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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931

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Heft 11
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Dormoy, Marie: Der Alte Tanguy
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https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0448

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Man brachte ihn auf einer Tragbahre heim, in
sein kleines Haus, wo er die Augen schloß neben
seinen Farbensteinen und seinen Reibkeulen. Am
nächsten Tage berichteten die Zeitungen: ein Far-
benhändler in der rue Clauzel sei gestorben, der
allgemein unter dem Namen „Pere Tanguy" be-
kannt gewesen sei. „Die Geschichte seines bescheide-
nen und rechtschaffenen Lebens ist untrennbar ver-
bunden mit der Geschichte des Impressionismus und
wenn diese Geschichte geschrieben wird, muß der
alte Tanguy seinen Platz beanspruchen."

Seine Beerdigung war in ihrer Weise großartig,
nicht durch den Pomp, der entfaltet wurde, wohl
aber durch die auserwählte Schar, die ihm das Geleit
gab. Er war eine markante Erscheinung des Pariser
Lebens seiner Zeit geworden, und viele, die sich
niemals bis zu der rue Clauzel bemüht hatten, um
ihn zu besuchen und ihm seine letzten Stunden
zu erleichtern, legten Wert darauf, bei dem Leichen-
begräbnis gesehen zu werden. Mirbeau hat richtig
prophezeit. Man weiß heute, daß der Laden des
alten Tanguy die Wiege des Impressionismus wie
der Schule von Pont-Aven gewesen ist. Die letztere,
zu der Gauguin, Seruzier, Emile Bernard gehör-
ten, beriet sich auf Cezanne, und wer von ihnen,
außer Gauguin, hätte Bilder von Cezanne anders-
wo als in der rue Clauzel sehen können? Von allen
Malern dieser Generation schuldete Cezanne Tanguy
am meisten Dank. Tanguy hat ihn zuerst heraus-
gestellt. Er war der Mittelsmann zwischen dem großen
Einsamen und den Amateuren, den Kritikern und
schließlich den Mitläufern, die jede neue Strömung
rindet. Da Cezanne zu seinem Lieferanten ebenso
uneingeschränktes Vertrauen hatte, wie dieser für
den Maler unendliche Bewunderung empfand, hatten
sie beide folgendes Ubereinkommen geschlossen:
Tanguy lieferte die Farben, und als Bezahlung wählte
er nach eigenem Ermessen die Bilder, mit denen
er glaubte, seine Spesen decken zu können. Cezanne
gewann am meisten bei diesem Handel, denn Tanguy
war von äußerster Zurückhaltung. Er wählte fast
immer nur Bilder, mit denen Cezanne so wenig
zufrieden war, daß er sie zerstören wollte. Es kam
sogar oh vor, daß Tanguy mit größter Sorgfalt
Bilder ausbesserte, die Cezanne mit dem Messer
durchstochen hatte.

Nach dem Tode des alten Tanguy mußte man
sich seiner armen Frau annehmen, deren Gesund-

heit nicht mehr die beste war, und die mehr Schul-
den als Geld geerbt hatte. Um sie vor dem schlimm-
sten Elend zu bewahren, veranstaltete der immer
hilfsbereite Octave Mirbeau eine Versteigerung der
Bilder, die der alte Tanguy hinterlassen hatte. Dazu
kamen einige andere, die sich beim Tode im La-
den befanden, und die von den Malern zugunsten
der Witwe zur Verfügung gestellt wurden, endlich
eine große Zahl von Bildern, die von den Künstlern
gestiftet waren, um der Gefährtin des Mannes bei-
zustehen, der so viel für sie getan hatte.

Die folgenden Bilder gehörten Tanguy selbst:
Cezanne: Dünen 95 fr., Bauerngehöft 215 fr.,
Die Brücke 170 fr., Gehöft 45 fr., Dorf 102 fr.,
Dorf 115 fr.; von Gauguin waren sechs Bilder da,
die 80—100 fr. erzielten. Ein Bild von Monet brachte
3000 fr., zwei Bilder von Sisley brachten 370 fr.
Ein weiteres Bild von Cezanne, das ebenfalls ver-
steigert wurde, erscheint nicht in den Berichten
des Hotel Drouot, weil Preise unter 100 fr. nicht
notiert wurden.

Kurze Zeit danach, bei der Versteigerung Blot,
stiegen Bilder von Cezanne auf 6000, die von Sis-
ley bis auf 4000 fr.

Unter den Künstlern, die Octave Mirbeau zu
Beiträgen aufgefordert hatte, findet man folgende
Namen: Cazin, Luce, Monet, Pissarro, Signac, Sis-
ley, Berthe Morizot, Renoir, Jongkind (von M. Por-
tier gestiftet), Raffaelli, Mary Cassatt, Rodin.

Emile Bernard, der Tanguy selbst gekannt und
als erster mit dem Pinsel wie mit der Feder diese
merkwürdige Gestalt umrissen hat, nennt ihn einen
schlichten Menschen ohne Eigennutz, inmitten
einer starken Korruption des Handels, von einer
rührenden Güte. „Ich habe ihn gekannt," sagt er,
„als er bitter arm war, und ich weiß — obwohl
das Schicksal unsere Wege getrennt hatte —, daß
er bis an sein Ende niemals um seiner Leiden wil-
len geklagt, daß er sein Leben mit der Heiterkeit
eines weltlichen Heiligen beschlossen hat, der von
dem Jenseits nichts als den ewigen Frieden des
Herzens ersehnt. Er starb in dem kleinen Laden
in der rue Clauzel inmitten der Bilder jener Ma-
ler, die er zuerst unter allen Künstlern seiner Zeit
erkannt hatte, reiche Saat künftiger Ernten hinter-
lassend, ohne daß er jemals daran gedacht hätte,
einen Schatz in Geld auszumünzen, zufrieden allein,
ihn zum Ruhm geführt zu haben."

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