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him Sollte denn dieses offenbar einmalige Formganze ein
Urphänomen" sein; — so fragen wir uns, und so muß
sich vor allem der Runsterklärer fragen. Trüge nämlich das
Runstwerk sein Formgesetz als einen in jeder Hinsicht ein-
maligen Ratschluß in sich, so wäre es mindestens unsrem
eigentlichen Erkennen unzugänglich, wir könnten es nur als
ein Sosein verbuchen, der voll verantwortliche Runsterklä-
rer wäre angesichts einer solchcn Sachlage ;um Schweigen
verurteilt.
Auf Grund unserer unbestreitbaren Einsichten über den
Bildbau der „woge" können wir nun kaum mehr be-
zweifeln, daß erkennender Einblick in das Formgeheimnis
von Runstwerken — wenigstens in gewiffen Fällen und
bis ;u cinem gewissen Grade — möglich ist, daß hier Aus-
sagen in Rcichweite sind und in die NLHe der Eviden; ge-
sührte Nachweise, — auch dann, wenn man sich Belang-
losigkeiten grundsätzlich verbietet. wie bei allem wissen-
schaftlichen Forschen heißt auch beim Erforschen der Form-
geheimniffe die Losung: Auf Bekanntes ;urückführen, die
Gesamterscheinung begreifen aus einem begreiflich geord-
neten Zusammenwirken und Zusammenhängen bekannterer
Einheiten, die ihrerseits dann weiterer Ergründung selber
nicht mehr ;ugänglich, also für uns „Urphänomene" sein
mögen. wir sind beim L>rdnungsgan;en der „woge" auf
solche bekanntere Untere Einheiten gestoßen, auf Form-
verläufe, die wir als typisch ansprechen müssen, als be-
kannte einfache Grdnungstatsachen, — wir nannten sie ge-
legentlich Grundformen, man erinnere sich der „Stur;-
welle", der „wal;e", dcs „Raumankers". Solche Grund-
formen sind uns aus der welt des augenfällig Geformten
in HUlle und Fülle vertraut. Man darf bei dem worte
Grundform keineswcgs ausschließlich an die geometrischen
und streometrischen Grundformen denken.
Es gibt neben diesen gan; allgemeine Einheiten
der Form, worunter man ;. B. auch die von Heinrich
wölfflin aufgestelltcn Rategorien ;ählen muß, und es gibt
„höchst besondere Grundformen". Gerade die letzteren sind
uns häufig nicht unter einem von der formalen Sicht her
cigentlichen Namen bekannt, sondern im Bilde
irgendeincr dinglichen Einkleidung, aus dem Bau der
pflan;en, so etwa die pil;form, die aufgebogene Rosette,
die Rispe, aus der welt unserer Geräte, werk;euge und
Rleider, also ;. B. die Gabel, die Zange, die Stulpe, oder
etwa von den schematischen Darstellungen irgendeines-
physikalischen Prin;ips wie beim Hebel. Auch eine Dreppe
;. B. ift in diesem Sinne eine höchst besondere Grund-
form, und etwas, das ich als „kaskadenhaft gestuft" kenn-
;eichnen kann, ist damit in seiner Geformtheit schon sehr
weitgehend ergründet. lAenne ich den Bruchrand unserer
woge „verbrämt" — wobei das wort gan; ohne Tadel
gemeint ist, wic beim ;obelverbrämten Leibrock —, so ist
auch damit cin Tatbestand ausdrucklicher Formung auf-
ge;eigt, denn „Verbrämung" ist eine hochbesondere Art
der Rand;uordnung, für die es freilich keine unbildliche
Be;eichnung mchr gibt. — wir wcrden uns auch weiter-
hin immer wieder auf vertraute Formbilder berufen müs«
sen, aber es sei ein für allemal gesagt, daß wir dabei stets als
eigentliches tertium comparstionis die enthaltcne Form-
grunderscheinung meincn. Leider ist ;u eingehender Be-
gründung dcr Dinge hier kcin Raum.
Aber nun vollends ;um Entscheidcndcn! Grundformen
sind, wie schon der Name beweist, den wir ihnen beilegen:
„geformt". wenn sich nun, wie dies bei der „woge" allem
nach möglich war, aufweisen läßt, daß im Formgan;en
eines Runstwerks eine ein;ige eng bestimmte Formgrund-
erscheinung offensichtlich und entscheidend im Spiel ist,
etwa eine Schraubenlinie, ein Diadem, — oder daß ver-
schiedene Grundformen darin gegenwärtig sind, die kunst-
voll durch eine übergeordnete Grundform gruppiert wer-
den, vielleicht ;wei Dreppen, die sich nach dem Vorbild
des Rreu;es durchdringen, — so wäre dies gewiß kein
kleines; es wäre dann nämlich wirklich einigermaßen be-
greifbar, warum das untersuchte werk als geformt
auf uns wirkt. Die Grundformen wären es, denen der
verwickeltere Formtatbestand seinen allgemeinsten Grd-
nungscharakter verdankte. Auch auf die eigentümliche
Gan;heit des Runstwerks fiele dann ein klärendes Licht,
mindestens, sofern man bereit ist, der erkannten maß-
gebenden Grundform Gan;heit ;u;uerkennen. Endlich würde
möglicherweise die sättigende Rraft des Formgan;en er-
läutert durch die Tatsache, daß die ;ugehörige tragende
Grundform als ein aus vielen formal reichhaltigen Ein-
;elbeständen „gestelltes Bild" da ist, was eine starke und
damit eben „sättigende" Anreicherung ergeben muß. Ab-
gesehen von der rein schmückenden Bildnerei und der nack-
ten Steinbaukunst, bestehen die Runstwerke nun bekannt-
lich gan; allgemein nicht aus rein formalen Beständen,
sie sind vielmehr ausgestattet mit den verschiedensten
gcgenständlichen Abbildern. Auch von dieser Sicht
her wird klar, daß die beherrschenden Grundformen, wie
soeben bemerkt, „gestellte Bilder" sind. Sie müssen gleich-
sam „eingekleidet", ja „verkappt" auftrcten, d. h. im Ge-
wande bestimmter Dingformen oder Ding;usammenhänge.
Gerade die „woge" veranschaulicht gan; unvergleichlich,
was wir hier mcinen: Mit dem Motiv „Bergdreieck" im
Ausschnitt ciner wogensichel" ;. B. ist ja auch für das
Gesichtsfeld des durchschnittlichsten Mcnschen Gegen-
ständliches und Formales wie durch ein und das-
selbe Stichwort flottgemacht. Plicht jeder entdeckt in einem
werk wie Hokusais „woge" alsbald die tragenden Grund-
formen, trotzdem sind sie aber, sofern er Formgefühl be-
sitzt, für ihn gefühlswirksam. —
Nicht jeder RUnstlcr baut sich sein wcrk von Grund auf
selber, oft erhascht er bei menschlichen Rörpern eine pose,
die ihn sofort Uber;eugt, oder cr findet in der Natur ein
„Motiv"; hiec ist dann an;unehmen, daß ;ufällig schon die
Gruppierung der Destände des Motivs in eine ordnende
Grundform cinklingen, und daß deshalb der Rünstler sie
als vorgeformte Beute mit Beschlag belegt. Da, wie ge-
sagt, die Grundformen Allgemeingut sind, wäre mit unse-
rcn Annahmen ;ugleich erklärt, inwiefern ein wildfrem-
der, falls er eben nur den Blick besitzt für entnehmbäre
Form, auf der Stelle sachgercchtcn Be;ug ;u dem werk
des Rünstlcrs gewinnen kann.
An Anbetracht seines tiefgrcifenden Einklangs in ein
Allgemeingut wäre somit auch das originalste Runstwcrk
nicht mehr eine völlig voraussetzungslose Gffenbarung,
nicht schlechthin em V7eucs, als das wir es nicht selten cr-
leben, und wir könnten daraus dcn Mut schöpfen ;u
immer straffer geführter Runstcrgründung". —
Zur Bebilderung
des deutschen Lesebuches für Volksschulen, z. und 4. Gchuljahr
Von peter Seidensticker
Bilder;u cincm Lesebuch ;u bringcn, ist immcr schwie« büchcrn aufgcbaut war, die vor dcr Hcrausgabc des
r>8 gewesen. tZie ist mir das so klar geworden wie vor „Reichslescbuches" galten. Von dcr salopp hingeschlcn-
der Büchcrwand, dic aus sämtlichen dcutschcn Volksschul- kcrtcn „moderncn" Allustration über dcn „süßcn" Schc-
him Sollte denn dieses offenbar einmalige Formganze ein
Urphänomen" sein; — so fragen wir uns, und so muß
sich vor allem der Runsterklärer fragen. Trüge nämlich das
Runstwerk sein Formgesetz als einen in jeder Hinsicht ein-
maligen Ratschluß in sich, so wäre es mindestens unsrem
eigentlichen Erkennen unzugänglich, wir könnten es nur als
ein Sosein verbuchen, der voll verantwortliche Runsterklä-
rer wäre angesichts einer solchcn Sachlage ;um Schweigen
verurteilt.
Auf Grund unserer unbestreitbaren Einsichten über den
Bildbau der „woge" können wir nun kaum mehr be-
zweifeln, daß erkennender Einblick in das Formgeheimnis
von Runstwerken — wenigstens in gewiffen Fällen und
bis ;u cinem gewissen Grade — möglich ist, daß hier Aus-
sagen in Rcichweite sind und in die NLHe der Eviden; ge-
sührte Nachweise, — auch dann, wenn man sich Belang-
losigkeiten grundsätzlich verbietet. wie bei allem wissen-
schaftlichen Forschen heißt auch beim Erforschen der Form-
geheimniffe die Losung: Auf Bekanntes ;urückführen, die
Gesamterscheinung begreifen aus einem begreiflich geord-
neten Zusammenwirken und Zusammenhängen bekannterer
Einheiten, die ihrerseits dann weiterer Ergründung selber
nicht mehr ;ugänglich, also für uns „Urphänomene" sein
mögen. wir sind beim L>rdnungsgan;en der „woge" auf
solche bekanntere Untere Einheiten gestoßen, auf Form-
verläufe, die wir als typisch ansprechen müssen, als be-
kannte einfache Grdnungstatsachen, — wir nannten sie ge-
legentlich Grundformen, man erinnere sich der „Stur;-
welle", der „wal;e", dcs „Raumankers". Solche Grund-
formen sind uns aus der welt des augenfällig Geformten
in HUlle und Fülle vertraut. Man darf bei dem worte
Grundform keineswcgs ausschließlich an die geometrischen
und streometrischen Grundformen denken.
Es gibt neben diesen gan; allgemeine Einheiten
der Form, worunter man ;. B. auch die von Heinrich
wölfflin aufgestelltcn Rategorien ;ählen muß, und es gibt
„höchst besondere Grundformen". Gerade die letzteren sind
uns häufig nicht unter einem von der formalen Sicht her
cigentlichen Namen bekannt, sondern im Bilde
irgendeincr dinglichen Einkleidung, aus dem Bau der
pflan;en, so etwa die pil;form, die aufgebogene Rosette,
die Rispe, aus der welt unserer Geräte, werk;euge und
Rleider, also ;. B. die Gabel, die Zange, die Stulpe, oder
etwa von den schematischen Darstellungen irgendeines-
physikalischen Prin;ips wie beim Hebel. Auch eine Dreppe
;. B. ift in diesem Sinne eine höchst besondere Grund-
form, und etwas, das ich als „kaskadenhaft gestuft" kenn-
;eichnen kann, ist damit in seiner Geformtheit schon sehr
weitgehend ergründet. lAenne ich den Bruchrand unserer
woge „verbrämt" — wobei das wort gan; ohne Tadel
gemeint ist, wic beim ;obelverbrämten Leibrock —, so ist
auch damit cin Tatbestand ausdrucklicher Formung auf-
ge;eigt, denn „Verbrämung" ist eine hochbesondere Art
der Rand;uordnung, für die es freilich keine unbildliche
Be;eichnung mchr gibt. — wir wcrden uns auch weiter-
hin immer wieder auf vertraute Formbilder berufen müs«
sen, aber es sei ein für allemal gesagt, daß wir dabei stets als
eigentliches tertium comparstionis die enthaltcne Form-
grunderscheinung meincn. Leider ist ;u eingehender Be-
gründung dcr Dinge hier kcin Raum.
Aber nun vollends ;um Entscheidcndcn! Grundformen
sind, wie schon der Name beweist, den wir ihnen beilegen:
„geformt". wenn sich nun, wie dies bei der „woge" allem
nach möglich war, aufweisen läßt, daß im Formgan;en
eines Runstwerks eine ein;ige eng bestimmte Formgrund-
erscheinung offensichtlich und entscheidend im Spiel ist,
etwa eine Schraubenlinie, ein Diadem, — oder daß ver-
schiedene Grundformen darin gegenwärtig sind, die kunst-
voll durch eine übergeordnete Grundform gruppiert wer-
den, vielleicht ;wei Dreppen, die sich nach dem Vorbild
des Rreu;es durchdringen, — so wäre dies gewiß kein
kleines; es wäre dann nämlich wirklich einigermaßen be-
greifbar, warum das untersuchte werk als geformt
auf uns wirkt. Die Grundformen wären es, denen der
verwickeltere Formtatbestand seinen allgemeinsten Grd-
nungscharakter verdankte. Auch auf die eigentümliche
Gan;heit des Runstwerks fiele dann ein klärendes Licht,
mindestens, sofern man bereit ist, der erkannten maß-
gebenden Grundform Gan;heit ;u;uerkennen. Endlich würde
möglicherweise die sättigende Rraft des Formgan;en er-
läutert durch die Tatsache, daß die ;ugehörige tragende
Grundform als ein aus vielen formal reichhaltigen Ein-
;elbeständen „gestelltes Bild" da ist, was eine starke und
damit eben „sättigende" Anreicherung ergeben muß. Ab-
gesehen von der rein schmückenden Bildnerei und der nack-
ten Steinbaukunst, bestehen die Runstwerke nun bekannt-
lich gan; allgemein nicht aus rein formalen Beständen,
sie sind vielmehr ausgestattet mit den verschiedensten
gcgenständlichen Abbildern. Auch von dieser Sicht
her wird klar, daß die beherrschenden Grundformen, wie
soeben bemerkt, „gestellte Bilder" sind. Sie müssen gleich-
sam „eingekleidet", ja „verkappt" auftrcten, d. h. im Ge-
wande bestimmter Dingformen oder Ding;usammenhänge.
Gerade die „woge" veranschaulicht gan; unvergleichlich,
was wir hier mcinen: Mit dem Motiv „Bergdreieck" im
Ausschnitt ciner wogensichel" ;. B. ist ja auch für das
Gesichtsfeld des durchschnittlichsten Mcnschen Gegen-
ständliches und Formales wie durch ein und das-
selbe Stichwort flottgemacht. Plicht jeder entdeckt in einem
werk wie Hokusais „woge" alsbald die tragenden Grund-
formen, trotzdem sind sie aber, sofern er Formgefühl be-
sitzt, für ihn gefühlswirksam. —
Nicht jeder RUnstlcr baut sich sein wcrk von Grund auf
selber, oft erhascht er bei menschlichen Rörpern eine pose,
die ihn sofort Uber;eugt, oder cr findet in der Natur ein
„Motiv"; hiec ist dann an;unehmen, daß ;ufällig schon die
Gruppierung der Destände des Motivs in eine ordnende
Grundform cinklingen, und daß deshalb der Rünstler sie
als vorgeformte Beute mit Beschlag belegt. Da, wie ge-
sagt, die Grundformen Allgemeingut sind, wäre mit unse-
rcn Annahmen ;ugleich erklärt, inwiefern ein wildfrem-
der, falls er eben nur den Blick besitzt für entnehmbäre
Form, auf der Stelle sachgercchtcn Be;ug ;u dem werk
des Rünstlcrs gewinnen kann.
An Anbetracht seines tiefgrcifenden Einklangs in ein
Allgemeingut wäre somit auch das originalste Runstwcrk
nicht mehr eine völlig voraussetzungslose Gffenbarung,
nicht schlechthin em V7eucs, als das wir es nicht selten cr-
leben, und wir könnten daraus dcn Mut schöpfen ;u
immer straffer geführter Runstcrgründung". —
Zur Bebilderung
des deutschen Lesebuches für Volksschulen, z. und 4. Gchuljahr
Von peter Seidensticker
Bilder;u cincm Lesebuch ;u bringcn, ist immcr schwie« büchcrn aufgcbaut war, die vor dcr Hcrausgabc des
r>8 gewesen. tZie ist mir das so klar geworden wie vor „Reichslescbuches" galten. Von dcr salopp hingeschlcn-
der Büchcrwand, dic aus sämtlichen dcutschcn Volksschul- kcrtcn „moderncn" Allustration über dcn „süßcn" Schc-