Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 1.1907

DOI Heft:
Heft V (Mai 1907)
DOI Artikel:
Kolb, Gustav: Der neue Lehrplan für Zeichenunterricht an den württ. Volksschulen, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31624#0072

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
54

vom Zeichnen vor allem wünschte, nämlich dazu beizutragen, das Leben des Kindes
in der Schule, in der Stube des Dörfchens sowohl wie im Klassenraum der Gross-
stadt etwas freudiger, schaffensfroher zu gestalten, so hätte er Grosses geleistet.
Aber die Wirkung des neuen Lehrplans nach der rein praktischen Seite hin
wird eine nicht minder bedeutungsvolle und segensreiche sein. Jetzt erst wird es
überall möglich werden, neben der intellektuellen Schulung auch die Schulung von
Auge und Hand vorzunehmen, den Schüler bewusst sehen zu lernen und seine
Hand gefügig zu machen, das Gesehene und Geschaute zum Ausdruck zu bringen,
Tätigkeiten, die für alle Zweige des praktischen Lebens unerlässlich sind, doppelt
unerlässlich aber vor allem für den, der mit seiner Hände Arbeit sein Brot verdienen
will, also für den weitaus grössten Teil unseres Volkes.
Darum wird der obligatorische Zeichenunterricht an den Volksschulen vor
allem auch für die Heranbildung der gewerblichen Jugend von grossem Wert sein.
In Zukunft wird es möglich sein, jedem in die Gewerbeschule eintretenden Schüler
diejenigen zeichnerischen Fähigkeiten mitzugeben, die als Grundlage für das eigent-
liche berufliche Zeichnen betrachtet werden müssen. Der Lehrplan der Gewerbe-
schule kann somit künftig sofort mit dem Projektions- und Fachzeichnen beginnen,
und dadurch wird für die eigentliche praktische Ausbildung des Lehrlings kostbare
unersetzliche Zeit gewonnen. Es ist einleuchtend, dass die Volksschule und die
Arbeit ihrer Lehrer von dieser Seite her in der Beachtung und Wertung steigen
werden.
Aber auch der nicht produzierende Teil unseres Volkes wird künftig in der
Volksschule eine gewisse Schulung des G eschmacks erlangen, der ihn befähigen
kann, geschmacklose gewerbliche Erzeugnisse vom Geschmackvollen, Flitterkram und
Scheinprunk vom Gediegenen, Einfachschönen zu unterscheiden. Und dadurch wird
der Qualitätsarbeit in Gewerbe und Kunst der Boden geschaffen, auf dem sie
gedeihen kann. Es wird sich auch hier der alte Erfahrungssatz bestätigen, dass
ästhetische Fragen zugleich auch wirtschaftliche Fragen sind.
Wenn ich nun in eine kurze Besprechung des neuen Lehrplans eintrete, so
will ich gleich hervorheben, dass sein besonderer Vorzug der ist, dass er dem
Lehrer volle Bewegungsfreiheit lässt. Er gibt nur allgemeine Richtlinien, nur
das Skelett, und überlässt es dem einzelnen Lehrer, dieses mit Fleisch und Blut
zu füllen.
Wenn wir den Lehrplan daraufhin ansehen, ob er den Forderungen
der Zeichenunterrichtsreform entspricht, und ob er einen auf psycho-
logisch-künstlerischer Grundlage aufgebauten Unterricht ermöglicht, so ergibt sich
folgendes:
Er baut den Unterricht auf der Naturform auf und entnimmt die Lehrstoffe
dem In ter ess enkr eis des Schülers. Dabei ist besonders anzuerkennen, dass hier
ganze Arbeit gemacht wurde und das Vorlagenkopieren endgültig aus der
Schule verbannt ist. Nur möchte ich in diesem Zusammenhang jedem Lehrer den
Rat geben, den Satz, „die als Stoff für die verschiedenen Schuljahre ange-
führten Gegenstände sind nur als Beispiele anzusehen, auch ist die
Reihenfolge, in der sie aufgeführt sind, für den Stufengang des Unter-
richts im einzelnen nicht bindend“, recht kräftig zu unterstreichen, dadurch
peinliche Einhaltung dieser Anordnung und Verwendung dieser Beispiele mancher
wieder zum Vorlagenkopieren verführt werden könnte. Darüber später mehr.
 
Annotationen