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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 1.1907

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Heft V (Mai 1907)
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Kolb, Gustav: Der neue Lehrplan für Zeichenunterricht an den württ. Volksschulen, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31624#0074

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zweifelhaften „Schmücken des Hauses“ zu gute kommen? Die Fähigkeit der Dar-
stellung eines Gegenstandes, Motives oder eines miterlebten oder innerlich geschauten
Vorganges ist bei Knaben wie bei Mädchen vorhanden. Die letzte grosse Aus-
stellung der Schülerarbeiten in Berlin hat dies vor Augen geführt. Dass ein Knabe
eine „Kampfszene“ mit grösserem Eifer behandelt als ein „Waschfest“, kann man sich
denken, darum aber dem Zeichnen bei den Mädchen ein besonderes Gepräge geben
zu wollen, wäre verfehlt.“
Auch wir würden es sehr bedauern, wenn z. B. das perspektivische Zeichnen,
das eigentlich erst richtig ins bewusste Sehen einführt, bei Mädchen gekürzt würde,
um den ornamentalen Üebungen Platz zu machen. Wenn wir als Verfasser eines
Werkes für Pflanzenzeichnen und Ornamentieren gegen eine allzugrosse Aus-
dehnung des Ornamentierens im Zeichenunterricht der allgemeinbildenden Schule
auftreten, so wird man uns nicht den Vorwurf des Mangels an Verständnis für das
Ornament und der Objektivität machen können. Unsere Anschauung ist die, der
Handarbeitsunterricht sollte sich dieser Seite der zeichnerischen Ausbildung annehmen.
Hier lässt sich auch Handarbeit und Zeichnung verknüpfen und die praktische
Grundlage, ohne die jedes Ornament in der Luft steht, schaffen.
Auch auf die Entwicklung des Farbensinns ist im neuen Lehrplan Bedacht
genommen. Vielleicht wäre es aber besser gewesen, den Ausdruck „Andeutung
der Farbe“ in „Angabe der Farbe“ umzuwandeln, da manche Lehrer zu der An-
schauung kommen könnten, als ob damit einem ängstlichen Kolorieren und Lavieren
mit blassen leblosen Farbtönen das Wort geredet wäre, während die Reform von
Anfang an die Anwendung der ausgesprochenen, kräftigen, satten Farbe grund-
sätzlich empfiehlt.
Die Bestimmungen über das Gedächtniszeichnen und Skizzieren finden
unsern vollen Beifall, ebenso die, die auf eine Berücksichtigung der Individualität
der Schüler Rücksicht nehmen.
Als Beweis für die Freiheit, die der Lehrplan gibt, gilt mir auch der
Abschnitt betr. „Die selbständige Gestaltungskraft der Schüler“. Damit
ist den Anhängern des sogenannten Phantasiezeichnens die Möglichkeit gegeben,
ab und zu freie Üebungen in dieser Richtung als belebende Episoden zwischen den
systematischen Lehrgang einzuschieben. Nur verträgt sich der Ausdruck „Ein-
träge in ein besonderes Zeichenheft“ nicht recht mit der Ungezwungenheit, ohne
die solche Üebungen nicht denkbar sind. Wertvoll erscheinen mir die Hinweise
auf die Geschmacksbildung, auf die Weckung des Sinnes für Kunst (Volks-
kunst) und Naturschönheit.
Ganz besonders gefällt mir die Forderung, das Zeichnen mit den übrigen
Unterrichtsgebieten in Beziehung zu bringen; denn erfahrungsgemäss wird
erst dadurch Zeichnen dem Schüler eine Sprache, ein Ausdrucksmittel, mit
dem er seine Gedanken und Vorstellungen einigermassen zum Ausdruck bringen
kann. Und erst durch eine derartig enge Verbindung mit den übrigen Fächern
wird Zeichnen aus seiner isolierten Stellung als Fach herausgehoben und in den
Dienst der allgemeinen Geistesbildung gestellt. Dass dies diejenige Forderung ist,
die der Reform am meisten am Herzen liegt, habe ich schon früher an anderer
Stelle mit allem Nachdruck hervorgehoben. (Fortsetzung folgt.)
 
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