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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 9.1929

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Heft 1 (Januar 1929)
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Behm, Walther: Synoptik
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Müller, F.: Kind und nicht mehr Kind
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https://doi.org/10.11588/diglit.27999#0010

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wenlger mik Lichierscheinungen durchsehk, plastische
Elemenke spielen eine bevorzugke Rolle. Fast immer
wird in der driiten Dimension gesehen, jedoch mit
einer neuartigen Perspeklive, welche sich an die
Wirklichkeik nicht anlehnt. Oefters kommen Ver-
schiebungen der perspektivischen Ebene vor, völliger
Charakterwechsel in einer Erscheinung, gleichsam als
ob nichk mit einem, sondern mit mehreren Augen-
paaren gesehen wird von verschiedenen Seiten. Die
mittelalterlichen Renaissancebilder, z. B. der Genter
Altar, zeigen gelegentlich solche Durchkreuzungen.
Zwischen diesen beiden entgegengesehten Typen steht
noch ein weiterer. der sowohl laufend als auch starr
synoptisch sieht.

Bei einer ganzen Reihe der Synästhetiker kommen
die Photismen direkt bei der Musik, bei anderen
zum Teil viel später, häufig kurz vor dem Ein-
schlafen. Diese Tatsache schafft wieder eine Berbin-
dung zu der Erscheinung der „hypnagogen" Bilder,
die man häufig, besonders nach aufregendem Tages-
lauf, im Dämmerungszustand kurz vor dem Ein-
schlafen hat.

Aus dieser kurzen Skizzierung kann auch der nicht
eingewechte Leser wohl ersehen, dast sich interessante
Ausblicke für kommende Zeiten eröffnen. Bielleicht
wird sich manch ungeklärtes Rälsel der bildenden
Kunst auf diesem Wege erklären lasien.

Der Berfasser, selbst Synästhekiker, gibt diesem
Artikel eine Reihe eigener Arbeiken bei, die in leh-
ter Zeit enkstanden sind. stm folgenden wird eine
kurze Unterlage dazu gegeben. Es must dem Leser
selbst überlassen bleiben, die einzelnen Photlsmen zu
beurteilen. Die Synopsie des Berfasiers gehört dem
rein tetanoiden komplexen Typus an.

Die einzelnen Erscheinungen sind durchweg pla-
stischer Natur, z. T. in ungeheuren Ausmasien, aus
Glas bzw. einem stumpfen weihen Mokerial be-
stehend, häufig mik Lichterscheinungen durchseht.. Es
herrscht eine Art „Negativcharakter", d. h. die Er-
scheinungen sind hell auf dunklem Unter- oder Hinter-
rund gesehen. Häufig tritt eine weite Perspektive
inzu. 3e nach dem Sinnesreizzustand überwog der
„statische" bzw. der „motorische" Sinn. Bei beson-
derer Lebhaftigkeit des statischen Sinnes erfolgte
eine „Berarbeitung" der harmonischen Beskandteile
der gehörten Musik. sRhythmus, Melodie, Har-
monie, die drei Bestandteile der Musik.) Bei der
Erregtheit des motorischen Sinnes spielten Rhyth-
mus und Melodie der Musik die entscheidende Rolle.
Die Raumtiefe, die bei der bevorzugten Darstellung
hell auf dunkel als ein wesentlicher Bestandteil gilt,
erhält überall eine bestimmle Charakterisierung, die
plastischen Phokismen treten als Alleingebilde über-
haupt nicht auf, sie stehen in starker Beziehung zum
umgebenden Raume. Häufig dient die Raumtiefe
zur Sichtbarmachung der stark erregten motorischen

Sinnlichkeik, während das plastische Photisma unker
statischen Gesichtspunkken stand (Raumtiefe-Motorik-
Melodie/Rhythmus: plastisches Photisma-Statik-Aar-
monie). Zum Beispiel Liszt II.Rhapsodie: Das Zak-
kenblatt im Bordergrund, die unker statischer Er-
regung erzeugte Berkörperung des ersten Teils, des
„L'assan". Der zweite Teil, der „Friska", erregte
besonders den mokorischen Sinn, er spielt bis weit
in die Hintergrundstiefe. Auch beim Trauermarsch
und dem Nocturne von Chopin spielt der Hinker-
grund beinahe die enkscheidende Rolle. Manches
meiner Photismen ist im Augenblick fertig und es be-
darf nur ber Ausführung in der Zeichnung. Andere
schweben zunächst undeutlich im Raum. stch sehe dte
Lage und den Gesamtcharakker der Erscheinung, ver-
mag es aber noch nicht festzuhalten, ja, die endgüt-
tige Hervorbringung der Gestaltung bereitek z. T.
grosie Anstrengung und dauert Wochen. 3ch bemühe
mich aber nur dann um die Hervorbringung, wenn
mir die Erscheinung gefällt, andernfalls lasie ich dte
undeutlichen Bilder wieder im Schohe der Bersen
kung verschwinden. Die 2.Rhapsodie stand zuerst
auch nur als spiralig gedrehter, gesägker Körper auf
einer weiken Fläche, erschien bann aber ganz plötz-
lich in vorliegender Form. Es kommt seyr häufig,
daß ein Photisma während des Hörens als ,.gra-
phische Darstellung" aufgezeichnet wird (vergletchbar
mik den neuen „Tanzschriften"), dann aber plötzlich
Form gewinnk. Die graphische Berfchriftung gibt
bann aber den Gesamtcharakter. Am beutlichsten
empfand ich das bei der Pathstiquesonate. stm all-
gemeinen bildet diese Form aber bet mir die Aus-
nahme. 3n der Regel erscheint das Gebilde fertig
unb feststehend, nie in fließender Bewegung. Beson-
ders charakteristische und von mir bevorzugte Musik-
und Orchesterstücke sowie Komponisien (Liszk, Brahms,
Chopin, Tschaikowsky) erzeugen viel eher ein Pho-
tisma als andere Muflk, die mir speziell weniger
zusagk, doch, wenn es barauf ankommt, geht es aoch
auf „Bestellung". Gesang hak bisher mit einer AuS-
nahme die Entstehung eines PhotismaS verhindert,
cinzig der F-Moll-Mesie von Bruckner ist es ge-
glückt. Ganz selken erscheink ein Photisma ganz
schwach gefärbt. Die meisten entstehen bel wachem
Zustand, bei klarer Desinnung und offenen Augen,
doch müssen die Sehachsen auf „unendlich" eingestellk
sein. Haftung des Blickes an einem bestimmten
Gegenstand unker Scharfeinstellung der Perlpektive
stört die Entstehung eines Photismas heträchtlich.

cim Laufe meiner Unkerrichtstätigkeit als Zeichen-
lehrer habe ich häufig mit Schülern Bersoche in die-
ser Richtung angestellk. Eine Fülle reicher Phankafle
entfaltete sich da und hat bewirkk, daß ich mich im
Laufe der Zeit in die Reihe der überzeugtqn An-
hänger der Gesellschaft für Farbe-Tonforschung ge-
ftellt habe.

Kind nnd nicht mehr Kind

Von F. Müller.

lln Aufsätzen, Büchern und Borträgen über den
bildhafken Ausdruck der Iugend ist heutzukage fast
nur vom „Kind" die Rede. Gemeint ist aber immer,
wie aus den betreffenden Ausführungen hervorgeht,
nichk das Kind an sich, jondern ganz allgemein der
Schüler und zwar der am Kunstunterricht der höheren

Schulen bekeiligte Schüler jeden Alters. Man ahnt
zwar die Absicht dieser Bezeichnung. aber es ist nicht
ersichtlich, mit welchem Recht sie gebraucht wirb.
Modesache mag es zum Teil sein, vielleichk auch nux
Nachplappern eines Schlagwortes, vielfach aber doch
wohl bewußter Wille.
 
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