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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931

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Heft 1
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Grosz, George: Lebenserinnerungen, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0046

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GEORGE GROSZ, STIEFEL. BLEISTIFTZEICHNUNG. 1908

serer Realschule. Hager, von großem Wuchs, mit
faltigen Gesichtszügen, slavischen Backenknochen,
warmen braunen Augen und bürstengleichen Steh-
haaren, wirkte er alles in allem vertrauenerweckend
und achtunggebietend.

Obwohl er keineswegs so aussah, wurde er
mein rettender Engel. Durch freundlichen Zu-
spruch flößte er meiner Mutter, die ihn meinet-
wegen aufgesucht hatte, neue Hoffnung für ihren
mißratenen Sohn ein. Denn mißraten war ich;
ich war mit Schimpf aus der Schule geschaßt
worden, das erschien meiner Mutter und meinen
Schwestern als Schande, zumindest eine schlechte
Vorbedeutung für später. Sie teilten die allgemeinen
Vorurteile der Vorkriegszeit. Mit Recht, denn, das
Einjährige nicht gemacht zu haben, bedeutete drei,
eventuell vier Jahre beim Kommiß dienen und wert-
volle Zeit verlieren, abgesehen von der ziemlichen
Menschenabschinderei, die nun einmal mit diesem
gemeinen Gamaschendienst verbunden ist. Auch
gesellschaftlich war man ebenfalls nicht erstklassig,
hatte man als gemeiner Soldat gedient. Hierin
waren die Vorurteile der Menschen, auf die es
ankam, sehr streng, denn weiterhin war das Ein-
jährige der Schlüssel zum Reserveoffizier und die-
ser Reserveoffizierrang war hinwiederum nötig,
wollte man Karriere machen oder sich reich und
zweckmäßig verloben. Mit einem Wort das Ein-
jährige war lebenswichtig, um in eine höhere
Lebenssphäre zu gelangen. Und in vielen klein-
bürgerlichen Familien von bescheidenster Lebens-
haltung sah man oft wunderbare Beispiele, wie
die Eltern sich alles vom Munde abdarbten, zu-
sammenkratzten und an der Aussteuer der Tochter

knauserten und sparten, alles für den Sohn,
nur damit er sein Dienstjahr von sich aus be-
streiten konnte. Auch wurde schon überall in
den anständigen Berufen die Berechtigung zum
Einjährigen verlangt. Wenn es auch lange nicht
so streng war wie heutzutage, wo ja alle Berufe
mit einem scheußlichen Stacheldraht von gefor-
derten Reifezeugnissen und nichts besagenden Prü-
fungen abgesperrt sind. Doch verlassen wir jetzt
diese eingeschaltete Abschweifung über das Ein-
jährige und folgen wir weiter den Erinnerungen.
Auch meine Mutter hatte alle diese Bedenken vor
Augen. Sorgenvoll sah sie in düstere Zukunft,
und mich als besseren Lithographen und ordi-
nären Kommißinfanteristen meine drei Jahre runter-
rasseln. Nachdem die ersten Tränen getrocknet
waren, — ich war längst aus meiner freiwilligen
Waschküchenverbannung hervorgekommen, ra-
delte schon wieder, als wäre nichts geschehen, fröh-
lich in der Stadt umher —, traute ich mich, wenn
auch noch schüchtern, wieder mit meinem Lieb-
lingswunsch, Maler zu werden, hervor. Meine
Mutter wollte sich damit gar nicht befreunden.
Als praktische Frau hätte sie mich viel lieber in
Schlawe oderKöslin von neuem eingeschult. Denn
eine höhere Beamtenkarriere, zum Beispiel bei der
Post, erschien ihr bei weitem sicherer und besser.
Damit hatte sie auch durchaus recht. Mir aller-
dings erschien solcherlei Berufswahl und eine neue
Einschulung wenig verführerisch. Ich hatte in-
zwischen schon eine schöne schulstundenlose Zeit
gehabt, und die Freiheit, zu tun, wozu ich Lust
und Laune hatte, wollte ich ungern wieder auf-
geben. Natürlich mußte etwas geschehen, das sah
ich ebenfalls ein, und auf die Dauer war mir bei
meinem so In-den-Tag-Hineinleben auch ein wenig
unheimlich zu Mute. Ja, Maler wollte ich gerne
werden, große Bilder malen, oder noch besser, an
irgendeiner humoristischen Zeitschrift ein hoch-
bezahlter Mitarbeiter. Damals setzte die „Berliner
Illustrirte Zeitung" einen sogenannten Menzelpreis
(3000 Mark) für junge Illustratoren aus, so dachte
ich, im stillen, diesen Preis, wenn ich genügend
ausgebildet wäre, einmal zu erlangen. Dieser Preis
hatte es mir angetan, ich träumte vage von schö-
nen Reisen in fremde Länder als zeichnender Be-
richterstatter, und hatte ich erst die 3000 Mark,
eine ungeheure Summe in jener Zeit für mich,
so hatten alle Zukunftssorgen ein Ende. Aber

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