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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931

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Heft 7
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Bondy, Walter: Naivität und Spekulation
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https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0294

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niker, der die Maschine, die er gebaut hat, in
Betrieb setzt und laufen sieht, sagen: Ich habe es
richtig gemacht oder falsch, oder wie der Mathe-
matiker die Brauchbarkeit seiner Formeln durch
Messen an den allgemein anerkannten prüfen. Er
muß das Urteil über das Erzielte immer wieder
nur seinem Gefühl oder denen überlassen, die wie
er mit dem unzulänglichen Maßstabe des subjek-
tiven Empfindens an die Werke herangehen. Die
Schwierigkeiten, die sich dem Künstler entgegen-
stellen, der logisch weiterbauend sein Werk fort-
führen möchte, sind also in Wahrheit unermeßlich,
da er sich im Grunde weder auf das eigene Ur-
teil, noch auf die Urteile der anderen verlassen
kann.

Der Weg, den die Wissenschaft geht, wird im
allgemeinen ein kontinuierlicher sein. Sie ist los-
gelöst vom Subjektiven, und das Persönliche zeigt
sich bei ihr kaum anders als in dem Umfang der
kontrollierbaren Resultate. Wenn Fehler gemacht
werden, so werden sie früher oder später ob-
jektive Korrekturen erfahren. Bei der Kunst, wo
das Urteil immer durch eine Menge von Kriterien
beeinflußt ist, die zum Teil sogar ganz außerhalb
ihres eigentlichen Bereiches stehen, sind oft ganze
Kunstjahrhunderte mit schweren prinzipiellen Män-
geln behaftet, ohne daß diese in ihrer Zeit erkannt
worden wären. Irgendein aus anderen, ja selbst aus
wirtschaftlichen Gebieten hergeholter spekulativer
Gedanke kann eine natürlich gesunde Bewegung
jäh unterbrechen und endlich sogar die Kunst auf
Irrwege führen, aus denen sie dann nur schwer
zurückfindet. Das Einzelindividuum teilt fast immer
— wenn es nicht ein Genie ist —, das Schicksal
der Gesamtheit. Selbst ausgesprochene Begabungen
sind meistens nicht stark genug, sich den spekula-
tiven Einflüssen gewisser Zeiten zu entziehen.

Das Schaffen des Künstlers wird also zu einer
Komponente zwischen der eigenen ursprünglichen
Kraft und den Mächten, die deren Richtung zu
beeinflussen suchen. Die Eindrücke von außen
werden unter Umständen so stark werden, daß sie
den Künstler völlig aus der Bahn seiner ursprüng-
lichen Veranlagung werfen können.

Es ist charakteristisch, daß die spekulativen Dinge
in der Kunst, die sich der naiven Sinnlichkeit ent-
gegenstellen und deren Opfer die Ursprünglichkeit
des künstlerischen Temperaments so oft wird, mei-
stens leichter Anhängerschaft bei Künstlern und

Kunstbeflissenen findet, als die Ausdrucksweise des
naiven Schaffens. Der spekulierende Gedanke wird
fast immer bequemer erfaßt, als eine komplexe
Gesetzmäßigkeit des Naiv-Sinnlichen. Der Grund
hierfür ist wohl der, das die Vernunft der Men-
schen der neueren Zeit von Anfang an einer in-
tensiven Schulung unterworfen wird, während
die gefühlsmäßigen Dinge viel weniger berück-
sichtigt werden. Ein neuer Gedanke wird also
als Grundideal einer künstlerischen Tätigkeit fast
immer leichter aufgegriffen, als ein neuer Aus-
druck des Empfindens. Ich will nur nebenbei er-
wähnen, daß das Gedankliche ja auch leichter
gedanklich auszuwerten ist als das Empfindungs-
mäßige, eine Ursache, weshalb besonders oft von
der Kunstliteratur Bewegungen bevorzugt werden,
die mehr auf dem Boden des Gedankens stehen
als auf dem des Gefühls.

Es ist also für den Künstler fast immer leichter,
mit geistigen Eigenschaften durchzudringen, als
mit den nur zu fühlenden. Kein Wunder, daß er
— da er doch auf den Erfolg angewiesen ist -
der Verführung oft erliegt. Man möchte beinahe
behaupten, daß selbst in großen Kunstepochen,
oder bei den berühmtesten Künstlererscheinungen
die Beziehungen der Menschen zur Kunstleistung
mehr auf spekulativem als auf gefühlsmäßigem
Boden standen, und daß das, was selbst an den
größten Künstlern geschätzt und berühmt war,
selten das Wesentliche ihrer Kunst ausmachte. So
wurde oft sogar der Bedeutende durch Dinge, die
gar nicht mehr auf dem Gebiete seines ursprünglichen
naiven Strebens standen, in das Netz der Spekulation
verstrickt, dessen Maschen er allerdings, ohne es
zu ahnen, oft selber geknüpft hatte, in ein Netz,
das sich schließlich zusammenzog, um ihn für
immer seiner Ursprünglichkeit zu berauben.

Es ist hier nicht Platz, auf Einzelheiten einzu-
gehen, doch weiß jeder, der sich mit der Geschichte
der Kunst beschäftigt, welchen nachteiligen Einfluß
die spekulative Art auf alle Gebiete des Kunst-
schaffens begabter Völker oder Künstler gehabt
hat. Erst durch wirtschaftliche, politische oder
andere Umwälzungen, oder durch geniale Menschen
ist dann wieder ein Rückweg zum naiven Gestalten
gefunden worden.

Nach dem Auftreten hervorragender Künstler-
erscheinungen fängt allerdings meist wieder eine
Periode des unnaiven Schaffens und des Manierismus

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