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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 1.1907

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Heft IX (September 1907)
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Kolb, Gustav: Der Kunstunterricht auf unseren niederen Seminaren und Gymnasien
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https://doi.org/10.11588/diglit.31624#0117

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97


Abbildung 4.

Pflichtfächern die Kunstgeschichte während der Ausbildung gehört hat, wäre dazu natürlich
am besten imstande. Er wird es auch ohne Zweifel nebenbei sehr gern tun, wo er irgend
kann. Aber das ist nicht die Meinung unserer humanistischen und realistischen Lehrer. Sie
wollen sich dieses Gebiet selber vorbehalten. Nun ist ja gewiss anzuerkennen, dass es auch
unter ihnen kunstgeübte und kunstverständige Männer gibt, die dazu wohl imstande wären.
In einem solchen Fall wird niemand etwas dagegen einwenden, dass ein solcher Lehrer z. B.
in Maulbronn den Schülern die Geschichte des Klosters erzählt und ihnen die einzelnen
Räume erklärt, oder dass ein anderer in Blaubeuren den herrlichen altschwäbischen Altar
durchnimmt und die Schüler auf seine Schönheiten aufmerksam macht. Aber daraus eine
Regel etwa für alle Gymnasien zu machen, geht schon deshalb nicht an, wreil die meisten
humanistischen Lehramtskandidaten sich eben während ihrer Studienzeit tatsächlich nicht
mit Kunstgeschichte beschäftigt haben. Ich bin gewiss der letzte, der ein Fach, das nur
mit Liebe getrieben werden sollte, obligatorisch machen möchte. Wenn aber tatsächlich
von unseren Philologen und evangelischen Theologen höchstens der zwölfte Teil kunstge-
schichtliche Vorlesungen hört (die übrigen sind Katholiken oder gehören anderen Fakul-
täten an), dann weiss ich wirklich nicht, wo man die Lehrkräfte für einen solchen Unter-
richt hernehmen soll. Oder glaubt man etwa, zur Kunstgeschichte reiche es auch ohne die
nötigen Vorstudien?
Die könne man ohne
methodische Schulung
auf der Universität,
etwa nachträglich aus
Büchern lernen oder
auf der bekannten
Reise, die man am
Schluss seiner Studien¬
zeit zu machen pflegt ?
Ich habe Grund zu der
Vermutung, dass viele
so denken. Es ist ein
trauriges Erbteil un¬
serer früheren einseitig
philosophisch - ästheti¬
schen Erziehung, dass
man glaubt, ein halb¬
wegs gebildeter Mann,
der die nötige philo¬
sophische Schulung be¬
sitzt und über die
Fähigkeit verfügt, den
Inhalt der Kunstwerke
geschickt zu paraphra¬
sieren, könne Unter¬
richt in der Kunst¬
geschichte erteilen. Es
ist wohl eine einzig
dastehende Erschei¬
nung in der Wissen¬
schaft, dass Kunstge¬
schichte und Aesthetik bei uns gewissermassen als vogelfreie Fächer betrachtet werden,
bei denen man sich einbildet, sie lehren zu können, ohne sie vorher gelernt zu haben.
Was würde wohl ein Professor der Jurisprudenz oder der Medizin sagen, wenn jemand
den Vorschlag machte, die humanistischen Lehrer möchten in Zukunft ein bisschen
Jurisprudenz und Medizin auf dem Gymnasium lehren, damit die Schüler doch auch davon
etwas erführen?

Theologen und Philologen taugen im allgemeinen nicht zur künstlerischen Unterweisung.
Wer sich mit Kunstgeschichte beschäftigt, ohne gleichzeitig das Bedürfnis zu fühlen, sich
wenn auch nur als Dilettant künstlerisch zu betätigen, für den ist die Kunst Verstandes-
und nicht Gefühlssache. Verstandesfächer aber haben wir an unseren Schulen schon über-
genug. Uns Kunsthistorikern ist nicht damit gedient, dass man uns Leute auf die Univer-
sität schickt, die. über Kunst schwatzen können, sondern solche, die sie praktisch studiert
haben und von Liebe zu ihr erfüllt sind. Wir haben schon schwer genug an dem Dilettan-
tismus in allen Realien zu tragen, der durch die einseitig philosophische Geistesrichtung
unseres früheren Erziehungssystems gross gezogen worden ist. Möge man wenigstens die
Schulen damit verschonen.“
.Wir. glauben nicht, dass jemals mit so viel Verständnis und mit solchem Nachdruck
zugleich diese Fragen, die mit der Existenz und dem Beruf des Zeichenlehrers so eng ver-
wachsen sind, behandelt wurden. Das sind herrliche Worte, die wir sonst nicht gewohnt
sind zu hören, die aber gerade deshalb, weil sie von so berufener Seite kommen, doppelt
gewichtig sind. Möchten sie doch nicht ungehört verhallen bei unseren Behörden ! Möchte
 
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