Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931

DOI Heft:
Heft 12
DOI Artikel:
Lamm, Albert: Selbsthilfe?
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0509

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
SELBSTHILFE?

VON

ALBERT LAMM

Max Deri hat kürzlich in der „B. X." einen Vorschlag
zum besten gegeben, der die Lage der Malerschaft
schnell zu verbessern verspricht: die Maler sollen sich mit
den Tatsachen abfinden, mit praktischer Arbeit des Tages-
bedarfs sich ihr Brot verdienen, und sich so die Möglichkeit
schaffen, in freien Stunden ganz besonders unabhängig zu
malen, was ihnen am Herzen liegt.

Man kann törichte Einfälle auf sich beruhen lassen. Man
kann aber auch einmal sich geradezu unglücklich fühlen,
wie bei uns Männer von Einfluß und (ihnen wenigstens
zugetrautem) Wissen nachlässig und einsichtslos ernste Fragen
sich vom Halse schaffen und mit ihrer Bequemlichkeit im
Denken da Unheil säen, wo zu nutzen und aufzuklären sie
aus ihrem Beruf heraus wenigstens versuchen sollten.

Es ist die alte Anklage zu erheben: der größte Teil unserer
Kunstgelehrten intellektualisiert sein Gefallen an irgend-
welchen Werken und baut logische Kommodenkästen; zu
der psychischen Grundverfassung der produktiven Anlage
vermögen sie nicht durchzudringen, und sie vergreifen sich
im gröbsten und im subtilsten an ihr. Es ist das Wesen
des künstlerischen Zustandes, daß das Individuum von Grund
aus anders zur Wirklichkeit steht als der Mensch des realen
Lebens. Der praktische Mensch sieht die Dinge nach Ur-
sache und Wirkung verknüpft und schaltet seine Kraft in
den Kausalkonnex des Gegebenen ein. Der künstlerische
Mensch ist für die Einsicht in die praktische Nutzung der
Dinge nicht geschaffen, seine Kräfte sind für diese Seite
des Lebens nur schwer und widerstrebend zu nutzen. Ein
wie traumhaftes Hingeben an alles, was Gefühl und Sinne
beschäftigt, macht sein Wesen aus, und mit der Anspannung
des reinen Innenlebens arbeitet er an Dingen, die rein sinn-
lich und rein gefühlsmäßig am Leben bauen helfen sollen.

Ein Zwitter dieser beiden Typen ist ein lahmes Geschöpf.
Ich habe in meinem letzten Aufsatz zu zeigen versucht,
wohin unsere Malerei durch den Versuch kam, einer in-
tellektualen Kontrolle des künstlerischen Schaffens die Füh-
rung zu überlassen. Noch weniger möglich ist es aber, nach
dem Derischen Vorschlag ein Leben zu führen, daß alle
paar Stunden mit der Einstellung wechselt, um bald diesem,
bald jenem Typus anzugehören. Ich habe im allgemeinen
keine Neigung, von mir selbst zu reden; ich möchte aber
doch das Resultat eines geradezu gewalttätig durchgeführten
Experimentes, das ich versuchte, der Sache wegen vorlegen.
In einer großen Abneigung gegen die Aussicht, mir in Zu-
kunft mehr oder minder verschleierte Unterstützungen reichen
zu lassen, habe ich schon vor fünf Jahren mir eine Tätig-
keit im praktischen Leben gesucht, als die Entwicklung
deutlich wurde, die heute ans Ende drängt. Viele Zufälle
halfen mir, die selten genug zusammentreffen werden: ich
habe ernsthafte Studien hinter mir aus den Jugendjahren,
die ich im Familienzwang abseits von der Kunst verleben
mußte, und ich fand durch einen Glücksfall schnell einen

Posten, der, trotz seiner Bescheidenheit und trotz vieler
Kämpfe, mir eine selbständige Arbeit und viel Freude des
Gelingens gab. Trotzdem war es mir nicht möglich, die
Grundlage eines Malerdaseins aus ihm zu machen. Ich habe
Urlaub und freie Stunden genug fürs Malen zu verwenden
versucht. Aber es gibt keine Sinekuren mehr. Meine Tages-
arbeit verlangte den gewissenhaften Verbrauch des ganzen
Menschen. Danach sich dann umzustellen und in einer von
Grund aus anderen Verfassung nochmals sich ganz zu ver-
ausgaben: das war einfach zu viel. Ich hatte eine gute Ge-
sundheit und eine tüchtige Nervenkraft mitgebracht und
wollte ein Resultat ertrotzen; es geschah auch: ich wurde
schwer krank. Dieses Doppelleben ist, mit der Zielsetzung
eines wirklichen Erfolges auf beiden Seiten, eben von Grund
aus unmöglich; ob viele Maler die Kräfte haben, ein relativ
Mögliches besser zu erreichen als es mir gelang, bezweifle ich.

Ist Deris Vorschlag ohne Kenntnis des künstlerischen
Lebens vorgebracht, so ist er erst recht von einer seigneu-
ralen Unkenntnis des praktischen Lebens. Ist Deri über das
Problem der Erwerbslosigkeit so wenig unterrichtet? Leute,
die einen Beruf rite erlernt haben, haben heute monate-
und jahrelange Wartezeiten durchzumachen, wenn sie er-
werbslos wurden. Die ungelernten Arbeiter aber, unter die
der größte Teil der Malerschaft gehen müßte, haben bei
eingetretener Erwerbslosigkeit hoffnungslose Zeiten vor sich.
Ahnt Deri, wie viele Leute des praktischen Lebens heute
herumbetteln müssen, man möge ihnen irgendwelche Arbeit
geben, sie seien zu allem bereit? Wie und wo ist hier der
Maler überhaupt konkurrenzfähig? Wo soll er sich ein-
schalten ?

Die böse Entwicklung der Dinge, die Deri zu seinen
leichtsinnigen Worten veranlaßt hat, wird freilich einen
wesentlichen Teil der Malerschaft zwingen, mit irgend einer
praktischen Arbeit sich eines Tages gegen den Hunger zu
wehren. Irgendwie wird alles Helfen und Unterstützen sein
Ende finden, irgendwie werden mindestens die gesunden
Charaktere der Künstlerschaft den Kampf mit der Notwendig-
keit aufnehmen. Nur wird der Ablauf des Prozesses ein
anderer sein. Die große Front, die gegen eine erschütterte
Weltordnung erbittert sich aufbaut, wird verstärkt werden
um Willenskräfte, die am Opfer ihrer selbst sich gefestet
haben. Eine Künstlerschafr, die von einer ganzen führenden
Schicht gedankenlos ins Leere entlassen worden ist, wird
schwerlich ihre Freizeit qualvoll verwenden, um jener Ober-
schicht, die ihr die Überflüssigkeit des Künstlers bescheinigt
hat, nunmehr gratis Ausstellungen und Themen zu kritischen
Nachtischgesprächen zu verschaffen. Aber vielleicht wird eine
neue Leidenschaft voll Groll und Trotz nach Ausdruck
ringen, der dann nicht mehr absolute Kunst bleiben wird
und nicht mehr im bloßen Ästhetizismus ausklingt.

Man mag auf die Vorschläge neugierig sein, die der
Kunstgelehrte Deri dann zu machen hat.

479
 
Annotationen