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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 1.1907

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Heft VII (Juli 1907)
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Hahn, Gustav: Phantasiezeichnen
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https://doi.org/10.11588/diglit.31624#0094

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der Kinder zu reizen und zu bilden, bei denen erst das ganze Material herbeige-
schafft werden muss, (wobei die Hauptarbeit ja doch gewöhnlich dem Lehrer
zufällt) sondern ■—- das lehrt die Erfahrung — diejenigen, die irgend etwas
Geschautes, äusserlich oder innerlich lebendig Geschautes zum Vor-
wurf haben. Denn die Logik eines Vorgangs liegt den Kindern ungleich mehr
als die noch so schöne Logik schulmeisterlicher Dispositionen. Man fürchte ja
nicht, dass hiebei die Phantasie zu kurz komme! Im Gegenteil, hier wacht sie erst
recht auf; erst durch ihr Eingreifen wird die Schilderung lebendig und wahr, und
so vermag sie, wie ich früher selbst erlebt habe, schon bei zehn- und elfjährigen
Kindern Wunder zu wirken.
Genau die nämliche Erfahrung mache ich jetzt im Zeichnen. Nur keine
abstrakten Themen — die Ausführungen über „symbolische Ornamente“ in der
„Zeitschrift des Vereins Deutscher Zeichenlehrer“ 1905 No. 4 bestätigen mir dies —
sondern irgend etwas Geschautes, Selbsterlebtes! Unter diesem Gesichtspunkt dürfte
die Darstellung einer auf einem Eisweiher sich tummelnden Jungenschar im Grund-
satz keineswegs so verwerflich sein. Insbesondere erscheint die Sache mit der mehr
zufällig abgeleiteten Behauptung, „dass es sich beim richtigen Beobachten nur um
einen Gegenstand handeln kann“, gar zu mechanisch abgetan. Kann es doch ein
und derselbe Junge sein, nur in verschiedenen Stellungen! Vergleiche übrigens die
Darstellung einer Schneeballenschlacht in „Beiträge zur Zeichenunterrichtsreform,
herausgegeben vom Verein Württemb. Zeichenlehrer“ Tafel 1! Andere geeignete
Vorwürfe sind der Schellenmärte (innerlich geschaut: eine plastische Schilderung
hat daher voranzugehen; auch habe ich die betreffende Künstlersteinzeichnung von
Kaspari schon mit Vorteil zur Unterstützung herangezogen; vergleiche ferner Vortrag
von Kolb: „Die Zeichenunterrichtsreform und die Volksschule“), der Schneemann, der
Osterhase, Fastnacht, Kinderfest u. s. w. Kürzlich stellte ich im Anschluss an die
Konfirmation in Klasse III die Aufgabe, die Einsegnung der Konfirmanden darzu-
stellen und war erstaunt über die verhältnismässig grosse Zahl guter Leistungen.
Bei all’ diesen Aufgaben bleibt der gestaltenden Phantasie zu tun genug übrig.
Und diese soll nicht entwicklungsfähig sein? Einmal ist unver-
kennbar, dass am Ende von Klasse III die Leistungen auch im Phantasiezeichnen
gediegenere sind als zu Beginn. Warum soll dieses Aufsteigen nicht anhalten
können? Wahr ist, dass in einem gewissen kindlichen Alter die Phantasie bei
jedem am regsamsten ist. Wieviel geschieht aber, diese erwachende Kraft den
Kindern zu erhalten? Arbeitet nicht vielmehr unser ganzer Unterrichtsbetrieb fast
überall auf das Gegenteil hin? Nur wenige sind es unter solchen Umständen, die
sich gleichwohl ihre Gottesgabe durchretten, das sind unsere — Dichter. In erster
Linie wendet sich der Unterricht eben an das Gedächtnis, dann an den Verstand.
Dass auch die Phantasie daseinsberechtigt, entwicklungsfähig und entwicklungs-
bedürftig, davon sind noch immer viel zu wenig Lehrer überzeugt. Und noch
weniger haben die Fähigkeit, die Phantasie tatsächlich zu bilden; äusser sie wären
selber Dichter, wenn auch nur nachfühlende. Wer wollte leugnen, dass bei einem
richtigen Aufsatzbetrieb die Beteiligung der Phantasie eine stetig aufwärts schreitende
sein müsste! Und ebenso ist es beim Zeichnen. Mit der Selbstkritik wachsen ja
auch die Ausdrucksmittel.
Eine unerlässliche Voraussetzung jedoch ist stetige Uebung. Wie kann
man aber das, wenn wöchentlich nur 2 Stunden für Freihandzeichnen zur Verfügung
 
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