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Bild i : Mädchen aus dem Nösnergau beim Rirchgang vor
der ältesten Rirche des nördlichen Siebenburgen, der roma>
nischen Basilika von Mönchsdorf.
(Gemälde V7orbert Thomaes, io;7-)
2m tlZordosten Siebcnbürgens, im )7lös«iergau, wohnen
rund L5ooo deutsche Rolonisten in etwa ;o Gemeinden
zwischen anderen Völkern zerstreut, räumlich gctrennt von
den übrigen „Sachsen" des mittleren und südlichen Sieben-
bürgen. Ein gutes Fünftel davon bewohnt den Vorort die-
ses Rreises, das Städtchen Bistritz (einst Nösen). Nur eine
Gehstunde weit von dcr Stadt liegt in einem malerischen,
engen Talkefsel das Dörschen windau mit wcnigen hun-
dert karg begütertcn „sächsischen" Baucrn. Als sei die Ar-
mut der Erhaltung alten Rulturgutes und der Vererbung
der Volkskunst förderlich, finden wir hier die alten, von
seinstem Stilgefühl zeugcnden Grachten am vollkommenstcn
und reinstcn erhalten (Bild i). 2n ihren schönsten Stücken
noch durchwegs haus- und handgcarbeitct, sind sie in nn-
nachahmlich sörgfältiger Geduldarbcit fein gesältelt („ge-
klaubt"), gereiht und das „Gcrcihsel" durch schwarze, ;u
uralten stilvollen" Mustern durchgczogenc Fädcn zusam-
mengehalten oder bcstickt. Aus unzerschnittcncn vicreckigen
Linnenstückeii, nur durch „Gereihscl" und Fältelung in die
cntsprcchende, gutsitzende Form gcbracht, sind diese Trach-
tcnstücke wohl schönste Schulbcispiele fiir cinen ungekünstel-
Bild r: Gstcreier aus Vl?indau (Siebenbürgen).
windauer
Ein Stückchcn dcutscher
Von profeffor Norbert
tcn, naivcn — ja ich möchte sagen: unbeabsichtigtcn —
Zweck- und Materialstil von hohem künstlerischen Formen-
reichtum. Und so viel Schönheit, so vicl künstlerische Form
schaffcn und erfinden Frauenhände, die im Ruhstall und
auf dem Maisfeld in harter Arbeit schwielig geworden.
Abcr nicht von Drachten soll jetzt besonders die Redc
sein. lTsur von einem gan; bescheidenen, aber reizvollen
kleinen Gebiete echter Volkskunst, das gan; bcsonders ge-
eignct ist, unseren Schulcn, Mädchen und Frauen An«
rcgung ;u selbstschöpferischer Betätigung ;u geben.
Die „geschriebenen" Gstcreier sind wohl mehr oder wc-
niger übcrall heimisch, wo Volkskunst gedeiht. Nirgend
aber konnte ich Aeußerungen so überaus bewcglicher phan-
tasie finden wie bei den „roten Eichen" der windauer
Frauen.
Die Bildcr r und ; zeigen ausschließlich windauer Gster«
eier (meist rot, einige dunkelblau oder grün. Auf Bild 4
sehcn wir Ostercier aus andcren, auch nichtsächsischen Ge-
gcnden Siebenbürgens. Trotz der ;. L. sehr guten deko«
rativcn wirkung ist bci letzteren eine Erstarrung in über-
kommcnen Formcn, meist auf geometrischer Grundlage, un-
vcrkennbar, während in windau kaum je ;wei gleichc
Gstereier ;u finden sind. wohl gibt cs auch da gewiffe her-
kömmliche Formcn, ;. B. „de Rusndeern" (die Rosendor-
ncn) r,i und ;,7 (Mitte) — cigentlich vier- oder acht-
achsigc Stcrnc — oder die phantastische ^auptblüte bei r,.
Loren; Reinhard Spitzenpfeil:
Gestaltung dcr Schrift a u s d c u t s ch e m
Geis t.
Dcr Rulmbacher Schrcibmcistcr Spitzenpseil hat eincn
Grundzug seiner Lehrc in „Runst und Augcnd", »^eft 4/17
bereits aufgcwiescn. wic cs abcr inimer ist: der Rerl
muß crst selbcr Rcde und llntivort stehcn, wenn die Lchre
gan; aufgeiionimen werdcn soll. was Meister Spitzcnpfeil
— mit seinen t>; Aahren springlebcndig und geistvoll —
vorzubringcn hatte, verriet nicht nur cincn Mcistcr dcr
Darbictung mit „wandhohen" Anschauungsmittelii, son-
dcrn eben anch eincn Meister dcs Stoffes. Dcnii Spitzcn-
pfcil hat uns allen ctwas ;u sagcn im Gcbict dcr Schrist-
pslegc.
Er ging von dcr Frage aus: was ist Dcutsch in
dcr Schrift; Das Gcbrochcne, Rnorrige, Eckigc, Spit-
;ige, Spitzwinkligc — dies köiiiic nur c i n Mcrkmal scin,
aber nicht das einzige; denn sonst müfite die Gotik die
deutsche Schrift schlechthin sein. Tatsächlich abcr ist dic
Schwabachcr, bcffer F r a k t u r, die trotz zeitwcisen Vcr-
Bild i : Mädchen aus dem Nösnergau beim Rirchgang vor
der ältesten Rirche des nördlichen Siebenburgen, der roma>
nischen Basilika von Mönchsdorf.
(Gemälde V7orbert Thomaes, io;7-)
2m tlZordosten Siebcnbürgens, im )7lös«iergau, wohnen
rund L5ooo deutsche Rolonisten in etwa ;o Gemeinden
zwischen anderen Völkern zerstreut, räumlich gctrennt von
den übrigen „Sachsen" des mittleren und südlichen Sieben-
bürgen. Ein gutes Fünftel davon bewohnt den Vorort die-
ses Rreises, das Städtchen Bistritz (einst Nösen). Nur eine
Gehstunde weit von dcr Stadt liegt in einem malerischen,
engen Talkefsel das Dörschen windau mit wcnigen hun-
dert karg begütertcn „sächsischen" Baucrn. Als sei die Ar-
mut der Erhaltung alten Rulturgutes und der Vererbung
der Volkskunst förderlich, finden wir hier die alten, von
seinstem Stilgefühl zeugcnden Grachten am vollkommenstcn
und reinstcn erhalten (Bild i). 2n ihren schönsten Stücken
noch durchwegs haus- und handgcarbeitct, sind sie in nn-
nachahmlich sörgfältiger Geduldarbcit fein gesältelt („ge-
klaubt"), gereiht und das „Gcrcihsel" durch schwarze, ;u
uralten stilvollen" Mustern durchgczogenc Fädcn zusam-
mengehalten oder bcstickt. Aus unzerschnittcncn vicreckigen
Linnenstückeii, nur durch „Gereihscl" und Fältelung in die
cntsprcchende, gutsitzende Form gcbracht, sind diese Trach-
tcnstücke wohl schönste Schulbcispiele fiir cinen ungekünstel-
Bild r: Gstcreier aus Vl?indau (Siebenbürgen).
windauer
Ein Stückchcn dcutscher
Von profeffor Norbert
tcn, naivcn — ja ich möchte sagen: unbeabsichtigtcn —
Zweck- und Materialstil von hohem künstlerischen Formen-
reichtum. Und so viel Schönheit, so vicl künstlerische Form
schaffcn und erfinden Frauenhände, die im Ruhstall und
auf dem Maisfeld in harter Arbeit schwielig geworden.
Abcr nicht von Drachten soll jetzt besonders die Redc
sein. lTsur von einem gan; bescheidenen, aber reizvollen
kleinen Gebiete echter Volkskunst, das gan; bcsonders ge-
eignct ist, unseren Schulcn, Mädchen und Frauen An«
rcgung ;u selbstschöpferischer Betätigung ;u geben.
Die „geschriebenen" Gstcreier sind wohl mehr oder wc-
niger übcrall heimisch, wo Volkskunst gedeiht. Nirgend
aber konnte ich Aeußerungen so überaus bewcglicher phan-
tasie finden wie bei den „roten Eichen" der windauer
Frauen.
Die Bildcr r und ; zeigen ausschließlich windauer Gster«
eier (meist rot, einige dunkelblau oder grün. Auf Bild 4
sehcn wir Ostercier aus andcren, auch nichtsächsischen Ge-
gcnden Siebenbürgens. Trotz der ;. L. sehr guten deko«
rativcn wirkung ist bci letzteren eine Erstarrung in über-
kommcnen Formcn, meist auf geometrischer Grundlage, un-
vcrkennbar, während in windau kaum je ;wei gleichc
Gstereier ;u finden sind. wohl gibt cs auch da gewiffe her-
kömmliche Formcn, ;. B. „de Rusndeern" (die Rosendor-
ncn) r,i und ;,7 (Mitte) — cigentlich vier- oder acht-
achsigc Stcrnc — oder die phantastische ^auptblüte bei r,.
Loren; Reinhard Spitzenpfeil:
Gestaltung dcr Schrift a u s d c u t s ch e m
Geis t.
Dcr Rulmbacher Schrcibmcistcr Spitzenpseil hat eincn
Grundzug seiner Lehrc in „Runst und Augcnd", »^eft 4/17
bereits aufgcwiescn. wic cs abcr inimer ist: der Rerl
muß crst selbcr Rcde und llntivort stehcn, wenn die Lchre
gan; aufgeiionimen werdcn soll. was Meister Spitzcnpfeil
— mit seinen t>; Aahren springlebcndig und geistvoll —
vorzubringcn hatte, verriet nicht nur cincn Mcistcr dcr
Darbictung mit „wandhohen" Anschauungsmittelii, son-
dcrn eben anch eincn Meister dcs Stoffes. Dcnii Spitzcn-
pfcil hat uns allen ctwas ;u sagcn im Gcbict dcr Schrist-
pslegc.
Er ging von dcr Frage aus: was ist Dcutsch in
dcr Schrift; Das Gcbrochcne, Rnorrige, Eckigc, Spit-
;ige, Spitzwinkligc — dies köiiiic nur c i n Mcrkmal scin,
aber nicht das einzige; denn sonst müfite die Gotik die
deutsche Schrift schlechthin sein. Tatsächlich abcr ist dic
Schwabachcr, bcffer F r a k t u r, die trotz zeitwcisen Vcr-