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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931

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Heft 7
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Göpel, Erhard: Der Zeichner Greuze
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https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0329

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VERSTEIGERUNG VOM 4.-6. MAI BEI HOLLSTEIN UND PUFPEL, BERLIN

1 ein1*'

Paris)

SB*

durchgeformt („Der Savoyarde", die „Zerbrochene Puppe"
in der Albertina).

Vor die Übertragung in das große Format des Ölbildes
aber schieben sich große Rötelstudien nach dem entspre-
chend gestellten Modell. Deren endgültiger Gesichtsausdruck
wird in fast lebensgroßen Kopfstudien festgelegt, wobei
der befohlene Gesichtsausdruck: traurig, verliebt, kokett,
zornig, durch seine Penetranz diese Zeichnungen oft eben-
so unleidlich macht wie die fertigen Bilder. Doch beob-
achtet man schon bei diesen Kopfstudien — etwa dem
Frauenkopf in Weimar (Prestel II. 10) —, wie eng der Zeich-
ner der Natur folgt, indem er nicht die Traurigkeit der spä-
teren Bildrigur, sondern den gelangweilt traurigen Ausdruck
seines Modells wiedergibt.

Noch stärker kommt diese echte Naturbeobachtung in den
ganzfigurigen Bewegungsstudien zum Ausdruck, an denen
die Leningrader Sammlung besonders reich ist und jetzt einige
ausgezeichnete Beispiele zur Versteigerung gegeben hat.

Greuze liebt für diese Studien die großen Formate, die
seinem Rotelstift — dem alten „Pierre d'Italie" — genügend
Auslauf lassen. Die an einzelnen Stellen sichtbare, ganz
leichte erste Vorzeichnung verrät die Freiheit seiner Hand,
die den Formenkomplex zuerst mehr umtastet als umreißt.
Ist dieses ungefähre Bild gewonnen, so tragen sorgfältig
beobachtete Einzelheiten die Lebenswahrheit ein, sehr ener-
gische Drucker — dunklere Tuschtöne bei der abgebildeten
lavierten Zeichnung — setzen kräftige Akzente, die trotz der
sorgfältigen Durchzeichnung den Blättern die Frische des
unmittelbaren Lindruckes geben. Zuerst ist man geneigt zu
glauben, daß der Künstler diese Zeichnungen ursprünglich
nur sich zur Freude gemacht habe, eine genauere Prüfung
erweist aber, daß auch die scheinbar unbefangenste Skizze
zu einem Bildplan gehört. Die abgebildete Studie der „Frau
mit Buch" zum Beispiel ist eine Studie zu dem Bilde des
„Paralytikers, von seinen Kindern umgeben". Bei der Um-
setzung weicht aber der lebendige Ausdruck des Gesichtes
einem konventionellen und die feinsten Beobachtungen, wie
die Spontaneität der Bewegung oder der Reflex der weißen
Buchseiten im Gesicht, gehen verloren. Das so ursprünglich
gesehene „Schlafende Kind" (Abbildung) gehört wahrschein-
lich mit „Mutter und Kind" (Greuze-Zeichnungen op. cit.

Tafel 24) und dem „Stehenden Knaben" (op. cit. Tafel 11)
zu „Le silence" (London, Buckingham Palace).

Greuze zeichnet meist auf ein etwas rauhes Bütten, auf
dem der Rötel ein kräftiges Korn gibt. Lr nützt den tief-
roten, kräftigen Ton seiner Steinkreide zu starken Kontrasten
aus — die Reproduktionen der Münchener Ausgabe sind zu
hellrot —, verfällt allerdings öfters (ob erst in späteren Jah-
ren nach vielen Arbeiten für den Kupferstich?) in die typi-
schen Stecherkreuzlagen, die der Wirkung ebensosehr scha-
den wie seine Wischtöne.

In der Fülle des Striches seiner Röteltechnik kommt
Greuze von Boucher, im Lavis knüpft er an die Meister-
schaft des Fragonard an. Seine Dreikreidentechnik vergrö-
bert die feinen Wirkungen des Watteau schon durch das
größere Format, setzt sie durch Wischtöne ins Effektvolle
um und weiß so aus der Naturstudie das Kapital bildmäßi-
ger Wirkung zu schlagen, wie der berühmte Frauenkopf in
der Albertina beweist.

Als Maler war Greuze kompositionsmäßig wie thematisch
dem Zeitstil verhaftet, wenn auch sein Beispiel, die Schil-
derung anempfundener Szenen, durch das ganze folgende
Jahrhundert die übelste Nachahmung gefunden hat.

J.B. GREUZE, ROTELSTUDIE. 21,2:21,5 cm

AUS DER AKADEMIE IN LENINGRAD. FRÜHJAHRSVERSTEIGERUNG BEI

C. G. BOERNER, LEIPZIG

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