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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 18.1938

DOI Heft:
Heft 12 (Dezember 1938)
DOI Artikel:
Böttcher, Robert: Kunsterziehung als Lebensnotwendigkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.28172#0242

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;u lesen und ;u dcutcn versteht, durchaus klar, daß dic
Iugend von ihrer eigenen Gestaltungsstufe, von ihrem
Eigenschaffen her, Sinn und wcsen der Volkskunst leichter
erfassen muß, als bis ;um Lebensgeheimnis der werke
der hohen Runst vor;udringen.

Für die Rinder, wie für die schlichten Menschen, die die
Volkskunst schufen, haben nur die Dinge Bedeutung und
Intereffe, die ;u ihrem Leben in enger Be;iehung stehen
und die den Gang ,dieses Lebens mitbcstimmen. Der
schlichte Mensch denkt wie das Rind „praktisch". Er kennt
den „wert an sich" nicht und deshalb soll alles, was er
schuf, nichts anderes sein als Mittel und werk;eug für die
Zwecke des Lebens.

Das ist die crste große Lehre, die wir Runster;ieher aus
der Volkskunst gcwinnen können und auf unseren Unter«
richt anwenden sollten.

Das ;weite ist, daß das volkskünstlerische Schaffen bis
;u einem hohen Grade über;eitlich ist, also keine nennens«
werten Zeit- und Stilmcrkmale aufweist. So sind auch
dse Gegebenheiten im Rinde, seine Anlagen und Lriebe
über;eitlich, d. h. die Anlagen und Triebe eines deutschen
Rindes vor hundert oder ;weihundert Iahren sind im
wesentlichen dieselben wie heute. Dem;ufolge weist auch
das kindliche Gestalten, solange es echt ist, keine wesent-
lichen Zeit- und Stilmerkmale auf.

Diese Gründe waren es in erster Linie, die seit Iahren
viele Runster;ieher veranlaßten, sich mit der Volkskunst
eingehend auseinander;usetzen und ihre Berücksichtigung
im Runstunterricht;u fordern.

Dennoch darf nicht Ubersehen werden, daß ihrer Verwen-
dung auch mancherlei Hemmniffe entgegenstehen. Die
Gründe, die für die Ablehnung ins Feld geführt werden,
und die auch dort mit entscheidend sind, wo man sie nicht
angibt, sind meist in der noch immer bestehenden Unter-
bewertung der Volkskunst der sogenannten „hohen Runst"
gegenüber ;u suchen. Das wort vom „gesunkenen Rultur-
gut" geht noch immer um.

Damit eng verbunden ist ein ;weiter Grund, der viel-
leicht noch entscheidender ist, als der erstere. Man sagt
oder meint doch: Die Volkskunst, die doch unvergleichlich
geringere werte birgt als ctwa Rembrandt, Dürer oder
Grünewald, droht, wenn man ihr das wort redet, die
hohe Runst aus der Schule ;u verdrängen. 2>n der Volks-
schule vielleicht gan; und in der höheren ;u einem guten
Teil.

Das scheint mir der schlimmste Trugschluß ;u sein!

wenn wir unsere Iugend dahin ;u führen versuchen,
die Blumen und wiesen, die Gärten und Felder und, wäl-
der der Heimat ;u erlcben und ;u lieben, dann steht als
letztes großes Ziel da: die Lindung an das gan;e große
heilige deutsche Vaterland.

wenn wir dse Familie als die wichtigstc und wertvollste
Zelle des Volkes be;eichnen und die ein;elnen Glieder der
Familie so cng wie möglich aneinander ;u binden suchen,
dann steht doch dahinter das große Sehnen nach der Ge-
meinschaft des gan;en Volkes, nach der Gemeinschaft aller
Deutschen innerhalb und außerhalb der Gren;en.

Aus der Liebe ;ur Heimat wächst die Liebe ;u Deutsch-
land.

Aus der Bindung an Vater, Muttcr und Gcschwister
erwächst die Bindung an dic Gan;heit des Volkcs! Und da
sollte, da die hohe Runst doch eine Tochter dcr Volks-
kunst ist, unscre Augend durch sie nicht lcichter dcn weg
;ur hohen Runst finden, als wcnn wir die Volkskunst in
der Er;iehung übcrsehen?

Ncin, ich bin der Uebcr;eugung, daß wir gcrade dcr
hohen Runst einen bessndcrcn Dicnst crweisen, wenn wir
bci unserem Strcben ;u ihr den wcg übcr die Volkskunst
nehmcn.

Und ich wäre der erste, der sich gegcn dic Volkskunst
ausspräche, solltc irgendwie sichtbar ivcrden, daß Dienst
an der Volkskunst nicht zugleich bcdcutctc:

Verantwortungsbewußte Arbeit an der
deutschenRultur,andercnSpitzedieRunst
m a r s ch i c r t.

Aber gerade deshalb sollten wir allcs vermciden, die
Volkskunst durch eine gan; oberslächliche oder gar falschc
Anwendung in Mißkrcdit ;u bringen. Das gcschieht jedoch
in ;ahllosen Fällen. Leider suchen sehr vielc Runster;ieher
immer nach Re;epten für ihren Unterricht. werden pläne
mit eincr Beispiclsammlung bekanntgegeben, so werden dic
Bcispiele sogleich ;u Stoffplänen, ;um Vlormallehrgang.
werden thcoretische Erkenntniffe mit Belegen veröffent-
licht, so macht man eine Mcthode daraus und nimmt dic
Belege als Vorbilder.

Und wenn man sich nun aus den vielen Veröffentlichun-
gen über die Volkskunst und aus den Museen durch Ab-
;eichnen oder gar Durchpausen eine Mustersammlung von
Volkskunstmotiven ;usammenstellt, um sie überall an;u-
bringen, wo es möglich oder unmöglich ist, dann sind wir
genau so weit wie die warenhäuser, die heute ein gleiches
tun.

Vlein, so geht das nicht. wir können Volkskunst nie-
mals gleich Rinderkunst setzen und müffen crkennen, daß
uns füc ihre Bcrücksichtigung und'Auswcrtung natürlichc
Gren;en gesteckt sind, und daß diese Gren;en nicht gar weit
liegen. Es sei nur auf einige entscheidende Latsachen ver-
wiesen:

1. Die werke der Volkskunst schufen Erwachsene, also
körperlich ausgereifte, technisch gewandte und handge-
schickte Menschen mit ciner Lebensanschauung und einem
Lebensgefühl, das dem unserer Zeit nicht vergleichbar ist.
In der Schule haben wir es dagegen mit Rindern und
Iugendlichen ;u tun, dcnen es mehc oder weniger an Er-
fahrung, Rörperkraft und Geschicklichkeit fehlt und bei
denen von weltanschauung noch kaum die Rede sein kann.

r. während der Volkskünstler aus seiner starken Ver-
bundenheit und der völligen Verflöchtenheit seines Lebens
mit der Natur dem Iugendlichen in der Ergreisung der
welt mit den Sinnen und Händen überlegen ist, vermag
letzterer infolge seiner besonderen geistigen Schulung die
Rcnntnisse und Erkenntniffe in umfassenderem Maße ;cn-
tralgeistig ;u verarbeiten, als das dem einfachen Mann
aus dem Volke vor Zeiten möglich war.

;. Symbole, die für den Schöpfer und Träger der
Volkskunst höchsten Lebenswert besaßen, weil sie dem
Lebensgefühl und der weltanschauung des bäuerlichen
Menschen cntsprachen, haben für die Iugend unserer Zeit,
insbesondere für die der Großstadt, oft sehr wenig oder
gar keine Ledeutung mehr.

4. Einwirkungen von außen her liegen ;weifellos so-
wohl bei der Volkskunst als auch beim Rinderschasfen
vor. Sie erfolgen aber von gan; verschiedenen Rulturen
her, dort von einer langsam gewachsenen, gesunden Rultur
einschließlich der hohen Runst, und hier von einec „Reife-
und Ueberkultur" mit all ihren Mängeln und Schwächen
und nicht selten von dcr „Rindcrtümelei" Erwachsener.

5. Beim Bauern, Handwerker und. Volkskünstler hat
jede handarbeitliche Verrichtung einen gan; anderen Rang,
als das bei unserer Iugcnd dec Fall sein kann. Dort war
das gan;e Intereffe diesen Verrichtungen ;ugewandt. Ia,
das geistige, seelische und körperliche Leben erschöpfte sich
fast restlos darin. Daher hattcn auch die produkte dieser
Arbeit für dic Menschcn einen wert, den wic heute kaum
noch ;u ermeffen vermögen. Die tcchnisch-gestalterische Lei-
stung an Acker, Haus und waffe stcherte Lcib und Leben
und die Herrschaft übec die Natur. Sie warcn also
hüchste Notwendigkeiten des Lebcns, und es war gan;
selbstvcrständlich, daß man alles, was mit ihnen ;usammen-
hing, so schön wie möglich machte, daß man von sclbst
vom Handwerklichen ;um Rünstlerischen vorsticß, und dafi
Zwcckform immer;ugleich auch Runstform bedeutete.

Solche wertschätzung deffcn, was cs schuf, finden wir
hcutc fast nur noch bcim Rlcinkinde. Die Lebcnszusam-
 
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