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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

DOI issue:
1./2. Juniheft
DOI article:
Schweinfurth, Philipp: W. N. Masiutin über Thomas Bewick
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0316

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W. JH. fviasiutin übet? Tbomas Bctotck

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| ie ausgezeichnete Studie über Thomas Bew'ick, die
bereits seit über einem Jahr in russischer Sprache
vorliegt, ist neuerdings auch in deutscher Übersetzüng
erschienen. *) Ihr Verfasser ist W. N. Masiutin, der
hervorragende russische Grap'hiker, der zur Zeit in
Berlin lebt. Der Umstand, daß es sich hier um die kri-
tische Würdigung eines Meisters durch den anderen
handelt, macht uns das kleine Buch doppelt interessant.
In der Tat, es ist vortrefflich, in seinen Darlegungen
ebenso wie in der Auswahl und Anordnung des bild-
lichen Materials; das bloße Blättern darin macht Ver-
gnügen. Vergessen wir aber über diesem Vergnügen
nicht, daß es für einen Künstler immer und unter allen
Umständen ein Fechten mit der linken Hand bedeutet,
über künstlerische Gegenstände, seien sie wie sie
wollen, zu schreiben. Stets wird ein solches Schreiben
ein Verlust am Schaffen sein, wie gleicherweise einen
solchen Verlust auch die Jahre bedeuten, in denen ein
schaffender Geist gezwungenermaßen dem heimatlichen
Urgrund fern bleiben muß. Freilich, in weit höherem
Maße als uns Übrigen, erwachsen dem Künstler in
gleicherweise Kräfte wie aus der Freude, so auch aus
dem Schmerz. Nicht zum wenigsten besteht gerade
hierin das, was wir als das Wunderbare seiner Welt
bezeichnen.

Masiutin teilt uns angesichts der Schöpfungen
ßewicks seine reine Freude über diese mit, er ordne
sie vor unseren Blicken, er sprichit zu uns über ihren
absoluten und ihren historischen Sinn; er gibt uns
über das Ganze eine wissenschaftliche Dissertation,
um die ihn so mancher Kunsthistoriker beneiden wird.
Beneiden schon deshalb, we'il es heute garnicht mehr
leicht ist, ein Gebiet der Kunst herauszugreifen, das
gleichzeitig so wenig bekannt und so aktuell ist, wie
das oeuvre des von Masiutin gewürdigten Meisters. Der
bibiiographische Anhang des Buches von Masiutin weist
elf englische Publikationen auf, darunter die fünfbändige
Memorial Edition von 1885, die im Laufe von 60 Jahren
dem Studlum der Persönlichkeit und des Werkes von
Thomas Bewick gewidmet worden sind. Außerhalb
Englands ist die vorliegende Pubiikation überhaupt die
erste selbständige Veröffentlichung über den Meister,
der in Deutschland bisher nur durch seine Erwähnung
in den allgemeinen Handbücher von Kristeller, Osborn,
Westheim und Glaser nicht gänzlich unbekannt geblie-
ben ist.

Thomas Bewick wurde am 10. August 1753 gebo-
ren, als Sohn des Farmers John Bewick in Cherryburn

*) Thomas iBewick. Eine Untensuohung über dde
technischen Grundlagen des Holzschnittes nebst einer kritischen
Würdigung ides Schaffens Th. iBewicks. Von W. Masiutin. Berlin,
Newa-Verla, 1923. 8°, 109 S. 79 Abb. Aus dem Russischen über-
tragen von Dr. Harald von Hoerschelmann.

bei Newcastle, auf dem Südufer des Tyne. 14jährig
kommt er 1767 in die Lehre zu Mr. Ralph Beilby, einem
Kupferstecher in Newcastle, bei dem er eine sie'ben-
jährige Lehrzeit verbringt, und be'i dem er zunächst
auch weiter als Geselle verbleibt. Um 1776 verselb-
ständigt er sich; er knüpft Beziehungen zu dem Buch-
drucker Thomas Angus in Newcastle an, unternimmt im
Sommer 76 eine längere Fußreise, die 'ihn nach Edin-
burg und Glasgow führt, und gelangt im Oktober des-
se'lben Jahres nach London, wo er wichtige technische
Anregungen erhält, die die Art seines Schaffens end-
gültig bestimmen. 1777 ist er wieder in Newcastle, wo
sein älter Principal Beilby ihn zu seinem Kompagnon
macht. „Von diesem Zeitpunkt an beginnt das uner-
müdliche Schaffen nicht mehr des Lehrlings, sondern
des Meisters Bewic k.“

Bewick hat in Kupferstich und Holzschnitt gear-
beitet. Seine Meisterschaft liegt auf dem Gebiete des
letzteren. Sie besteht in der künstlerischen Wieder-
belebung des in jenen Tagen durch seine Verwendung
als ausschließliches Reproduktionsmittel gänzlich ge-
sunkenen Holzschnittes. Das Entscheidende dabei war,
daß Bewick bei dieser Wiederbelebung des Holzschnit-
tes von neuen technischen Voraussetzungen ausging,
die so treffend aus dem Wesen des Holzstocks als
Druckplatte entwickelt waren, daß sie bis heute die
künstlerische Neuentwic'klung des Holzschnittes zu
tragen im Stande sind, als deren Vater Bewick füglich
zu betrachten ist.

Diese, das für unsere Zeit Richtige treffende, Be-
wick’sche Technik wird von Masiutin schlechthin als
„die wahre Technik des Holzschnittes“ bezeichnet. Eine
Bezeichnung, zu der er als schaffender Künstler wohl
berechtigt ist, während der Kunstforscher ihr vielleicht
mit einer gewissen Vorsicht gegenübersteht, und viel-
leicht die von mir zuerst gebrauchte Definition „einer
das für unsere Zeit auf dem Gebiete des Holzschnittes
Richtige treffenden Technik“ lieber anwenden wird.

„Die w e i ß e L i n i e “ , Bewicks „ w h i t e 1 i n e “ ,
nach Masiutin die Grundlage äller wahren 1 lolzsclmeide-
kunst, ist denn auch Bewicks eigentliche Entdeckung.
Sie spielt für den modernen Holzschnitt etwa dieseibe
Rolle, wie das Gravitationsgesetz in der Physik. Be-
wick hat als erster die spezifischen Möglichkeiten des
Materiais erfaßt. Das von ihm angewendete Instrument
— der Stichel, dem schon die Kunst des Kupferstiches
ihre hohe Vollendung verdankte, wurde nun zum gehor-
samen Werkzeug auch in der Hand des Holzschnitt-
künstlers. Das früher übliche Langholz wird durch
Hirnholz mit glattgeschliffener Oberfläche ersetzt. Wil-
lig fo'lgte der Stichel den Absichten des Künstlers und
das Flüssige der Linienführung, ehemals ein Vorrecht
der metallenen Platte, ließ sich jetzt auch auf den Holz-

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