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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

DOI Heft:
1./2. Septemberheft
DOI Artikel:
Friedländer, Max J.: Über die Zukunft der deutschen Museen
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https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0012

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Geheimrat Dr. Max J. Friedländer hat dem
„Kunstwanderer“ den Vorabdruck dieses für den dritten
Band von Adoiph Donath’s „Jahrbuch fürKunst-
sammler“ geschriebenen Aufsatzes gestattet. Der
dritte Band des „Jahrbuches für Kunstsammler“ erscheint
in den nächsten Tagen in der Frankfurter Ver-
lagsanstalt A.-G. in Frankfurt a. M.

IVJirgends gibt es so vicle „Kulturzentren“ wie in
' Deutschland, oder wenigstens Orte, die Erinne-
rung an Kultur in Museen pflegen und bewahren. Nir-
gends gibt es so v'icle öffentliche Kunstsammlungen wie
in Deutschland; und sie geraten nun mit dem Umfang
ihrer Anlagen, mit. dem Maß ihrer Ambitionen und der
Zahl 'ihrer gelehrten Beamten in ein krasses Mißver-
hältnis zu den Mitteln, die Staaten und Gemeinden für
sie bereitzustellen noch gewillt und in der Lage sind.
Die wirtschaftlichen Umstände pflegen sich anders zu
entwickeln, als die „Sachkundigen“ vorausgesagt
haben, namentlich komplizierter — infolge mittelbarer
Wirkungen. Zur Zeit stehen wir vor der paradoxen
Erscheinung, daß den Museen in dem „reichen“ Holland
die Erwerbungsfonds gestrichen werden, in Wien da-
gegen Aktivität im Betriebe der staatlichen Samm-
lungen spürbar wird.

Auf Wien starren wir mit Neugier und Gruseln,
weil die dortigen- Umstände das Zerrbild und, wie viele
meinen, das Zukunftsbild unserer Verhältnisse dar-
bieten. *) Die Konstellation auf dem Warenmarkt im all-
gemeinen und auf dem Kunstmarkt im besonderen,
Kaufgier bei sfnkendem Geldwerte, treibt den Tätig-
keitsdrang der österreichischen und in geringerem
Grade der deutschen Museumsbeamten zu nervöser Ge-
schäftigkeit.

Zur Zeit wirtschaftlichen Aufschwungs zwischen
1870 und 1914 sind weitlrin sichtbare Erfolge einigen
Männern zugefallen, die angeborene Sammelleiden-
schaft aus öffentlichen Mitteln befriedigten. Infolge
dieser Erfolge hat der Stand der Museumsbeamten in
Deutschland an Geltung, Autorität und Selbstbewußt-
sein gewonnen. Die anderswo hemmende Wirtschaft
der Kommissionen und Herrschaft der Trusts wurden
bei uns beseitigt oder doch eingeschränkt. Heute,
nach völliger Umwandlung der wirtschaftlichen Ver-
hältnisse, sitzen überall ehrgeizige, zumeist jüngere
Museumsleiter, die nach Taten im Stile Bodes begierig,
sich „trotzdem“ hervortun wollen, und deren Arbeits-
lust in beinahe komischem Gegensatze steht 'zu den
Geldmitteln, die ihnen zur Verfügung stehen. Sie lassen
sich ungern „Konservatoren“ nennen; pietätvolles Be-
wahren ist unter ihren Pflichten und Aufgaben die am
wenigsten reizvolle. Sie ziehen es vor zu dirigieren und

*) Das Wlen des Sommers 1923 zeigt wieder ein gliickliches
Gesicht. Die Redaktion.

sind autokratisch im Sinne einer Zeit, die vielleicht aus
Schwäche für Tatkraft schwärmt. Frischfröhliche Ge-
sinnung, die nichts von Resignation weiß, ist sicherlich
erfreulich uird könnte uns mit blindem Elan liber eine
traurige Periode der Stagnation hinwegführen. Auf die
Dauer aber dürften bedenkliche Wirkungen nicht aus-
bleiben.

Zunäc’hst wird die Qualität der Erwerbungen
sinken, zumal da die Kauflust nicht stets und überall
durch Geschmack und Kunsturteil geleitet und gebän-
digt wird, da der Wunsch, der Armut zum Trotze die
Bestände zu vermehren und durch spezialisierte Ken-
nerschaft für wenig Geld Wesentliches anzuschaffen,
dem Eifrigen provinzielle und landschaftlich begrenzte
Maßstäbe in die Hand drückt. Jeder Museumsdirektor
möchte der ihm anvertrauten Sammlung das Gepräge
seines Geistes aufdrücken und die Spur seiner Wirk-
samkeit vertiefen. Von dem Urwahne der Historie ver-
fü'hrt, daß alles irgendwann und irgendwo Geschaffene
gleichwertig sei, wird er dazukommen, das noch nicht
altgemein Anerkannte mit vermeintlicher Voraussicht
billig zu erwerben und den Gegenstand seines gelehrten
Interesses zu überschätzen. Im besonderen, was die
Produktion unserer Zeit betrifft, tauchen überall „Ge-
nies“ auf, deren Geltung, ja, deren Name über enge
Grenzen nicht hinausreicht, deren Schöpfungen dem
Museum zu gewinnen, als die kühne Tat ja als die Pflicht
des im Geiste seiner Zeit tätigen Museumsleiters zu
sein scheint. Bei verringerten Reisemöglichkeiten
wenig vertraut mit dem, was anderswo vorgeht, im
engen Kreise der elgenen Interessen und Liebhabereien,
gewöhnt er sich an eine unskeptisch kleinstädtische Be-
dürfnislosigkeit in bezug auf Qualität und paßt, ohne es
zu merken, das Niveau seiner Anschaffungen dem
Stande seiner Geldmittel an. Die Sucht der Theore-
tiker, als Bahnbrecher, Propagandisten und Entdecker
aufzutreten, i'hre Angst, für träge, unempfängliche
Greise zu gelten, beschenkt uns mit dem Schein einer
üppigen Kunstblüte, und grell neuartige Dinge, die für
den Tag geschaffen, für den Wettstreit auf Ausstellun-
gen, wo sie einmal und nie wieder einen heftigen Ein-
druck hervorrufen, werden in die heiligenden Museums-
mauern aufgenommen, wo sie bei dauernder Wirkung
zu Fratzen und Grimassen erstarren.

Als ein Mittel, den Finanzen aufzuhelfen, lockt Ver-
kauf von „Dubletten“, Abstoßung „entbehrlicher“ Ge-
genstände, Austausch guter, aber noch nicht allgemein
'hoch bewerteter Kunst gegen schlechte, vom Publi-
kumsgeschmack und deshalb auf dem Markte bevor-
zugter Ware. In einer Zeit, da der Fonds für die Er-
werbungen eines Jahres 50 000 M. beträgt, ein B'ild von
Grützner aber 1 000 000 M. wert ist, werden Tauschge-
schäfte in einem früher unbekannten Grade zur Grund-

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