Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 1.1907

DOI Heft:
Heft V (Mai 1907)
DOI Artikel:
Kolb, Gustav: Der neue Lehrplan für Zeichenunterricht an den württ. Volksschulen, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31624#0073

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
55

Der Satz, „bei Knaben und Mädchen ist auf ihren besonderen Anschauungskreis
Rücksicht zu nehmen, bei Mädchen die Verbindung mit der Handarbeit anzustreben“,
könnte leicht zu der Ansicht verleiten, als ob der Mädchen-Zeichenunterricht andere

Ziele hätte. Dieser Anschauung begegnet man allerdings da und dort selbst bei
Fachleuten, und ist wohl noch ein Ueberrest aus der Zeit, als der kunstgewerb-
liche Zeichenunterricht auch den der allgemeinbildenden Schule beeinflusste, ja


Abbildung 3.

sogar beherrschte. Demgegenüber
muss festgestellt werden, dass die
Reform dafür eintritt, dass Knaben
und Mädchen denselben Zeichen¬
unterricht erhalten, da beide
dieselben psychologisch en Voraus¬
setzungen bieten und beiden sich
die Welt mit ihren vielgestaltigen
Formen und Farben in gleicher
Weise zeigt. Ich möchte hier an
die Worte der Zeichenlehrerin
Fräulein H. Groth erinnern, die
kürzlich in „Deutsche Blätter für
Zeichen- und Kunstunterricht“
ausführte:
„Mit ganzer Entschiedenheit
trete ich der Ansicht entgegen,
dass das Zeichnen der Mädchen
in anderer Weise gehandhabt
werden soll wie das Zeichnen der
Knaben. Beide, Knaben wie
Mädchen, sehen mit gleich wissens¬
durstigen, fragenden Augen in die
Welt, ins Leben, und an uns ist
es, diesen Blick zu schulen, ihm
die Kraft der Unterscheidung für
echt und unecht zu verleihen,
ihn zu erziehen zum Verständnis
der tausendfachen Schönheiten
und Feinheiten der Erscheinungen,
die uns durchs Leben geleiten.
Das ist doch der Kern unseres
Unterrichts, bewusst sehende
Menschen heranzubilden, mögen auch die Resultate der Handfertigkeit nicht immer
unseren Wünschen entsprechen, die Hauptsache bleibt, dass der Geist zuerst
die rechte Nahrung erhält, das geistige Auge geschult wird.
Es ist unter solchen Gesichtspunkten gar nicht möglich, den Zeichenunterricht
nach männlicher und weiblicher Neigung zuzuschneiden. Soll denn auch auf diesem
Gebiet der Blick der Mädchen ein beschränkterer bleiben? Soll ihre Aufmerksamkeit

vorzeitig von den Natureindrücken abgelenkt werden und hingerichtet werden auf
Beschäftigungen, die vorbereitend einem gewerblichen Beruf dienen oder gar dem
 
Annotationen