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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

DOI issue:
1./2. Februar
DOI article:
Rosenhagen, Hans: Gegen die jüngste Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0177

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Jians Rofcnbagen

Im Vorwort zur demnächst erscheinenden vierten Auf-
lase des von ihm herausgegebenen „Handbuchs der
Kunstgeschichte von Adolf Rosemberg“ (Bielefeld und
Leipzig 1924, Verlag von Velhagenör Klasing) reohnet
Hans Rosenhagen in sehr energischer Weise mit der
neuesten Kunst ab. Obgleich wir mit seinen Ausführun-
gen nur zum Teil iibereinsti.mmen, scheitien sie uns doch
so bemerkenswert, daß wir unsere Leser damit bekannt
machen möchten.

|ie vorliegende vierte Auflase unterscheidet sic'h
von der vorangegangenen nur dadurch, daß der
Versuch gemacht wurde, auch die neueste Kunst in den
Kreis der Betrachtung zu ziehen und sie, soweit es mög-
lic'h ist, geschichtlich zu werten. Das Ergehnis ist nicht
besonders erfreulieh; denn Epoche in der Geschichte
machen immer nur einzelne bedeutende Persönlich-
keiten, nicht die Massen, und am allerwenigsten Moden,
die mit dem Empfinden und dem Geschmack der Völker,
die von ihnen heimgesucht werden, nichts, aber auch
gar nichts zu tun haben. Nur aus dem Zustande der
völligen Erschöpfung und daraus sich ergebender Un-
fruchtbarkeit der europäischen Kunst ist es zu erklären,
daß sie in den Bann einer Bewegung geraten konnte,
die rein orientalisehen Ursprungs ist. Was detn Publi-
kum unter den Narnen Kubismus, Futurismus und teil-
weise Expressionismus vorgelstellt wird, ist nichts
anderes als das asiatische Kunstgewerbe, wie es siclt in
Teppichen, Fayencen, Südseeerzeugnissen zeigt, iiber-
tragen auf die Form des Tafelbildes. Orientalisch sind
die lebhaften und grellen Farben, orientalisch ist die
rücksichtslose Behandlung der Naturformen und ihre
Abwandelung ins Ornamentale, orientalisch die Art, wie
die Erscheinung des Menschen karikiert wird, orienta-
lisch auch dic starke Betonunig des Geschlecht'lichen.
Was kunstgewerblich sehr reizvoll ist schon durch das
Besondere und Fremdartige, ist es darum längst noch
nicht in der Kunst der Malerei. Bilder dienen ja nicht
nur Dekorationszwecken wie etwa orientalische Tep-
piche, sollen nicht nur unbestimmte Empfindungen und
Stimtnungen erzeugen wie einzelne Farben auf physio-
logisohem Wege es tun, sondern haben schließlich die
Aufgabe, ganz bestimmte Empfindungen und Vorstellun-
gen mitzuteilen und hervorzurufen. Mit ihnen soll neben
der sinnlichen auch eine geistige Wirkung ausgeübt
werden. Läßt man diese fallen, so bedeutet das ohne
Zweifel einen Rückschritt, ein Herabsinken der Kunst
ins Handwerk. Und was 'hat die Anwendung von Mal-
farben für einen Zweck, wenn man die gleichen Wir-
kungen durch farbige Papiere oder Stoffe, die von ge-
wissen Künstlern ja auch bereits benutzt werden, zu er-
zielen sind? Es geht in der wirklichen Malerei doch
nicht um Materialwirkungen, sondern um etwas ganz
anderes, nämlich um die Erzeugung der Illusion einer
bestimmten Wirklichkeit, die aufs engste verbunden ist

mit der Empfindungsweise und der geistigen Kraft ihres
Schöpfers. Daß die Verzierung von Gegenständen des
Gebrauchs mit Farben und die im Ornament verein-
fachte Nachahmüng von Naturformen der Malerei vor-
ausging, beweist nur, daß diese eine höhere Entwick-
lungsstufe des dem Menschen eigenen Kunsttriebes vor-
stellt. Kehrt man nun zu den primitiven Kunstäußc-
rungen orientalischer Nomadenvölker zurück, so fördert
man damit niemals die Malerei als Kunst — im Gegen-
teil: Man leugnet und vernichtet die Errungenschaften
von ein paar Jahrtausenden, schafft nicht etwas Neues,
sondern zertrampelt einfach eine bewährte hoch-
stehende Kultur. Es ist bezeichnend genug, daß diese
Bewegung hauptsächlich von Russen ausgeht, von
Halbasiaten. Ihr scheinbarer Erfolg in Europa beruht
darauf, daß sie auch dem unbegabtesten Maler, ja fast
jedem Dilettanten die Möglichkeiten bietet, sich ihr an-
zuschließen und Dinge hervorzubringen, die unter nor-
rnalen Verhältnissen niemals als Erzeugnisse der Kunst,
geschweige denn der Malerei gegolten hätten, und die
den Schöpfungen eines Leonardo, Dürer, Rubens, Rem-
brandt und Velazquez so fern stehen, wie eine Ölfunzel
der Sonne. Wie Verstand ist Kunst stets nur bei weni-
gen gewesen. Etwas, was so massenhaft, so besin-
nungslos und leic'ht hervorgebracht wird wie die
, neueste Kunst“, dokumentiert damit allein schon seine
Bedeutungslosigkeit. Wcnn unter diesen Neuesten noc'h
ein Genie wäre, eine starke Individualität! Aber es ist
mit ganz wenigen Ausnahmen alles Masse, jeder gleicht
dem anderen, besonders an Oberflächlichkeit. Am
meisten wesensfremd ist die orientalische Richtung
oder Mode allerdings der deutschen Kunst; denn deren
Stärke und Originalität beruht von jeher auf ihrem inni-
gen Verhältnis zur Natur, auf ilirer Fähigkeit, die Wirk-
lichkeit beseelt wiederzugeben, ihre zartesten Äuße-
rungen liebevoll zu deuten, und nicht zuletzt an ilirem
Reichtum an Phantasie und gestaltender Kraft. Soll sie
all’ das hingeben, um ein orientalisches Ideal zu er-
reichen, mit dem das deutsche Volk nichts anzufangen
weiß, von dem seine Mehrheit sich sogar abgestoßen
fühlt? Nimmermehr! Darum muß man hoffen, daß die
,,neueste Kunst“ auf deutschem Boden Episode bleibt,
daß künftige Geschlechter nicht nötig haben, sich ernst-
haft die Frage vorzulegen; Sahen die Menschen nach
Beendigung des Weltkrieges in ■ Deutschland in der
Mehrzahl tatsächlich wie Affen aus, und war ihnen die
Natur zu einer Hieroglyphe geworden, die sie nicht
mehr zu deuten wußten? Es ist freilich die höchste
Zeit, daß der Deutsche sich wieder auf sich selbst und
seine Vergangenheit besinnt und gegen die unheim-
lichen fremden Gewalten sich wendet, die ihn seiner
kostbarsten Besitztümer — und dazu gehört nicht zu-
letzt „die heil’ge deutsche Kunst“ — berauben wollen.

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