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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931

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Heft 3
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Grosz, George: Lebenserinnerungen, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0136

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GEORGE GROSZ, FRAU AM TISCH
BLEISTIFT. 1912

und kam von selbst aufgestöberten Büchern und
Bildern. Ich begann damals mit dem einfachen
Skizzieren nach der Natur in der Art der japani-
schen Zeichnerschule, das heißt ich zeichnete in
kleinen Taschenbüchern flüchtige Notizen hin,
gehende Menschen und dergleichen. Möglichst
alles zeichnen zu lernen und zu können, erschien
mir eine wichtige Vorbedingung für späteren Illu-
stratorenberuf. Ich hatte ja schon als Schüler nach
der Natur skizziert, aber nicht so systematisch und
im direkten Hinblick auf spätere Arbeiten. Ich
nahm somit meine spezielle Ausbildung in eigene
Hand, denn in der Akademie wurde niemals in
dieser Weise die Natur skizziert. Vom Fünfminuten-
Aktzeichnen, wie ich es später bei Kalarossi in
Paris tat, wußte man nichts. Ich muß hier nach-
tragen. Ich zeichnete viel zu Hause für mich,
immer fast Karrikaturen. Dies ist wichtig zu be-
merken, denn davon kam ich zum Betrachten der
Japaner und später zu Daumier und Toulouse.
Mithin merkte ich bald, wo es fehlte und des-
wegen sah ich mir das Leben außerhalb der Aka-
demiewände genauer an und begann die Dinge zu
notieren. Ich hoffte durch solche Methodik eine
größere Lebensnähe in meine Zeichnungen zu
bringen. Denn damals krankten alle meine freien
komponierten Zeichnungen an jener im Anfangs-
teil erwähnten „Linienstilistik". Meine Zeichnungen

GEORGE GROSZ, BEI DER TOILETTE
BLEISTIFT. 1912

hatten den üblichen Fehler vieler Anfangsblätter,
sie waren zu ornamental, zu kunstgewerblich. Hin-
zu kam der Einfluß von Simplizissimuszeichnern
wie Paul, und eine Zeit sogar Julius Klinger und
Pretorius. Ich hatte zwar im unterbewußten Ge-
fühl so eine Ahnung, daß da was nicht stimmte,
aber dann wiederum, wenn ich fein säuberlich
ein Blatt entworfen hatte, freute ich mich darüber,
glaubte an mein Talent und hielt es meinen Vor-
bildern ebenbürtig. In Wirklichkeit standen sie
viel zu sehr unter ihrem Einfluß, und die Redak-
tionen, die ich wieder mit Auswahlsendungen be-
glückte, urteilten strenger als ich und sandten mir
meistens alles wieder zurück. Allmählich änderte
sich mein Stil ein wenig. Wie ich darauf kam,
weiß ich selbst nicht, ich nehme an, aus repro-
duktionstechnischen Erwägungen heraus, erinnerte
mich auch, in einer Ausstellung von Illustratoren
eine solche Technik gesehen zu haben. Ich zeich-
nete also den Kontur einer Figur einmalig linear
ganz gleichmäßig aus und lavierte dann willkür-
lich, aber doch eigentlich kunstgewerblich das ganze
Blatt mit Graphittusche durch. Die Graphittusche
kaufte ich in einem dicken Stück bei Klein in
der Amalienstraße, wo ich einen laufenden Kredit
hatte. Gulbransson hatte mir es gerade angetan,
und seinen Zeichnungen eiferte ich nach. Später-
hin erweiterte ich, auch wohl unter dem Einfluß

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