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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931

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Heft 9
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Kunstausstellungen
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Scheffler, Karl: Berliner Frühjahrsausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0393

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Talent wächst immer noch wild. Doch wird fast nie etwas
Rechtes daraus- Es fehlt ihm die Atmosphäre, es fehlen Regen,
Wind, Wärme und Licht, um die Keime kräftig zu entwickeln.
Es fehlen auch die vorbildlichen „Spitzenleistungen".

Ein Vergleich zwischen der Secessionsausstellung und der
Münch-Ausstellung bei Flechtheim hob den Norw eger fast
zum Klassiker empor. Die Heutigen haben es schwer. Sie
tun ihr bestes, aber sie haben alles gegen sich. Bewunderung
verdient es schon, wenn unter so ungünstigen Bedingungen
ein Grad empfindungsvoller Reife erreicht wird, wie in den
Plastiken Scheibes (bei Viktor Hanberg). Wie Manierismus
die zartesten Talente am meisten bedroht, bewies in der-
selben Galerie Partikel mit geistreich empfindsamen Bildern.

Voller als in allen Kunstausstellungen war es im Lichthof
des alten Kunstgewerbemuseums, wo Photomontagen gezeigt
wurden. Die Mischung von photographischer Konstatierung
und Scherenschnitt-Erzählung, das witzige Nebeneinander
von Teilen, die nie ein Ganzes werden können, befriedigt
die Jugend. Sie hat insofern recht, als eine solche Ausstellung
amüsanter Klebearbeiten interessanter ist als die immer noch
in den letzten Zügen liegende „Große Berliner Kunstausstel-
lung" im ausstellungstechnisch unmöglichen Schloß Bellevue
oder wie die Mitglieder-Ausstellung des Vereins Berliner
Künstler.

Besser ist es freilich, nicht zu vergleichen. Wer Kunst
sucht, muß auch das Bildungsgesetz der Kunst hinnehmen.
Die Juryfreien sind doch sicher genügend avanciert. In ihrer
letzten Ausstellung interessierten am meisten aber Plastiken,
die in jeder Weise traditionell gebunden sind. Es sind die
zum ersten Male ausgestellten Arbeiten von Günther Martin
und von seiner Frau Magdalena Müller. Die Großplastiken
Martins sind ernste, gründliche Leistungen eines denkenden,
sich streng disziplinierenden Bildhauers; die Porträtkiipfe
und Terrakottafiguren Magdalena Müllers gehen mehr ins
sinnlich Naive. Die Existenzfiguren Martins haben etwas
Kirchliches, sie sehen aus wie philosophische Heilige, wie
Träger von Weltanschauungen, wie Vertreter eines Willens
zum Endgültigen; die Arbeiten Magdalena Müllers wissen
mehr den Reiz des Augenblicks einzufangen und festzuhalten.

Die reichste und bunteste der Frühjahrsausstellungen ist
stets die der Akademie. Diesmal enthält sie mehrere Kol-
lektivausstellungen: einen Sievogtraum, der geistig im Mittel-
punkt liegt, eine Kollektion von schwungvollen, süddeutsch
determinierten Bildern Altherrs, die zu umfangreich er-
scheint, einen Saal mit Bildern Max Beckmanns, dem man
die Konkurrenz der gleichzeitig in Paris stattfindenden Aus-
stellung anmerkt, und eine Sammlung von Bildern Jaeckels,
die einzeln besser wirken als im ganzen. In der Abteilung
für Plastik stellt de Fiori kollektiv aus und wirkt im ganzen
malerisch-launisch, aber lebendig begabt; Gerhard Marks be-
stätigt mit seiner Sonderschau die gute Meinung, die sein be-
seeltes Talent erweckt hat, doch überzeugt er nicht völlig
dort, wo er auf Pfaden zu einer noch etwas aufgeblähten
Kolossalkunst wandelt.

In dem unruhigen Ilauptsaal dominiert des vierundachtzig-
jährigen Liebermann eindrucksvolles Selbstbildnis. Er ist
lebendig geblieben, weil er als Maler die Zeit beherrscht
hat, weil er seiner Zeit das Gesicht gab, ihr seinen Willen
aufzwang oder — wie sich auch sagen läßt— ihren Willen

realisierte. Dabei war ebensoviel Glück wie Verdienst. Merk-
würdig nur, daß eigentlich allein die „Glück" haben, die
der „Spitzenleistung" fähig sind. Karl Schettler

HOMBURG

Im Kurhaus ist eine Kunstausstellung eröffnet worden. Der
brunnentrinkende Badegast wird zum Genuß künstlerischer
(Quellen geführt. Diese geistige Ergänzungskur ist dem Kur-
direktor Hüfner und Dr. Niels von Holst vom Historischen
Museum in Frankfurt zu danken. In den „lüstergeschmückten"
einstigen Spielsälen des Kurhauses, eines „Prachtbaues der
französischen Neurenaissance", wie der Führer meldet,
hängen Werke mittelrheinischer Landschaftsmalerei von
1750—1930. Diese hundert Bilder sind den Künstlern und
Motiven nach zumeist im Rhein-Maingebiet beheimatet. Darin
liegt für Homburg und Umgebung in erster Linie ihre An-
ziehungskraft, sie eröffnen aber auch Ausblicke in Weiten
kunstgeschichtlicher Landschaft zweier Jahrhunderte. Das
rechtfertigt die Besprechung an dieser Stelle.

Ahnen und Enkel: von Georg Schütz d. Ä. bis zu Beck-
mann, hängen friedlich nebeneinander, Srammesgleichheit und
Stilverschiedenheit, Verwandtschaft künstlerischen Blutes
über ein Jahrhundert hinweg und Auseinanderstreben von
Angehörigen einer Generation, all das wird anschaulich und
bekommt eine gewisse beispielhafte Bedeutung. Man sieht,
daß die Linien des Geschichtsbildes deutscher Kunst vom
dreißigjährigen bis zum Weltkrieg keineswegs festliegen. Es
gibt künstlerische Überraschungen z. B. bei den Veduten des
älteren Schütz, bei Courbets Taunus (?)-Landschaft, bei der
ich nur nicht sicher bin, ob sie nicht ein französisches Motiv
darstellt, bei dem meisterlichen Winterbild Frankfurts von
Victor Müller, der entzückenden frühen Dünenlandschaft
Scholderers von 1878, bei Kirchners Bahnhof Königstein
u. a. m. Die großen Vorbilder und Anreger, Parallelen und
Nachzügler: holländische Landschaftskunst des siebzehnten
Jahrhunderts, Nachfolge Poussins und Claude Lorrains, Schule
von Barbizon, französischer Impressionismus, deutsche Heimat-
kunst — man ahnt ihre Umrisse hinter der kleinen Ausstel-
lung. Man sieht Thoma am Scheidewege: hier naive Land-
schaf tskunst, in beste europäische Tradition einmündend:
das Bild des Holzhausenschlößchens von 1880, dort: die Sack-
gasse zu „Bodenstand" und „Erdgeruch" — wie Aby War-
burg zu sagen pflegte — z. B. „beim Pflügen" (1890). Es ist
bekannt, daß Thoma die sentimentalische Straße zu seinem
und zum Schaden der mittelrheinischen Malerei gewählt hat.
Anton Burger präsentiert sich zu seinem Vorteil, Jakob Nuß-
baum zu seinem Nachteil, an Fohr und Radi sieht man
neue Seiten.

Zwei weitere Ausstellungen sollen im Laufe des Jahres
folgen: „Deutsche Bildniskünstler von Cranach bis Dix" und
„Westdeutsche Malerei der Biedermeierzeit von 1830 —1860".

Bedenkt man, daß Kunstausstellungen in Badeorten und
Kurhäusern den Tiefpunkt künstlerischer Darbietungen zu
bezeichnen pflegen, so verdient der Wille zur Qualität und
das Bekenntnis zum Geistigen in dieser Ausstellung, die
nicht überschätzt, aber auch nicht übersehen werden soll,
alle Anerkennung. Wilhelm Waetzoldt

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