BABILLO, DER MAI.ERTEUFEL, FÜHRT EINEN KÜNSTLER IN VERSUCHUNG, KOMPOSITIONEN ZU SHAKESPEARES
MACBETH ZU MACHEN, DIE, VON IHM NOCH NICHT GEZEICHNET, BEREITS DURCH EINEN REZENSENTEN

BESCHRIEBEN WURDEN."

eigentliches Gebiet, die Graphik, beschränkt hätte.
Mit seiner spröden, streng klassizistischen Umriß-
zeichnung, die gegen alle Bestimmung zur Malerei
drängte, bleibt Genelli zeitlebens über sich selber
im Unklaren und ragt unverstanden, wie ein zäher
Anachronismus in die zweite Jahrhunderthälfte
hinein.

Doch solche Einwände betreffen Äußerlichkeiten:
Historisches und Stilistisches, nicht aber das wesent-
lich Produktive und — das Ethische, die edle Ge-
sinnung eines geläuterten, aus tiefster Nötigung
entsprungenen Hellenentums, das Genelli inmitten
einer Welt des Mißverstehens und wie zum Trotz
gegen die zur Romantik abgeschweifte Kunstdiktatur
des bayrischen Königs in dessen Residenzstadt
hochhielt. Wäre er in München erschienen als
Cornelius seine ersten Aufträge erhielt, so hätte
es ihm an Ruhm und Unterhalt nicht gemangelt.
Allein Genelli war ein Unzeitgemäßer. Die keusche
Blüte jener echt deutschen Romantik, die Cornelius
in der Form eines neu durchgeistigten zeichne-

rischen Klassizismus in Deutschland eingeführt
hatte, war erloschen oder doch zurückgetreten
gegen das unlautere Treiben eines mit allen Stil-
arten hurenden Eklektizismus, der die verquälte,
in unserer Epoche gipfelnde Zerfahrenheit der
künstlerischen Absichten nach sich zog und mit
der Entmannung der Architektur die bildende Kunst
überhaupt in ihrem Lebensnerv traf.

Alle niedrigeren Kunstinstinkte dieser späteren
Romantik, all ihre ungesunden, hohlen und billigen
Ambitionen fanden in Wilhelm Kaulbach ihren
vollkommensten Exponenten. Der wohlmeinende,
aber urteilslose Graf Raczynski hatte diesem gol-
denen Kalb der deutschen Kunst des 19. Jahr-
hunderts sein Piedestal errichtet, die Könige von
Bayern und Preußen wetteiferten, ihm Weihrauch
zu streuen, und der kunstbegeisterte Haufen —
mit wenigen Ausnahmen — beklatschte sinn- und
würdelos was immer von ihm ausging. Kaum je
zuvor möchte es sich zugetragen haben, daß ein
berechnender Intellekt durch alle erdenklichen,

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