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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

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1./2. Januar
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Sauerlandt, Max: Jacob Asmus Carstens
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https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0140

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7acob Asmus Caüstens

oori

jvtax Sauet’landt

p s bereitet einen eigenen Genuß, in Weimar in dem
' stillen Rüekzimmer des Goethehauses die Mappe
der Carsten’schen Zeichnungen durchzusehen, und
dieser Genuß beruht nicht auf der Nebenempfindung
allein, die sich freilich hin und wieder unabweisbar ein-
stellt, daß auf diesen Blättern Goethes Augen oftmals
klar und kunstverständig geruht haben, daß ihnen etwas
von seinem Wesen nicht mehr zu Trennendes sich ver-
bunden hat, — es ist vielmehr ein absoluter künstle-
rischer Genuß der reinen Linien, der sauber verrie-
benen Modellierung, der Form in ihrer merkwürdwigen
spezifischen Qualität.

Die Blätter sind seit langem der aktuellen Diskus-
sion entrückt. Wer sie heute sieht, sieht sie mit ande-
ren Augen, als einstmals Goethe in der Epoche seiner
Vollendung. Es ist Kunst der Vergangenheit, die kaum
noch ein dünner, nur zartem Gefühl wahrnehmbarer
Faden mit Späterem oder gar Heutigem verbindet, selt-
same Dokumente einer der seltsarnsten Epochen der
Kunst. Und noch gründlicher anders se'hen wir diese
Blätter, als die Männer, die in den sechziger und sieb-
ziger Jahren des abgelaufenen Jahrhunderts ihrer Ge-
genwart zu dienen meinten, indem sie es unternahmen
an damals schon Vergangenes neue Fäden anzuknüpfen.
Sie sahen gar nicht mehr die künstlerische Form, sie
wollten sie ernstlich kaum sehen, sondern nur mehr das
Gedankensubstrat des ganz materiellen In'halts, und
diese Sünde gegen den heiligen Geist der Kunst hat
sich dann, ungerecht genug, an ihrem Gegenstande ge-
rächt. An den Kupferstichreproduktionen von Carstens’
Werken, diesen allen sinnlichen Lebens baren Umr'iß-
stichen, die Hermann Riegel herausgegeben hat, ist
Carstens zum zweiten Male gestorben.

T r o t z alles dessen aber, was Riegel und vor
ihm schon Fernow, ja auch t r o t z vielem, was Goethe
in Carstens Zeichnungen sah, nicht um dessentwillen
sind sie auch heute noch Kunstwerke. —

,,Ach, mehr als eine große, schöne Welt geht unter
in der Brust und läßt nichts zurück, und gerade der
Strom der höheren Menschen verspringt und befruchtet
nichts, wie sich hohe Wasserfälle zersplittern und schon
weit über der Erde verflattern.“ Carstens war ein
höherer Mensch nach diesem Worte Jean Pauls. Sein
phänomaler, ganz nur von e i n e m Wollen getragener
Lebenslauf bezeugt es, und nicht durch seine Kunst, die
ja kaum entstanden schon wieder in der Abgeschlossen-
heit der Weimarischen Bibliothek und der Goethischen
Mappen verschwand, sondern durch das zur Bewun-
derung hinreißende Schauspiel seines Lebens hat Car-
stens, wenn überhaupt, bezaubernd gewirkt.

Der deutsche Klassizismus ist nicht durch ihn ge-
schaffen; er wäre gekommen auch ohne ihn, weil er

eine Notwendigkeit der Epoche war, ja im Grunde war
er schon eine vollendete Tatsaohe, als Carstens nach
Rom, schon als er nach Kopenhagen und Berlin kam.
Nur den Ausdruck unerbittlicher Strenge und Männlich-
keit ihm aufzuprägen, blieb dem trotzigen Manne vor-
behalten.

Ein harter, im Zickzack verlaufener Lebensweg
lag hinter ihm, als er im Jahre 1792 achtunddreißigjährig

— im gleichen Alter also wie Goethe, aber sechs Jahre
später — mit dem Jahresgeld der Berliner Akademie
nach Rom kam. Die arme Jugend in St. Jürgen vor den
Toren Schleswigs, die Weinküperzeit nach dem vor-
zeitigen Tode der Mutter; sieben magere Jahre in Ko-
penhagen, in trotziger aber schon auch selbstbewußter
Kampfstellung gegenüber der Akademie; die ganz
abenteuerliche Malerfahrt des Jahres 1783 nach Italien,
die ihn eben nur über die Grenzen des gelobten Landes
nach Mantua und Mailand brac'hte, ihm aber dann doch
den zähen Mut zuin Ausharren stärkte durch das drei-
fache Erlebnis Giulio Romanos, Lionardos und der
Schweizernatur; dann die vielleicht trostlosesten Jahre
in Lübeck, während deren die trockenen Theorien der
Fernowschen Ästhetik nach kantischer Methode und
überschwingliche Poesien — Shakespeare, Ossian,
Klopstock, Stolberg, Gerstenberg neben Homer, den
Tragikern und Pindar — sich zu einer gefährlichen
Zündmasse mischten; endlich die Professorenjahre an
der Berliner Akademie, von vorn herein doch nur als
eine Epoche des Übergangs empfunden.

Nur Winckelmann, der Prophet des Evangeliums,
als dessen Erfüller Carstens sich fühlen mochte, hat
ein ähnliches Wunder der Ausdauer und des Beharrens
auf sich selbst vollbracht. Aber was bei Winckelmann
vielleicht mehr biegsame Geschmeidigkeit war, trägt
bei Carstens die einzige Signatur von Trotz und Stolz.

>!<

So wertvoll für den Künstler der persönliche Bei-
stand und die zweifellos aufrichtige Anteilnahme ge-
wesen sein muß, die Ludwig Fernow ihm erst während
der schweren Lübecker Jahre, später in Rom entgegen-
gebracht hat, der Verdacht ist doch nicht von der Hand
zu weisen, daß es dem starren Kantianer in dein gei-
stigen Umgang mit dem Künstler an dem feinen Takt
und der selbstlosen Zurückhaltung gefehlt habe, die
später in einem ähnlichen Verhältnis zwischen Künst-
ler und Kunstphilosophen Konrad Fiedler Hans von
Marees gegenüber bewiesen hat. Es hat gar zu sehr
den Anschein, als ob Fernow das literarische Porträt,
das er von dem Freunde entwarf, über Gebühr nach
dem eigenen Bilde gemodelt habe. Aus der Biographie
sowo'hl, wie aus dem unbedacht voreiligen, unnötig
taktlosen Aufsatz im Neuen teutschen Merkur (1795)

— der dem Maler Müller Anlaß und Stoff zu seiner bit-

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