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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 18.1938

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Heft 11 (November 1938)
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Seidel, Heinrich Wilhelm Rudolf: Erzgebirgliche Feierabendkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.28172#0218

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bei solchen Dingen diese Feststellung gern einschleicht. DaS
Alter läßt sich nie genau sagen, aber auf drei Generationen
kann inan gedächtnismäßig zuruckblicken. Da der Engel
aber immer schon da war, und meist nicmand den Hersteller
mehr kennt, muß dcr Engel schon aus den Großvater ver-
erbt worden sein, also muß er älter als hundert Iahre
sein. Der Engel der heutigen Gcneration, cines heutigen
Schnitzers, sieht anders aus (Bild r). Er kündet mehr von
der Liebe des Herstellers zum Rinde als von der Liebe zum
Lhristuskinde. Das glückliche Leuchten des Rinderauges
blickt uns an. Aus ihm spricht die Naivität des Rindes
mehr als die kindliche Naivität der Volksseele, die uns
dcr Engel aus Bild r vermittelt. Aeußerlich, technisch
crkennen wir die Arbeit des Meffers und das kennzeichnet
jhn als ein Rind unserer Zeit. Doch das erzgebirgische
Brauchtum, die Feierabendkunst, hat noch mehr Symbole:
den weihnachtsberg, eine meist ausgeklügelte Mechanik,
das heimische Leben darstellend, das -uns auch in der
Rrippe oft entgegentritt, dcn paradiesgarten, einst das
Spielzeug erzgebirgischer Rinder. Sehr verbreitet ist auch
die pyramide, obwohl sie nicht auf dem sächsischen, son-
dcrn aus dcm katholischen sudetendeutschen Hang des Erz-
gebirges beheimatet ist und von dort aus den Ramm des
Gebirges und die Grenze dcs Reiches überschritt. 2luch der
Leuchter und seine eigenartige Spielsorm, die Spinne sind
rcin erzgebirgische Dinge des wcihnachtsbrauchtums. Dcr
Leuchter ist vollständig aus Holz, während bei der Spinne
um ein klobiges, hölzernes Mittelteil eine Reihe von dün-
ncn Leuchterarmen aus Draht angebracht ist. Bcide ent-
standen in der Zeit, da im Erzgebirge der Rienspan durch

Abb.Emil Teubner, Stcinplastik sür das planschbccken
dcs Stollbergcr Stadtbades.

Abb. 4. Blick in den 2lrbcitsrauni der Gauschnitzschule
in Schneebcrg (Er;geb.). Aufnahme Seidel.

das Dalglicht verdrängt wurde. Aus dem Rienspanhaltcr
wurden der Leuchter und die Spinne. All diese Dinge sind
nicht Geschichte, sondern lebendiges Brauchtum.

2lber damit ist der Umfang der Feierabendkunst noch
nicht crschöpft. wenn auch der weitaus größte Teil der
Feierabendkünstler Schnitzer sind, so müffen wir noch eini-
gcr Einzelgänger gedenken, weil sie uns manches sür unsere
Arbeit in der Schule sagen können. l-lcigung und Veran-
lagung führen den Menschen oft gar eigene wege. Da gibt
es einige, es sind meist waldarbeiter, die sich über jedc
„Alraune", über jede eigenartig geformte wurzel freucn.
Aus diesen wurzeln schasft rege phantasie dann mit weni-
gen Mefferschnitten ein Gebilde, ost erstaunlich wirklich-
keitsnah, oft auch märchen- odcr gespcnsterhaft anmutrnd.

Die 2lrbeit der Schnitzer nun erschöpftr sich noch vor
wenigen Aahren auf die Gestaltung einiger weniger Dypen.
lTleben Bcrgmann und Engel wurde der Räuchermann, dcr
waldarbeiter, der Förster und die Holzsammlerin gc-
schnitzt. Heute kann man mit Fug und Recht behaupte»,
daß das Leben des Erzgebirglers in allcn seinen Erschei-
nungsformen geschnitzt wird. Und es gibt Meister unter
den Schnitzern, deren Schasfen weit an die hohe Runst
heranreicht. So hat sich E. Leubner, 2lue (Bild ;) vom
Bergmann zum frei schaffenden Rünstler heraufgearbeitet
und schon vor Aahren werke an den Staat und ins 2lus-
land verkaufen können. An ihm erreicht die künstlerische
Begabung, die wir dem Erzgebirge zusprechen müssen,
eine besondere Höhe und Reife. Durch seine Fähigkcit
hat er sich eine Eristen; geschaffen. Auch ;u Steinplastikcn
ist er mit Erfolg übcrgegangen. Doch die Menge der
Schniyer bleibt weit hinter ihrcn Meistern zurück. So
manchem aber ist ein Röffel, cin Dümpel, ein Teubner,
ein Hambeck erstrebenswertes Vorbild. IlZÜcht jeder vsn
ihnen wird das erstrebte Ziel erreichen, dcnn sie sind nicht
allc von der Natur so begünstigt wie die etwa ;o Meistcr
dcs Gebirges und diese werden, wir freuen uns darüber,
reine Volkskünstler bleiben.

Alle Schnitzer im Lande wcrdcn betreut von cinem Gau-
obmann, dcm Bk. Thost in Schnecberg, der ein wahrlich
schweres und vor der Zukunft vcrantwortlichcs Amt hat,
das nur eine pcrson erfüllen kann, die sovicl Idealismus
und Licbe zur Volkskunst habcn kann wie er. Mcnschcnfüh-
rung ist immer cine schwere 2lufgabc, und seine 2lufgabc
wird dadurch erschwcrt, daß die Betreutcn auf eincm wcit
gestrcckten Raum auseinander wohncn und oftmals eigen-
ar-tigc lNcnschen sind. Nun wurde in diesem Aahre cine
Stätte gcschaffen, die Thosts 2lrbeit in gcwiffem Sinne cc-
lcichtert. 2>n dem äußerlich bescheidenen Häuschen dcr alten
Schneeberger Stadtwache wurde cine Gauschnitzschulc cr-
richtet. Dieses Häuschen ist in dcr kurzcn Zcit seincs Bc-
 
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