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zum bildhafien Ausdruck. Er gehört ja zu den Ur-
ausdrucksformen, deren der Mensch fcchig ist, er ist
verwandt mit der Geste, der ältesten und gemein-
verständlichsten Ausdrucksform, und er ist viel älter
als die Sprache, die ihn nun als kluge Schwester
gern ersetzen möchte und doch nichk ersetzen kann.
Welche überragende Rolle, im Leben schon retn
äußerlich der bildhafke Auschruck spielt, dessen wür-
den wir uns erst bewußt wsrden, wenn wir ihn plöh-
lich nicht mehr hätten. Wir sind an bildliche Dar-
stellungen, die uns auf Schritt und Trttk begleiten,
so gewöhnk, daß wir pns unsere Kulkur ohne ste
einfach nicht vorstellen können. Selbst die Bild-
reportage in den Tageszeijungen betrachten wir im
Gelste unserer Zeit als etwas Selbstverständliches.
Wie sehr vermissen wir im Rundfunk in den soge-
nannten Sendespielen das Blld der Handlung und
wie bemüht man sich aus dieser Empfindung heraus
um das Problem des Bildfunks! Es will nichks sagen,
wenn wenig Bilder als Wandschmuck gekaufk wer-
den: unsere wirkschaflliche Berarmung und die neu-
zeitliche Gestalkung unserer WohnungsverhSItnisie
tragen daran die Schuld. Michtiger ober als aü
diese äußeren Bilder stnd die in unserer Seele le-
benden inneren Bilder, die Vorstellungen, denen
unbestreitbax affekkive und mokorijche Kräfte inne-
wohnen. Durch Bewegung sind sie entstanden, Be-
wegung ist auch ihr Leben «nd Mirken.
Das seelische Leben der inneren Bilder, von dem
hier gesprochen wtrd, fällt zum größken Teil zu-
sammen mtt dem Begriff Phankasie und —
soweit es sich um den motorischen Ausdruck der
inneren Bilder handelt — mit der schöpferi-
schen Phaniäste, von der wir hier den bildhaft
gestaltenden Teil ins Auge fassen. Wenn unsere
Gegner behaupten, die bildhafte Gestaltungskrafk
sterbe nach vollendeter Geschlechtsreife ab, so be-
haupten ste damit auch, dah die schöpferische Phanta-
fle absterbe, datz also nach diesem Zeitpunkke nichts
mehr erfunden, ersonnen und neu geschaffen werden
könne, denn zu allen Erfindungen und Neuschöp-
fungen bildet die schöpferische Phantaste die Urzelle.
Das können selbst unsere Gegner nicht leugnen.
Durch viele Selbstzeugnisie hervorragender Erfin-
der wird bestätigt, daß lhnen zunächst etn Bild des
zu Schaffenden vorgeschwebt habe. das ihre ganze
Seele ersüllte und ihnen keine Ruhe ließ, bis ste
durch vieles Nachdenken und Versuchen das Werk
zustande brachlen. Zuerst in dunkler Ahnung streckt
die Phantaste ihre Hand aus in das Reich der
Möglichkeiken und verarbeitet das Geschaute gemein-
sam mit dem Verstande. Herbark hat einmal gesagt,
es sei zweifelhaft, ob Newton oder Shakespeare
mehr Phantasie gehabt habe. Er stellt das reiche Dich-
tergenie und den strengen Naturwisienschafkler hin-
sichtlich ihrer schöpfertschen Phantasie auf gleiche
Stufe. Keppler hat bekannt, daß ihn das Bild der
von Pythagoras gelehrten Sphärenharmonie geleitet
habe, als er seine Gesehe von den Bahnen der Pla-
neken fand. Hinker allen Vernunftschlüssen der gro-
hen Gelehrten gibt es etwas, das stch nichk erlernen,
yöchstens vorbereiten läßt: die schöpferische Phan-
tasie.
Der französische Psycholog Th. Ribot has in seinem
um 1900 erschienenen Werk „ll'imsgination oröa-
triqs" stch über die Entwicklung der schöpferischen
Phantafie dahin geäutzert, daß während der „Pu-
bertätsentwicklung" eine kritische Zeit eintreke, in
welcher ein „Ankagonismus zwischen Vernunft und
Phankasie" erkennbar sei. Die reine Phantaste, als
welche flch die kindliche > Phantaste darstellk„ erleide
dabei eine Ilmformung und bestehe fortan Metst als
gemischte Phantafle, d. h. als ein Gemisch (besier:
Ergebnis) von Phankaste ünd Vernunfk. Äanz aus-
gelöscht aber sei damit did reine Phantäfle nie-
mals, wenngleich sie fortan im gewöhnlichen Leben
keine bedeukende Rolle spiele, außer bei den „Phan-
tastemenschen", Dichkern und bildenden Künstlern. Iln
ihrer neuen Form aber. bestehe die schöpferische
Phantafle neben -er Vernunst «nd halke flch mtt ihr
auf gleicher Höhe. — Ribot zeichnek zwei KurvLn,
welche Phankaste und Vernunft in ihrem Verlaof
darstellen. Die Kurve der Phankaste erhebk flch früh,
zunächst langsam, steigt dann aber rapid zur Höhe
und stnkk nach der kritischtn Zeit — soweik es flch
umreine Phankafle handelk, entweder läNgsaM ad,
ohne die Nullinie zu erreichen, oder bletbk, wie bei
den „Phankaflemenschen" und als „umgeformke"
Phantafle, in gleicher Höhe. Die zweike Kurve, die
Kurve der Vernunft, begjnnk spät, steigt stettg und
erreicht an dem angenommeney kritischen Zeitpunkk
die Kurve der Phantafle. um dann in gleicher Höhe
zu verharren.
Mir scheint» diese Darlegllngen Atbots, gegen die.
ich im ganzen nichts elnwenden möchke, flnd von -Ln
Psychologen, die seine Lehre übernommen haben,
mihverstanden worden. Die abflnkende Kurve -er
kindli chen Phantafle, die hier als reine Phan-
tasie bezeichnek wird, hat es ihnen angetan. Sie sehen
diese Kurve als Darstellüng des Verlaufs der schöp-
ferischen Phantaste übechaupk an und rechnen das,
was der Verfasier unter „Amformungen" , versteht,
überhaupt nicht yrchr zur Phantafl«. Das gibk dann
den Irrkum von deM Absterben des bildhastenGestal-
kungstriebeS bei der Geschlechtsreife. Rikjst hat, wie
er sagk, seine Lehre a«s der Erfahrung geschSpfk und
aus thr müsie ste auch erklärt und gerechtferttgt wer-
den. Dtese Erklärung und.Rechkfertigung liegt für
niemand näher als für die Lchrer des bildhaften
Gestalkens, die Zelchenlehrer. Wir haben, wenn uns
schon die tiefgehende phisosophische Schulung zumeist
sehlen mag, doch den nicht zu überschenden Vortell,
unsere Erfahrungen auf diesem Gebiet täglich vnd
stündlich zu machen, durch viele siahrzchnte hindurch
und mik den verschiedensten Schülerpersönlichketten.
Es köNnen uns auch die Erscheinungen, die auf eine
Minderung oder Veränderüng der jugendlichen Ge-
skaltungskraft hinzudeuten geeignet stnd, gar ntcht
verborgen bleiben, weil fle flch uns dauernd in den
Schülerarbeiten gewisiermaßen dokumenkarisch dar-
stellen, und wir sind gezwungen, wenn wir überhaupt
erziehllch einwirken wollen, den Ilrsachen solcher Er-
scheinungen nachzugehen, auch wenn wir nicht wie
die Berufspsychologen wisienschastllche Forschung be-
treiben. Wir sollten, wenn Erfahrung eine Haupt-
quelle psychologischer Erkenntnis ist, unsere Erkennk-
nis nicht zurückhalten, sobald fle eine wichtige Frage
des Seelenlebens betrifst, wie sie die Entwicklung
der schöpferischen Phantasie und insbesondere Ler
bildhaften Gestaltungskraft darstellk.
zum bildhafien Ausdruck. Er gehört ja zu den Ur-
ausdrucksformen, deren der Mensch fcchig ist, er ist
verwandt mit der Geste, der ältesten und gemein-
verständlichsten Ausdrucksform, und er ist viel älter
als die Sprache, die ihn nun als kluge Schwester
gern ersetzen möchte und doch nichk ersetzen kann.
Welche überragende Rolle, im Leben schon retn
äußerlich der bildhafke Auschruck spielt, dessen wür-
den wir uns erst bewußt wsrden, wenn wir ihn plöh-
lich nicht mehr hätten. Wir sind an bildliche Dar-
stellungen, die uns auf Schritt und Trttk begleiten,
so gewöhnk, daß wir pns unsere Kulkur ohne ste
einfach nicht vorstellen können. Selbst die Bild-
reportage in den Tageszeijungen betrachten wir im
Gelste unserer Zeit als etwas Selbstverständliches.
Wie sehr vermissen wir im Rundfunk in den soge-
nannten Sendespielen das Blld der Handlung und
wie bemüht man sich aus dieser Empfindung heraus
um das Problem des Bildfunks! Es will nichks sagen,
wenn wenig Bilder als Wandschmuck gekaufk wer-
den: unsere wirkschaflliche Berarmung und die neu-
zeitliche Gestalkung unserer WohnungsverhSItnisie
tragen daran die Schuld. Michtiger ober als aü
diese äußeren Bilder stnd die in unserer Seele le-
benden inneren Bilder, die Vorstellungen, denen
unbestreitbax affekkive und mokorijche Kräfte inne-
wohnen. Durch Bewegung sind sie entstanden, Be-
wegung ist auch ihr Leben «nd Mirken.
Das seelische Leben der inneren Bilder, von dem
hier gesprochen wtrd, fällt zum größken Teil zu-
sammen mtt dem Begriff Phankasie und —
soweit es sich um den motorischen Ausdruck der
inneren Bilder handelt — mit der schöpferi-
schen Phaniäste, von der wir hier den bildhaft
gestaltenden Teil ins Auge fassen. Wenn unsere
Gegner behaupten, die bildhafte Gestaltungskrafk
sterbe nach vollendeter Geschlechtsreife ab, so be-
haupten ste damit auch, dah die schöpferische Phanta-
fle absterbe, datz also nach diesem Zeitpunkke nichts
mehr erfunden, ersonnen und neu geschaffen werden
könne, denn zu allen Erfindungen und Neuschöp-
fungen bildet die schöpferische Phantaste die Urzelle.
Das können selbst unsere Gegner nicht leugnen.
Durch viele Selbstzeugnisie hervorragender Erfin-
der wird bestätigt, daß lhnen zunächst etn Bild des
zu Schaffenden vorgeschwebt habe. das ihre ganze
Seele ersüllte und ihnen keine Ruhe ließ, bis ste
durch vieles Nachdenken und Versuchen das Werk
zustande brachlen. Zuerst in dunkler Ahnung streckt
die Phantaste ihre Hand aus in das Reich der
Möglichkeiken und verarbeitet das Geschaute gemein-
sam mit dem Verstande. Herbark hat einmal gesagt,
es sei zweifelhaft, ob Newton oder Shakespeare
mehr Phantasie gehabt habe. Er stellt das reiche Dich-
tergenie und den strengen Naturwisienschafkler hin-
sichtlich ihrer schöpfertschen Phantasie auf gleiche
Stufe. Keppler hat bekannt, daß ihn das Bild der
von Pythagoras gelehrten Sphärenharmonie geleitet
habe, als er seine Gesehe von den Bahnen der Pla-
neken fand. Hinker allen Vernunftschlüssen der gro-
hen Gelehrten gibt es etwas, das stch nichk erlernen,
yöchstens vorbereiten läßt: die schöpferische Phan-
tasie.
Der französische Psycholog Th. Ribot has in seinem
um 1900 erschienenen Werk „ll'imsgination oröa-
triqs" stch über die Entwicklung der schöpferischen
Phantafie dahin geäutzert, daß während der „Pu-
bertätsentwicklung" eine kritische Zeit eintreke, in
welcher ein „Ankagonismus zwischen Vernunft und
Phankasie" erkennbar sei. Die reine Phantaste, als
welche flch die kindliche > Phantaste darstellk„ erleide
dabei eine Ilmformung und bestehe fortan Metst als
gemischte Phantafle, d. h. als ein Gemisch (besier:
Ergebnis) von Phankaste ünd Vernunfk. Äanz aus-
gelöscht aber sei damit did reine Phantäfle nie-
mals, wenngleich sie fortan im gewöhnlichen Leben
keine bedeukende Rolle spiele, außer bei den „Phan-
tastemenschen", Dichkern und bildenden Künstlern. Iln
ihrer neuen Form aber. bestehe die schöpferische
Phantafle neben -er Vernunst «nd halke flch mtt ihr
auf gleicher Höhe. — Ribot zeichnek zwei KurvLn,
welche Phankaste und Vernunft in ihrem Verlaof
darstellen. Die Kurve der Phankaste erhebk flch früh,
zunächst langsam, steigt dann aber rapid zur Höhe
und stnkk nach der kritischtn Zeit — soweik es flch
umreine Phankafle handelk, entweder läNgsaM ad,
ohne die Nullinie zu erreichen, oder bletbk, wie bei
den „Phankaflemenschen" und als „umgeformke"
Phantafle, in gleicher Höhe. Die zweike Kurve, die
Kurve der Vernunft, begjnnk spät, steigt stettg und
erreicht an dem angenommeney kritischen Zeitpunkk
die Kurve der Phantafle. um dann in gleicher Höhe
zu verharren.
Mir scheint» diese Darlegllngen Atbots, gegen die.
ich im ganzen nichts elnwenden möchke, flnd von -Ln
Psychologen, die seine Lehre übernommen haben,
mihverstanden worden. Die abflnkende Kurve -er
kindli chen Phantafle, die hier als reine Phan-
tasie bezeichnek wird, hat es ihnen angetan. Sie sehen
diese Kurve als Darstellüng des Verlaufs der schöp-
ferischen Phantaste übechaupk an und rechnen das,
was der Verfasier unter „Amformungen" , versteht,
überhaupt nicht yrchr zur Phantafl«. Das gibk dann
den Irrkum von deM Absterben des bildhastenGestal-
kungstriebeS bei der Geschlechtsreife. Rikjst hat, wie
er sagk, seine Lehre a«s der Erfahrung geschSpfk und
aus thr müsie ste auch erklärt und gerechtferttgt wer-
den. Dtese Erklärung und.Rechkfertigung liegt für
niemand näher als für die Lchrer des bildhaften
Gestalkens, die Zelchenlehrer. Wir haben, wenn uns
schon die tiefgehende phisosophische Schulung zumeist
sehlen mag, doch den nicht zu überschenden Vortell,
unsere Erfahrungen auf diesem Gebiet täglich vnd
stündlich zu machen, durch viele siahrzchnte hindurch
und mik den verschiedensten Schülerpersönlichketten.
Es köNnen uns auch die Erscheinungen, die auf eine
Minderung oder Veränderüng der jugendlichen Ge-
skaltungskraft hinzudeuten geeignet stnd, gar ntcht
verborgen bleiben, weil fle flch uns dauernd in den
Schülerarbeiten gewisiermaßen dokumenkarisch dar-
stellen, und wir sind gezwungen, wenn wir überhaupt
erziehllch einwirken wollen, den Ilrsachen solcher Er-
scheinungen nachzugehen, auch wenn wir nicht wie
die Berufspsychologen wisienschastllche Forschung be-
treiben. Wir sollten, wenn Erfahrung eine Haupt-
quelle psychologischer Erkenntnis ist, unsere Erkennk-
nis nicht zurückhalten, sobald fle eine wichtige Frage
des Seelenlebens betrifst, wie sie die Entwicklung
der schöpferischen Phantasie und insbesondere Ler
bildhaften Gestaltungskraft darstellk.