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Absicht, die hessischen Lernenstickereien nachzusticken, aber
der Formenreichtum der Muster, die wandlungsfähigkeit
der vielen verschiedenen Stiche hatten inir sovicl An-
regung gegeben, daß ich zunächst selbst mit dem Stickcn
begann.
Der reizvollste Stich war der Zickzack. Ich arbeitete mir
cine kleine Decke mit dem Zickzack als Randbetonung in
einec Farbc. Dabei fühlte ich bald heraus, wicvicl Ver-
änderungen dieser Stich zuließ bei iinmer neuen reizvollen
Wirkungen. Die Schülerinnen und ich probierten mit
großem Eifer. Grobc und feine Stosfe ergabcn immcr
neue wirkungen. Verschiedenartige Stoffe ließen immer
wieder neüe Lösungen zu. wir gingen nicht gleich an das
Erarbeiten von Gegenständen, sondern probierten zunächst
auf kleinen Stoffstücken und cs cntstandcn Mustertüchcr,
die das Entzücken dec Mitschülerinnen der andern Rlaffcn
crrcgten. Gn ciner 4. Rlaffe (5. Schuljahr) ließ ich diese
Arbeiten als Rlaffenarbeit durchführen, d. h. alle Rinder
arbeiteten irgend etwas in dieser 2lrt. Die begabteren
Schülerinncn arbeitcten größcre oder mehrere, die weniger
begabten Schülcrinnen fcrtigten cinfache, kleine Stücke an.
Line große Schwierigkeit galt cs gleich am Anfang ;u
übcrwinden. Die Rinder hatten früher nie solche ,Aand-
arbeiten gemacht, bci denen es auf gan; genaues Arbeiten
ankam. Tbnmcr wieder kamcn sie betrübt zu mir: Es kommt
In der Mitte des Dildes der -stracke Limitt-Stich, unten
der Erbslöchcr-Hohlsaum. 10:5 gearbeitet.
an der Ecke nicht aus. Dann hicß es aufmachen, oft mit
schwerem Herzen. Einc zweitc Schwierigkeit trat unsercr
Arbeit entgegen, sobald die Rinder Eckbildungen vcr-
suchten. Man mußte immec wieder probiercn und übcr-
legcn, bis man die beste Lösung gefundcn hattc.
Schwierig war auch dic Fragc dcr Farbzusammenstel-
lung. Anfangs crlaubte ich den Rindern nur eine Farbc.
Es galt, sovicl lTkcucs ;u lerncn init der Stichzusammcn-
stellung, daß die Arbcit dcr mcisten Rinder an dcr Farb-
zusammenstellung gcscheitert wärc. Stoffauswahl und Farb-
zusammenstellung bestimmen in starkcm Maße die wic-
kung der Arbcit. Es gibt vicle Menschen, dcncn Gcschmack
und gesunde tlrteilskraft vcrlorcn ging. Die Rindcr stchn
sehr oft unter dcm Einfluß dcr Schaufenstcrauslagcn der
Handarbeitsgeschäfte und der warenhäuser. Es sollte
grundsätzlich vcrbotcn wcrden, in dcn Schulcn aufgezcich-
nete Dutzendware arbcitcn zu laffcn, wie man cs lcidcr
immer wieder erlcbt.
So komme ich ;u einer aiidern äußerst wichtigcn Fragc
dcs Nadelarbcitsuntcrrichts, dcr wcihnachtsarbeit dcr
Rinder. Gcrade die weihnachtsarbcit gibt Gclcgcnhcit,
dic Rindcr ;u cigcncm schöpfcrischen Arbcitcn (wenn auch
nur einfach und bescheidcn) aiizurcgen. Das Gcfühl, dcn
Eltern und Geschwistern „üt der cigencn Arbeit cine
Freude zu bercitcn, spornt dcn Arbcitseifcr der Rindcr an.
Die Rinder lernen dabei auch, daß man das, was man
verschenken will, mit besonderer Liebe und Sorgfalt an-
fertigen muß. Die Lehrerin kann schon lange vor weih-
nacyten die Arbeit vorbereiten durch Auslegen guter und
preiswerter 2lrbeiten von früheren Schülerinnen oder
von eigener Hand. Die Rinder müffen viel gute Arbeiten
sehen, denn vielfach sind nur die Auslagen der Hand-
arbeitsgeschäfte maßgebend für die weihnachtsarbeiten
dec Rinder. Jn jeder Schule sollten sich Lehrkräfte zur
Vcrfügung stellen, vor allem die Runsterzieherinnen, um
dcn Rindern bei den weihnachtsarbeiten beratend helfen
;u können. Ich weiß, cs bemühen sich schon viele Schulen
um diesc Sache, aber noch lange nicht genug, als nötig
wäre. was gearbeitet wird, soll schlicht und einfach sein,
praktisch im Gebrauch. Riffen müffen wäschbar sein und
cinen Derschluß habcn, daß sie nicht nach der wäsche ;u-
sammengenäht werden müffen. Die beliebten vorgezackten
Tascheiitücher, die unsere Mädchen bis zur Bewußtlosigkeit
umhäkcln, müßten in der Schule verboten werden, weil sie
vicl ;u teuer sind, und die Rinder nichts daber lernen.
wenn nun schon Taschentücher umhäkelt werden sollen
(ich puye mir meine Nase ebensogern mit einem unbe-
häkelten), dann kaufe man guten Stoff und laffe direkt in '
den Stoff häkeln. Dabei lernen die Rinder wenigstens das
Handwerkliche.
Eine vielverbreitete Unsitte ist es, vorgezeichneten
Rreuzstich auf feinfädigem Stoff ;u arbeiten. Der Rreuz-
stich verlangt einen abzählbaren Stosf. will man fein-
sädigen Stoff besticken, so gibt es andere Möglichkeiten,
;. D. Hohlsaum in Verbindung mit Zierstich, Stilstich,
Steppstich. Vor einigen Monaten eclebte ich in einec
Schule folgendes: Eine Grundschulklaffe hatte sich Neffel-
blusen mit der Hand genäht. Die Blusen sollten verziert
werden. Man nahm einen Bleistift und zeichnete rings um
den Halsausschnitt ein Rreuzstichmuster auf und stickte cs
dann.
Zusammcnfaffend möchte ich sagen, daß den Runsterziehe-
rinnen cine wichtige 2lufgabe in der Betreuung der Hand-
arbeiten der Mädchen erwächst. Es soll uns nicht gleich-
gültig sein, was die Rinder arbeiten. Das Gefühl für das
Material, für werkgerechtes Verarbeiten, für klare, ein-
fache, echte Form muß wieder stark in den Vordergrund
treten. Gelegentliche Museumsbesuche machen die Rinder
mit den Arbeiten früherer Generationen bekannt und er-
wecken m ihnen 2lchtung und Ehrsurcht vor dcr Arbeit.
Zum Schluß möchte ich ;u der 2lrbeit als solcher noch
ctwas sagen: wie oft muß ich hören, „Bei so feinen Ar-
beitcn verdirbt man sich bestimmt die Augen!" Ich kann
darauf nur antworten: „wer schlechte Augen hat, muß
solche Arbeiten unterlaffen!" Es ist selbstverständlich, daß
man möglichst bei Dageslicht oder nuc bei guter künst-
lichcr Bclcuchtung arbeitet. Dcn zweiten Vorwurf, die
2lrbeiten machtcn ncrvös, möchte ich zurückweisen. wenn
ich den ganzen Tag gcarbeitet habe, abends also recht müde
und abgespannt nach Hause kommen, bin ich außerstande,
cin Buch ;u lescn. Meine Handarbeit bringt mir allmäh-
lich den Ausgleich, sie beruhigt mich. Meine Studentinnen
sagcn mir immcr wieder, daß sie nicht nur sehr viel Freudc
an den Handarbciten haben, sondern daß diese 2lrbciten sie
bcglücken und ihncn nach der Unrast dcs Dages cinen fei-
ncn 2lusglcich geben.
(Hinsichtlich des hessischen Erbgutes sei noch verwiesen
auf die „Rlcine Reise in die Schwalm" von E. M. Schuh-
macher im Verlag L. Simon, Berlin, in der Sammlung
„Dic Dcutschcn Dücher", <>4 Seiten mit öo prachtvollen
photos, i,r5 RM. Ferner aus das Heft 1 dcr „Beiträge
zur hcssischcn Volks- und Landcskundc" von Rarl Rumpf,
„Altc Bäucrliche wcißstickereien" bci der NS.-Elwertschen
Vcrlagsbuchhandlung, Marburg, 10 Sciten und 40 Da-
fcln, ),S5 RM.)
Absicht, die hessischen Lernenstickereien nachzusticken, aber
der Formenreichtum der Muster, die wandlungsfähigkeit
der vielen verschiedenen Stiche hatten inir sovicl An-
regung gegeben, daß ich zunächst selbst mit dem Stickcn
begann.
Der reizvollste Stich war der Zickzack. Ich arbeitete mir
cine kleine Decke mit dem Zickzack als Randbetonung in
einec Farbc. Dabei fühlte ich bald heraus, wicvicl Ver-
änderungen dieser Stich zuließ bei iinmer neuen reizvollen
Wirkungen. Die Schülerinnen und ich probierten mit
großem Eifer. Grobc und feine Stosfe ergabcn immcr
neue wirkungen. Verschiedenartige Stoffe ließen immer
wieder neüe Lösungen zu. wir gingen nicht gleich an das
Erarbeiten von Gegenständen, sondern probierten zunächst
auf kleinen Stoffstücken und cs cntstandcn Mustertüchcr,
die das Entzücken dec Mitschülerinnen der andern Rlaffcn
crrcgten. Gn ciner 4. Rlaffe (5. Schuljahr) ließ ich diese
Arbeiten als Rlaffenarbeit durchführen, d. h. alle Rinder
arbeiteten irgend etwas in dieser 2lrt. Die begabteren
Schülerinncn arbeitcten größcre oder mehrere, die weniger
begabten Schülcrinnen fcrtigten cinfache, kleine Stücke an.
Line große Schwierigkeit galt cs gleich am Anfang ;u
übcrwinden. Die Rinder hatten früher nie solche ,Aand-
arbeiten gemacht, bci denen es auf gan; genaues Arbeiten
ankam. Tbnmcr wieder kamcn sie betrübt zu mir: Es kommt
In der Mitte des Dildes der -stracke Limitt-Stich, unten
der Erbslöchcr-Hohlsaum. 10:5 gearbeitet.
an der Ecke nicht aus. Dann hicß es aufmachen, oft mit
schwerem Herzen. Einc zweitc Schwierigkeit trat unsercr
Arbeit entgegen, sobald die Rinder Eckbildungen vcr-
suchten. Man mußte immec wieder probiercn und übcr-
legcn, bis man die beste Lösung gefundcn hattc.
Schwierig war auch dic Fragc dcr Farbzusammenstel-
lung. Anfangs crlaubte ich den Rindern nur eine Farbc.
Es galt, sovicl lTkcucs ;u lerncn init der Stichzusammcn-
stellung, daß die Arbcit dcr mcisten Rinder an dcr Farb-
zusammenstellung gcscheitert wärc. Stoffauswahl und Farb-
zusammenstellung bestimmen in starkcm Maße die wic-
kung der Arbcit. Es gibt vicle Menschen, dcncn Gcschmack
und gesunde tlrteilskraft vcrlorcn ging. Die Rindcr stchn
sehr oft unter dcm Einfluß dcr Schaufenstcrauslagcn der
Handarbeitsgeschäfte und der warenhäuser. Es sollte
grundsätzlich vcrbotcn wcrden, in dcn Schulcn aufgezcich-
nete Dutzendware arbcitcn zu laffcn, wie man cs lcidcr
immer wieder erlcbt.
So komme ich ;u einer aiidern äußerst wichtigcn Fragc
dcs Nadelarbcitsuntcrrichts, dcr wcihnachtsarbeit dcr
Rinder. Gcrade die weihnachtsarbcit gibt Gclcgcnhcit,
dic Rindcr ;u cigcncm schöpfcrischen Arbcitcn (wenn auch
nur einfach und bescheidcn) aiizurcgen. Das Gcfühl, dcn
Eltern und Geschwistern „üt der cigencn Arbeit cine
Freude zu bercitcn, spornt dcn Arbcitseifcr der Rindcr an.
Die Rinder lernen dabei auch, daß man das, was man
verschenken will, mit besonderer Liebe und Sorgfalt an-
fertigen muß. Die Lehrerin kann schon lange vor weih-
nacyten die Arbeit vorbereiten durch Auslegen guter und
preiswerter 2lrbeiten von früheren Schülerinnen oder
von eigener Hand. Die Rinder müffen viel gute Arbeiten
sehen, denn vielfach sind nur die Auslagen der Hand-
arbeitsgeschäfte maßgebend für die weihnachtsarbeiten
dec Rinder. Jn jeder Schule sollten sich Lehrkräfte zur
Vcrfügung stellen, vor allem die Runsterzieherinnen, um
dcn Rindern bei den weihnachtsarbeiten beratend helfen
;u können. Ich weiß, cs bemühen sich schon viele Schulen
um diesc Sache, aber noch lange nicht genug, als nötig
wäre. was gearbeitet wird, soll schlicht und einfach sein,
praktisch im Gebrauch. Riffen müffen wäschbar sein und
cinen Derschluß habcn, daß sie nicht nach der wäsche ;u-
sammengenäht werden müffen. Die beliebten vorgezackten
Tascheiitücher, die unsere Mädchen bis zur Bewußtlosigkeit
umhäkcln, müßten in der Schule verboten werden, weil sie
vicl ;u teuer sind, und die Rinder nichts daber lernen.
wenn nun schon Taschentücher umhäkelt werden sollen
(ich puye mir meine Nase ebensogern mit einem unbe-
häkelten), dann kaufe man guten Stoff und laffe direkt in '
den Stoff häkeln. Dabei lernen die Rinder wenigstens das
Handwerkliche.
Eine vielverbreitete Unsitte ist es, vorgezeichneten
Rreuzstich auf feinfädigem Stoff ;u arbeiten. Der Rreuz-
stich verlangt einen abzählbaren Stosf. will man fein-
sädigen Stoff besticken, so gibt es andere Möglichkeiten,
;. D. Hohlsaum in Verbindung mit Zierstich, Stilstich,
Steppstich. Vor einigen Monaten eclebte ich in einec
Schule folgendes: Eine Grundschulklaffe hatte sich Neffel-
blusen mit der Hand genäht. Die Blusen sollten verziert
werden. Man nahm einen Bleistift und zeichnete rings um
den Halsausschnitt ein Rreuzstichmuster auf und stickte cs
dann.
Zusammcnfaffend möchte ich sagen, daß den Runsterziehe-
rinnen cine wichtige 2lufgabe in der Betreuung der Hand-
arbeiten der Mädchen erwächst. Es soll uns nicht gleich-
gültig sein, was die Rinder arbeiten. Das Gefühl für das
Material, für werkgerechtes Verarbeiten, für klare, ein-
fache, echte Form muß wieder stark in den Vordergrund
treten. Gelegentliche Museumsbesuche machen die Rinder
mit den Arbeiten früherer Generationen bekannt und er-
wecken m ihnen 2lchtung und Ehrsurcht vor dcr Arbeit.
Zum Schluß möchte ich ;u der 2lrbeit als solcher noch
ctwas sagen: wie oft muß ich hören, „Bei so feinen Ar-
beitcn verdirbt man sich bestimmt die Augen!" Ich kann
darauf nur antworten: „wer schlechte Augen hat, muß
solche Arbeiten unterlaffen!" Es ist selbstverständlich, daß
man möglichst bei Dageslicht oder nuc bei guter künst-
lichcr Bclcuchtung arbeitet. Dcn zweiten Vorwurf, die
2lrbeiten machtcn ncrvös, möchte ich zurückweisen. wenn
ich den ganzen Tag gcarbeitet habe, abends also recht müde
und abgespannt nach Hause kommen, bin ich außerstande,
cin Buch ;u lescn. Meine Handarbeit bringt mir allmäh-
lich den Ausgleich, sie beruhigt mich. Meine Studentinnen
sagcn mir immcr wieder, daß sie nicht nur sehr viel Freudc
an den Handarbciten haben, sondern daß diese 2lrbciten sie
bcglücken und ihncn nach der Unrast dcs Dages cinen fei-
ncn 2lusglcich geben.
(Hinsichtlich des hessischen Erbgutes sei noch verwiesen
auf die „Rlcine Reise in die Schwalm" von E. M. Schuh-
macher im Verlag L. Simon, Berlin, in der Sammlung
„Dic Dcutschcn Dücher", <>4 Seiten mit öo prachtvollen
photos, i,r5 RM. Ferner aus das Heft 1 dcr „Beiträge
zur hcssischcn Volks- und Landcskundc" von Rarl Rumpf,
„Altc Bäucrliche wcißstickereien" bci der NS.-Elwertschen
Vcrlagsbuchhandlung, Marburg, 10 Sciten und 40 Da-
fcln, ),S5 RM.)