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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931

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Heft 2
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Basler, Adolphe: Das Formproblem der Malerei seit Cézanne, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0094

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GEORGE ROUAULT, AKT

MIT ERLAUBNIS DER D.D.A.

Halluzinationen, die er in verschiedenen Techniken
gestaltet, unter ihren verzweifelten Linien ein
klassisches Gerüst verbergen. Diese Handschrift,
die die Sprache der Leidenschaft ist, kam aber
trotzdem nur einer Illustrationskunst zugute, einem
Gemisch von verschiedenen Stilen, die in eine
pathetische oder ornamentale Malerei gedrängt
waren.

Die unmittelbare Anschauung der Impressio-
nisten ist in Verfall geraten, hat ihren Charakter
verloren bis zu den letzten Stufen der Entartung,
sei es in dem phantastischen graphischen Stil eines
Raoul Dufy, der die raffinierten Eindrücke der
Natur und des täglichen Lebens in den Dienst
einer blendenden dekorativen Phantasie stellt, sei
es in den vorbildlichen romantischen Darstellungen
Dufresnes, sei es in den künstlichen verstümmelten,
zergliederten Formen, die bei Braque zum kost-
baren Ornament werden, oder in dem konstruk-

tiven geometrischen Stil, mit dem ein Leger seine
Erfindungen, die aber nur die Kunst der Affiche zu
beeinflussen vermochten, umkleidet.

Die Fauves, die Expressionisten, die Kubisten
haben den Naturalismus getötet. Sie haben sich
zwar die Relativität der malerischen Gesetze zu-
nutze gemacht, haben aber einen unpersönlichen
akademischen Stil durch ein Repertoire von Formeln
ersetzt, die mit ihren Ansprüchen an das Symbol
und an das Abstrakte schließlich in eine ange-
wandte Kunst ausarten, die ebenso unpersönlich
ist wie der akademische Stil. Eine Kunst, die ur-
sprünglich nachahmend war, um dann konzipierend
und symbolistisch zu werden, gelangt unausbleib-
lich zu dem perversesten Raffinement, wo das
irrationale Element schließlich der Stützpunkt eines
ganzen gestikulierenden Artistentums wird, in dem
die Formen, statt die Natur zusammenfassend dar-
zustellen, ihr nur eine rauschartige Sensation ab-
gewinnen.

Heute, wo wir allen Taschenspielerkunststücken
verführerischer Talente ausgeliefert sind mit ihren
Bilderbogen und Tapetenmustern, dürsten wir nach
einer besonnenen Kunst, die all dieser schimmern-
den Bildnerei feind ist und die aus den Quellen
der Natur selbst schöpft. Von jenen künstlichen
Sensationen, die man den alten Meistern und den
alten Stilen absieht: von der „nachgefühlten Kunst",
wie es die Deutschen nennen, haben wir über-
genug. Was macht es uns schließlich aus, daß die
Form eines David oder Ingres eine mit Draht um-
randete Silhouette ist? Daß, um den linearen
Rhythmus stärker zu betonen, die Schraffierungen
weggelassen sind, oder daß die Form mit dem
ganzen Gewicht und der ganzen Dichtigkeit des
Volumens in den Raum gesetzt ist wie bei Gericault
und Delacroix?

In einer so alten Zivilisation wie der unsrigen
ist die Aufrichtigkeit in der Kunst nur ganz auser-
lesenen Talenten vorbehalten. Ihnen ist es nicht
gegeben, ihre Vision in ein System einzukerkern.
Ihr Stil ist ebenso spontan wie logisch. Und aus
ihren Schöpfungen, aus der Logik, aus der Fri-
sche ihrer Werke spricht ein größerer Zauber als
aus den Schöpfungen der esoterischen Bastler.

Wie dem auch sei, die Gelbschnäbel der Kritik
warfen einem Bonnard die Ungenauigkeit seiner
Zeichnung vor. Dieser Meister verschmäht aber
jede gewollte Vollendung, die bei einem Maler

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