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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

DOI issue:
1./2. Februar
DOI article:
Widmer, Johannes: Schweizer Kunstbrief
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https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0174

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[jiese Zeilen beschlagen hauptsächlich die West-
schweiz, greifen aber auch einigermaßen in die
alemannischeh Gaue über, wie denn die beiden Landes-
teile in jedem Betracht, künstlerisch ganz besonders
und von jeher, eng miteinander venvachsen sind.

Im Allgemeinen herrscht in den Kantonen östlich
von Freiburg mächtigeres plastisches Leben als in den
westlichen. Die (jenfer sind, selbst wenn sie in ihrer
Stadt als nngeberdig gelten, sanfte Knaben im Verhält-
nis zn den jungen Hernetn, Baslern nnd Ziirchern.
Sie gelien bewußt fast nur auf reines Malen aus, und
obschon dies auch für sie Selbsttäusclnmg ist, so ist
soviel wahr, daß sie vor jedem willensmäßigen Ex-
pressionismus schaudert. Wenn sie daher beschlossen
haben, in Erwägung, daß sie so oft an Ausstellungen
in den deutschsprechenden Landesteil eingeladen wer-
den, um auclr einmal ihre dortigen Kunstgenossen nach
Genf zu rufen, so darf man darauf zählen, daß sie die
Auswahl der Gäste so gut es ging im Rahmen ihrer
eigenen Art vorgenommen haben und die unvermeid-
lichen Wilden heimlich seufzend in den Kauf genom-
men haben. Beide Momente mußten eine interessante
Schau ins Leben rufen.

I)as war denn auch der Fall. Die erste ausge-
sprochen deutschschweizerische Ausstellung moderner
Malerei in welschen Landen, im Museum Rath zu Genf,
Dezember 1923, war, wenn auch nur für die paar inner-
lichen Betrachter, ein Hreignis. Aus allerlei Beobach-
tungen ging hervor, daß die eingeborenen Maler das
Fhänomen nachdenklich bedachten, sich in die Geistes-
verfassung und Seelenstimmung einzuleben suchten,
die sich da offenbarte, und sie sich aus den ihnen er-
reichbaren Vorbedingungen — der altdeutsch-alt-
schweizerischen Malerei, den Kleinmeistern des 18.
Jahrlmnderts, dem bäuerlichen, unausrottbaren Kunst-
grund der Eidgenossenschaft, dem naiven Lerntrieb,
der Gefühlskratt, der Märchenfreude — zu erklären
trachteten. Ich selber iiatte in gemeinsamen Gängen
rnit einigen ausgewählten Persönlichkeiten des kunst-
freundlichen Teiles der Gesellschaft Genfs Gelegenheit,
wahrzunehmen, wie man über eine gewisse sprudelnde
Herzlichkeit, Gemütswärme und Hrfindungslust dieser
Alemannen staunte und sich dabei vielleicht der Adam
Wolfgang und Rudolf Toepffer erinnerte, die ja auch
sc'non diesen Gharakter hatten. So daß man glauben
darf, daß diese Darbietung, so wenig beachtet sie äußer-
lich während ihrer Dauer war, dennoch nachhaltige
Wirkung tun wird.

Die hervorragendsten Bildergruppen waren die des
bernisch-klassischen Victor Surbek, des bis zum Ba-
rocken prächtigen, rnit mächtigen Kontrasten von Fi-
gur und Grund, Farbsaft und Atmosphärischem, Stand-
bildhaftigkeit und Flimmerndem wirkenden Cuno Amiet

des weiche, dichtfarbige Impressionismen wohlig in
Formen gießenden Olenin, des ungestümen, Bergchaos
schildernden Brügger, — dies alles Berner Gruppe —;
des traumhaft Großes und Mildes oder Ernstes, den
Herbst, die Hinsamkeit, die Nacht, weit, breit, mit bis
ausgebreiteter Pracht wie Samt-Teppiche ausbreiten-
den Morgenthäler; des robusten Träumers Hermann
Huber; des empfindsamen, in Bildhauernähe wallenden
Neubelebers des frommen Cinquecento, Bodmers, des
wundersamen den Mystiker Steffen und arme, müde
javanerinnen gleich tief verstehenden und seiner Kunst
tröstenden Sturzenegger — Zürich — und der bedacht-
samen, gewichtigen Meister von Basel, Barth, Pelle-
grini, Stöcklin. Noch viele andere trugen zu dem viel-
fältig harmonischen Eindruck bei: La Suisse une et
diverse, wie Gonzague de Reynold in seinem neuesten
Buche über das Schweizertum es ausdrückt. Dankes-
halber setze ich von den anderri beteiligten Malern noch
die Namen Glinz, Hügin, Stocker, Staiger, Roosch,
Marguerite Frey, und mit Nachdruck Holzmann her.

Selbstverständlich war die Zahl der Einladungen
beschränkt, und viele wertvolle Gestalter fehlten. Den-
noch, die Idee: Deutsche Scliweiz, war malerisch le-
bensvoll und treu erfüllt. Alles, was sonst erscheint,
bestätigt den Definitionsversuch. So gibt im Verlag
Ernst Bircher in Bern der dort lebende Blidhauer Karl
Hänny eine höchst persönliche Zeichnungsfolge.
„Scherze“ heraus, die mancher etwas krüde finden
wird, von denen etliche aber erschütternd traumwahre
Verhandgreiflichungen von Empfindungsqualitäten ge-
ben. So etwas ist nur in deutschen Völkern denkbar.
Zu gleicher Zeit erschien bei Ciana, Genf, ein Buch des
Berner Museumsleiters Conrad von Mandach, — der
Wölfflin’s Dürer ausgezeichnet ins Französische über-
tragen hat — über den vielbeliebten Maler und Gra-
phiker der Oberländer Landschaft und Sitte, Franz
Niklaus König (1765—1832). Ein Siebenmeilenabstand
von Hänny, soweit wie das Idyll von der Groteske
entfernt ist. Aber dieselbe Erfindungslust, dasselbe
zeichnerische Ausleben, das nämlich schweizerisch-
naive und resolute Allessagen. Dazu stimmen aucli die
Wertungen, die Hans Graber in seinen neuesten „Stu-
dien zur Kunst“ von Hodler, Amiet, Giacometti, Buch-
ser, Schiess ausspricht. (Ohne ihm durch die Bank bei-
zupflichten), er trifft den Nagel manchmal auf den
Kopf: schade, daß er auf ein Gesamturteil verzichtet.

Nebenbei ist Grabers Schrift itn „Kunstwanderer“
recht sehr betnerkenswert, enthält sie doch eindring-
liche Betrachtungen über Künstler und Kunstfreund,
über das Sammeln, über die Kritik. Der Autor
so verdienstlicher Werke wie des „Konrad Witz“,
„Piero della Francesca“, „Stäbli“, „Max Buri“ ist es
reichlich wert, weithin gehört zu werden. (Die genann-

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