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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931

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Heft 4
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Heise, Carl Georg: Der Maler Masereel: Ausstellung in der Galerie Viktor Hartberg
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https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0182

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Graphik nahestehenden Schaubilder, die zur Familie
der gemalten Moritaten der Jahrmärkte gehören,
sind anziehend durch die kompromißlose Reinheit
ihrer einfachen Kunstmittel. Was dann folgt, ist
nicht von so sauberem Stil: Ubergänge zum Male-
rischen ohne das Vorherrschen der Zeichnung ganz
zu überwinden, aus einem meist dunklen Gesamt-
ton ein branstiges Rot, ein giftiges Grün, ein
Orange aufleuchtend, die schummerige Palette ver-
dunkelt die Pointe des Vorgangs, Masereels Stärke.
Jetzt treten, schüchtern zunächst, neben die Gassen-
und Kneipenbilder die reinen Landschaften, eine
Serie von Hafenbildern mit grell-bunten Schorn-
steinen bezeichnen die Höhe dieser Stilstufe. Dann
wird — vorübergehend nur, wie mir scheinen will
— das ganze gewohnte Stoffgebiet verlassen und
mit der Leidenschaft des Lernenden und Suchen-
den die Figur allein und die ganz schlichte Natur
allein zum Vorwurf genommen. Selbst beim schön-
sten der gemalten Frauenbilder, wo mit dem Pin-
sel gebaut und modelliert ist, wo Komposition und
Rhythmus bewunderungswürdig gemeistert sind,
denkt man ein wenig an Studie und Atelier, die
reinen Landschaftsbilder aber — Strand, Dünen,

Fischerboote und Katen — haben__

ein wenig zu sehr altmeisterlich-
holländisches Gepräge. Dennoch
müssen wir hier halt machen, wenn
wir die Höhe des bisher Erreichten
bezeichnen wollen. Die große Dü-
nenlandschaft etwa mit ihrer etwas
wattigen, aber ganz aus der An-
schauung des Gegenstandes ge-
wonnenen breiten Malerei, mit
ihrem etwas stumpfen, aber sehr
eindringlichen Farbenklang — ganz
harmonisiert jetzt, ganz ohne vor-
dringliche Akzente —, mit dem
beherrschenden und doch so wohl-
tuend diskreten Sonneneffekt, ist
eine Leistung hohen malerischen
Könnens. Es scheint indessen das

tiefste Element Masereelscher Menschlichkeit noch
zu fehlen. Es gehört vielleicht zum Reizvollsten
einer Ausstellungsbetrachtung, zu beobachten, wie
hier und dort Ansätze sich bemerkbar machen,
die auf eine zweifellos vom Künstler selbst er-
sehnte Synthese hindeuten: mit der reinsten,
schlichtesten, handwerklich vollendeten Malerei deu-
tend über das Gesehene hinauszugreifen, Mensch
und Landschaft etwa zur Einheit zusammenzustim-
men. Ein Fischer liegt auf einer Mole, eine Frau in
den Dünen — Mensch und Umwelt verweben sich
zur geheimnisvollen Harmonie alles Geschaffenen.
Masereels Weltverbundenheit ist im Kern die alte
geblieben, aber sie ist freier, größer, kosmischer ge-
worden. Ich halte diese Versuche noch nicht für voll-
kommen geglückt, dennoch aber für das im Grunde
Wichtigste, was Masereels Malerei uns zu schenken
verspricht. Doch wie weise ist er, wie sehr hält
er sich zurück, wie deutlich scheint er es zu spü-
ren, daß jeder verfrüht dem Schicksal abgetrotzte
Versuch zurückbringt statt dem Ziele näher. Reif
sein ist alles. So wollen auch wir nichts wünschen
und nichts prophezeien, sondern dankbar bleiben
für das in unserer Zeit so seltene Schauspiel, einen
großen Künstler langsam reifen zu
sehen.

Wie ein Unterpfand des kom-
menden Gelingens mutet uns die
letzte Holzschnittfolge an. Die Gra-
phik ist nun unter den Einfluß der
Malerei getreten, wie diese einst
unter dem Einfluß der Graphik
begonnen hat. Die großen Einzel-
figuren zu Francois Villons Testa-
ment sind freier, malerischer als
alles, was früher für den Holz-
schnitt entstanden ist, und mit die-
ser Erweiterung im Handwerk-
lichen auch gewichtiger im Bedeu-
tungsgehalt, über die Illustration
hinaus sind sie ins Allgemein-
Menschliche gewachsen.

w

FRANS MASEREEL, HOLZSCHNITT

1)2
 
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