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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 18.1938

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Heft 1 (Januar 1938)
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Klauss, Otto: Der "Bildteppich" als künstlerisches Gestaltungsprinzip und als bildnerische Aufgabe in der Schule
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https://doi.org/10.11588/diglit.28172#0010

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„beleben, erhöhcn, weihen, krastspenden". Darum iiber-
zieht er alles, was zum ücbcn gchört und lebendig mit
dem Mcnschcn in Vcrbindung stchcn soll: der Schmuck und
das Gcschmückte hat Lrauchtumswert (Ronrad Hahm).
So ist es bcim einfältigen, religiös und mythisch den Din-
gen verhafteten Menschen der srnhen Zeit und des Bauern-
tums. Bei unseren 'Lindern ist es cinsacher, kindlichcr.
Das Schmückcn ist ein Spicl ohne Absicht, das die Dinge
„schön" machen will. Der Schmuck „spricht" mit den Din-
gen und ;u uns. Es liegt dicsclbe geheime Liebe wie dort
in diesem Tun, und eine instinktstchere, gestaltnerische
Rraft, die wcscn- und seelenvcrwandt ist allem Schassen
in der „Rindheit dcr Runst". wenn in der Echtheit dcr
Empsindung ciner Darstcllung das Gcheimnis der Volks-
kunst ruht (Hans Thoma), und alles, was mit hingebcnd-
ster üiebe gemacht ist, Runst ist (Ad. Hölzel), so liegen
auch im Rindc Ansätze und Möglichkeiten dazu vor, die
cs nur ;u hegen gilt.

Die wachstumsparallelen sind uns wertvolle „2lus-
schlüsse". Aber wir müffen sie praktisch auswerten, d. h.
wir müffen die Leistung der srühen und der Bauernkunst
bcispielhaft — nicht als Vorbild! — ;u Rate ;iehen, um
die wachstumsmäßig vorge;eichnete Gcstalt dcs Iugend-
lichen ;ur bildnerischen Gualität cmporsühren ;u können.
Und damit wollen wir bis an die Gren;e dcr schulischen
und individuellen Leistungsmöglichkcit gehen.

Der Stoffkrcis dieser parallelen aus der Runst ist fast
unausschöpfbar. Eine andeutende Aus;ählung gibt uns we-

lNalarbeit cines )5-Iährigen. Durchwirkung der schmalen
Rcchteckslächc mit einem Schristband im Sinne des goti-
schen wandbehanges.

nigstens die Möglichkeit, den Begriss „Bildteppich" nun
auch in seiner gan;en Breite ;u fassen und ;u beleuchten,
und schon hier mit Anregungen den Unterricht ;u besruch-
tcn. Gestaitungen, die das Gesctz des Deppichs erkennen las-
sen, sinden wir in der gan;en srühen, germanischen Zier-
kunst als Geräte- und wassenschmuck aller Art, Silbertau-
schierarbeiten, Lcderprägungen, Emaillcschmel;. und -ein
legearbeiten, Durchbrucharbeiten, Schnitzereien in der
Fläche, reliesartige Gestaltungen; diese Möglichkeiten er-
wcitern sich im Mittelalter und in der Renaissance aus
dem Gebiet des Runsthandwerks und wafsenschmucks ins
Endlose. Teppichartig gestalten die Buchmaler der roma-
nischen Zeit ihre Miniaturen, Anitialcn, Buchdeckel, Allu-
strationen. Die romanischcn wandtcppiche setzen sich sort
als gotischer wandbehang, als Mosaik und Farbscnster,
als Gobelin und Bildwirkerei bis in unserc Zeit, im bäuer-
lichen Gestaltungskreis lcben sie bis heute als Stofsdruck-
und Rnüpsteppich, als bcscheidene Hinderglasmalcrci und
als Fassadenschmuck, als Giebclscldmalcrei oder Schnit-
;erci, als putzkratzverfahren im Hausbau und als Truhe-,
Rasten- und Schachtelbemalung; im bürgerlichcn Schafsens-
kreis des Mittelalters greiscn Ziinfte und Stände den Tep-
pichgedanken aus und gcstaltcn ihn vielsältig aus, die
Heraldik und wappenkunst bcmächtigt sich dicscs gestalt-
nerischen Gedankcns und die großen Schrcibmeistcr machen
Bildteppiche aus ihren Urkunden und Ehrcnbriescn bis
in die heutige Zeit, um endlich im Schrifttcppich auch den
rcinen Teppich wicdcr ;u Ehren ;u bringen. Daß die ge«
samte wandmalcrei durch alle Zeiten einbe;ogcn werden
kann, licgt im wcsen der Sache bcgründet.

III. Die U n t e r r i ch t s a u s g a b e.

wenn hier der bestimmte Porschlag gemacht wird, den
Bildtcppich, in diesein ivciten Sinne genoinmen, als Ge-

staltungsaufgabe in den Unterricht ein;ubauen, und in
allen Stufen ;u pflegen, so ist das nicht ausschließlich ge-
ineint. Trotzdem besteht die Verpflichtung, den voraus-
geschickten Ueberlcgungen, noch eine grundsätzliche, metho-
disch gemeinte, an;uknüpsen. wie verhält sich diese Bild-
ausgabc ;u der Frage der Gestaltung des Räumlichen im
Lild;

Das Gesetz dec Fläche ist getragen vom Element des
„Dekorativen". Aber auch dcs Räumlichen. Das Räum-
liche tastcte sich — entwicklungsgeschichtlich gesehen — ;u-
crst leise als Rörper mit bcwußter plasti;ität in die
Fläche, bildete dann den „Raumkasten" und schob später
Flächen- b;w. Raumschichten langsam in die Ticfe. „Raum
als Fläche" gab dann piero della Francesca (Möller v.
d. Bc.). In Deutschland war Hans Holbein der Schöpser
dcr „perspektivischen Scheibe" (w. Stein). Aber er hielt
sich wie die frühen Italiener noch an die Architektur des
Flächenhaften. Dann löste die perspektivische Bildordnung
die slächenhaste für Aahrhunderte in der Führung ab.
Der malerische Allusionsraum ;erschlug die Bildsläche wie
eine Spiegelscheibe. Das „Bild" war da.

pinder* versteht unter einem Bild den „Fensteraus-
blick in die welt der Erscheinungen" und führt auch den
Ausspruch des Romantikers Larus an, vom Bild als dem
„sipicrten Blick," der die volle Einheit des perspektivisch
gesehenen Landschastsraumes anstrebe. Der Bildteppich —
in seiner weit gemeinten Form — steht diesem gemalten
Bild gegenüber wie die Romposition" (primär die Bild-
idee) ;um Motiv (primär die wahrnehmung durch das
Auge), und der Stil"* ;um Vsaturalismus. „Pcrspcktive
im Raum und als Erscheinung sührt ;ur Allusion; per-
spektive in der Fläche dagegen führt;um Stil" (Möller).
Es gehört eine geniale Bcgabung da;u, die Perspektive
in der Fläche künstlerisch ;u bewältigen; cs ist oft den
Besten unserer Rünstler nicht gelungen. Dieses Schicksal
müssen wir uns immer und immer wieder vor Augen
halten, wenn wir an Gestaltungsausgaben in der Schule
denken. Der Bildteppich darf sich noch begnügen mit
Raumschritten. Er versagt sich darum auch dem, der
„künstlerisch" gehen lernen will nicht gan;. Er hilft ihm.
Dic Fläche hät„Balken", an denen man sich halten kann.
Sie cnthält latent, aber dem Dastenden spürbar, ein Netz
von flächenordnenden Linien (denk an die Riffe und „Vi-
sierungcn" der Alten, aber benutze sie nicht!), in die der
Mensch sich nur ein;uspannen braucht, um gestaltend ;u
sein. wo dem Schwachen aber die architektonische Sprache
;u hoch ist, da genügt die Altersmundart: das Intime,
die Sprache der einfältigen, schmückenden Gebärde, des
Streuens, Reihens, Verdoppelns, Rahinens, Rapportie-
rens, im gan;en gcschen des Füllens, des sinnvollen
Dekorierens" der Bildsläche.

Die künstlerische wirkung und die Schönheit aller bild-
teppichartigen Gestaltungcn licgt in dcr Anschaulichkeit
und Einsachheit allcr Be;iehungcn untereinander. Linie
und Gegenlinie, Forminuster und Bildgrund, „gehöhtc"
Farbe und Bildgrundsarbe ordnen sich rhythmisch ;uein-
andcr, halten sich gleichgcwichtig die waage odcr ;eigen
ein spannungsreiches Spiel von federnden Rrästen. Ein
lückenloses Bildgewcbe, in dem jeder websehlcr sosort
ofsensichtlich wird, spannt sich über die Gbersläche dcs
Bildes. Der Spannungsgrad, die Dichte des Gcwcbcs,
verrät seinc Gualitätshöhe. Das Ansichruhcnde der To-
nigkeit und Farbigkcit alter Glassenster und ttkosai-
kcn, ihr „Samt"ton im Däinmer der gotischen Rirchen-
räume, hat etwas von ciner „Stosslichkeit", der ins Dast-
bare geht. Spürt sich nicht das Schrotblatt oder Schabc-
blatt eines alten Meisters mit den 2lugen an wie Samt,
altcs Gcspinst oder Liiinen; wie harte wcbsädcn sind
die Ronturen cinge;eichnet, krastvoll das Gan;c glicdernd

' p. pinder „Dic Runst der deutschen Raiser;cit".
" würtenberger, in Runst und Augend ior-1/ö u. <).
ttlöller van den Bruck „Die Italienische Schönheit".
 
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