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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 18.1920

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Heft 12
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Scheffler, Karl: Max Klinger
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https://doi.org/10.11588/diglit.4750#0531

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finden Sie eigentlich so bewundernswert an Ingres?
Seine Zeichnung?" „Nein", antwortete Vernet,
„er zeichnet wie ein Kaminkehrer". „Seine Farbe?"
fragte Delacroix. „Unsinn, er malt ja Stroh."
„Komposition?" „Lächerlich, keinen lebendigen
Menschen bringt er zusammen, sehen Sie doch die
Symposion, ein Durcheinander wie ein Möbelwagen."
„Was also? seine Formen, seine Auffassung?"
„Formen! Auffassung! Sie sind toll. Er malt
doch nur Gliederpuppen." „Dennoch", sagte Dela-
croix nachdenklich, „trotz seiner Fehler ist Ingres
ein tüchtiger Maler." Da machte Vernet einen
Satz und schrie: „Ingres, tüchtiger Maler? Er ist
der größte Künstler der Gegenwart!"

So ergeht es auch Klinger ein wenig, wenn
Künstler und Kunstfreunde über ihn diskutieren.
Sie wollen weder von dem Bildhauer noch von
dem Maler viel wissen, und den Radierer lassen
sie auch nur bedingt gelten; seine Zeichnung nen-
nen sie akademisch und kalt, die Formen seiner
Skulpturen finden sie unplastisch und ohne rechtes
Gefühl für Form, und seiner Phantasie werfen sie
die literarisch-philosophische Richtung vor. Aber
sie sind doch jederzeit bereit, Klinger als einen
der ersten, zum Ehrenmitglied der deutschen
Künstlerschaft zu ernennen. Die einzelnen Werke
werden mehr oder weniger schroff abgelehnt, die
gestaltende Persönlichkeit aber, die dahinter steht,
wird mit größtem Respekt behandelt.

Der Fall Klinger ist so recht ein deutscher Fall.
Da ist ein Künstler, der sich mit eiserner Energie
und glänzender Geistesdisziplin ein ungewöhnliches
Können erworben hat, dem dieses Können aber
doch immer etwas in zweiter Linie Stehendes
bleibt. Das Entscheidende in Klinger ist sein
Wollen; im Wollen ist er genial. Darin wurzelt
auch sein merkwürdiger Universalismus. In unserer
Zeit der Arbeitsteilung auch im Künstlerischen ist
es ganz ungewöhnlich, daß ein Künstler zugleich
als Graphiker, Maler und Bildhauer ein Meister
heißen will und obendrein als Schriftsteller Ehr-
geiz bekundet. Klinger ist nicht mit einem be-
stimmten Handwerk fest verwachsen. Er ist viel-
mehr ein hervorragender Vertreter jener Geistes-
richtung, die ein geistreicher Biograph Conrad
Ferdinand Meyers, Franz Ferdinand Baumgarten,
mit dem Wort „Renaissancismus" gut bezeichnet
hat. Dieser Renaissancismus, dem die zweite Hälfte
des neunzehnten Jahrhunderts gehört und der —

um einige Beispiele zu nennen — in Deutschland
verkörpert worden ist von einem Maler wie Böcklin,
von einem Bildhauer wie Begas, von den Bau-
meistern zwischen Semper und Wallot, von Dich-
tern wie Conrad Ferdinand Meyer und von Män-
nern der Wissenschaft wie Jakob Burckhardt und
Friedrich Nietzsche, verhält sich zu dem Klassizis-
mus des ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhun-
derts ungefähr, wie sich im großen die italienische
Renaissance zur Antike verhält. Das Wesen dieses
Renaissancismus besteht darin, daß er aus der
Kultur der italienischen Renaissance Begriffe und
Formen entlehnt hat, um ein neues Machtgefühl
geistig darzustellen, daß er der Bildung der neuen
Zeit den Schein schöpferischer Genialität geben
wollte, daß er der Persönlichkeit wieder eine Art
von Epigonenselbstherrlichkeit erträumte und mit
heftigem Ehrgeiz die sogenannte „große Form",
den „bedeutenden Gehalt" suchte. Allen Renais-
sancisten ist die weitausholende Geste eigen, die
Lust an sensationeller Ideensteigerung und am
Szenarischen. Die Idee — aber nur sie — stellt
sich kühn an die Seite der Herrenmenschen und
großen Immoralisten. Cesare Borgia sitzt am
Schreibtisch, eine Kompresse auf dem Kopf, und
stürzt die Konventionen um, Michelangelo unter-
nimmt eine Reise von Berlin nach Rom und sucht
dort einen „Stil", und Bramante empfängt Aufträge
für Miethausfassaden von Grundstücksspekulanten.
In dieser Zeitgesinnung wurzelt auch Klingers
Lebenswerk. Wesentlichen Anteil daran hat eine
edle Unzufriedenheit mit der scheinbaren Dürftig-
keit der Lebensformen, ein Bildungsehrgeiz, der
hinter früheren Zeiten nicht zurückstehen will. In
der Persönlichkeit Klingers hat der Bildungsdrang
unserer Epoche ein bedeutendes Werkzeug gefun-
den. Darum ist bei ihm das Zeichnen, Malen
und Modellieren im wesentlichen ein metaphysi-
sches Denken, darum vermischen sich in seinem
Werk die Künste, darum träumt er mit intellek-
tueller Kühnheit vom Gesamtkunstwerk, darum er-
füllt ihn leidenschaftlich die Absicht zur Synthese
und meint er, die historischen Formen durchgrü-
belnd, was man denken kann, müsse sich auch
darstellen lassen.

Durch die Welt Klingers schreitet der Helden-
jüngling dahin, der sich gymnastisch seines nackten
Körpers freut; doch merkt man diesem Griechen-
tum den Aktsaal an. Oft erklingt das Motiv vom

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