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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

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1./2. Juniheft
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Das Kunstgewerbemuseum der Stadt Flensburg und der Vertrag von Versailles
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https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0309

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Das Kunfceiüeübemufcum det? Stadt ptensbuüg
und det? Det?tt?ag von Derfatltes

oon

lÜattei? tt. Dammann^flensbuüg

| |as schleswig - holsteimseiie Kunstdenkmälerver-
^ zeichni's von Richard Haupt ist, zurnal in An-
betracht der Zeit seiner Abfassung (1887—89), ein Werk
von anerkannten Verdiensten. Daß eine derartige Liste
überhaupt zustande kam, war schon eine große
Leistung. Sehr wertvoll sind die geschichtlichen und
heimatkundlichen Übersichten und Einzelfeststeliungen.
Höchst niitzlich für jede Folgearbeit die Zusammenfas-
sung und Fruchtbarmaciiung des älteren einschlägigen
Schrifttums. Bewundernswert die für einen ersten
Zugriff schon erstaunlich umfangreiche Archivalien-
benutzung, die besonders der Mitarbeit von Johannes
Biernatzki zu danken ist. Höchst nützlich sind die aus-
gezeiclmeten Register, die allein den 3. Band füilen.
Niemandem kann ein Vorwurf daraus gemacht wer-
den, daß die Bildausstattung heute veraltet ist. Die
kunstgeschichtiichen Bestimmungen würden heute z. T.
genauer, die Beschreibungen, besonders der Bauten,
anschaulicher ausfallen; und schiießlich würde manches
iebhäfte, aber wohl zu sehr vom damaiigen, zu diesen
Dingen noch nicht hinlängiich geschulten Zeit-
geschmack bestimmte Urteil über Kunstwerke des 18.
und des beginnenden 19. Jahrhunderts heute anders
lauten.

In diesem Werke finden sicii nun vielfach, höchst
belehrend und dankenswert, Hinweise wie:

„Kruzifixus, schön spätgotisch, verstümmelt; auf
dem Bod'en.“ — „Die schönen Nebenfiguren (des Kru-
zifixus) mit z. T. erhaltener Bemalung und Vergoldung,
sind auf dem Boden.“ — „Maria, dem Kinde einen
C.ranatapfel reichend usw. . . . Aus dem Anfang des 16.
Jahrhunderts. Liegt im Turme.“ — „Figuren des
Schreins auf dem Boden: Gott mit Christüs auf dem
Schoß. Maria, dem Kind. eine Birne gebend, stehend,
und ein Papst, angeblich Clemens. Attribut zerstört,
schön und würdig.“ — „Die Kanzeltür ist seit Kurzem
auf den Boden geworfen.“ ]) — „D-ie Nebenfiguren (des
Kruzifixus), schön spätgotisch, in reicher Kleidung,
Maria mit einem Taschentuch, vermorschen auf dem
Boden.“ — Oder die lange Liste herrlichster Bildwerke,
die I, 17 aufgezählt sind (Atzbüll): „auf dem Boden“!
usw usw. Nun liegt es in der Natur der Sache, daß
Bildwerke aus katholischer Zeit und kätholischem Ge-
dankenkreise in evangelischen Kirchen einen solchen
Grad von Unbeteiligung erlangen können, daß man sde,
wenn sie schadhaft geworden, nicht für unentbehrlich
hält. Ja, es hat Zeiten gegeben, wo man sie sogar an-
stößig fand; Verwitterung, Patina u. dergl. anstößig zu
finden, ist man in Schleswig-Holstein ohnedies sehr ge-

b Imzwischen als Brcnnholz zersägt.

neigt. Der selbstverständliche, auf der ganzen Welt,
bei allen Bekenntnissen, auch gleichmäßig anerkannte
Grundsatz der Denkmalpflege ist nun, daß derartige
Werke, wenn sie an Ort und Stelle nicht rnehr ge-
schätzt, vielleicht sogar mißliebig geworden sind —
eher natürlich nicht! — dem nächstzuständigen Muse-
um zur sachgemäßesten und würdigsten Erhaltung
überwiesen werden. Es war eins der größten Ver-
dienste Heinrich Sauermanns, daß er, den Hauptschen
Hinweisen folgend, von diesen preisgegebenen Trürn-
mern irn Lande Schleswig rettete, was zu retten war:
Kunstwerke, die ins Museum gelangt sind, „vermor-
schen“ nicht mehr „auf dem Boden“, sondern bleiben
als Gegenstände künstlerischen Genusses und ge-
schichtlicher Forschung erhalten. Gesetzlich ist die
Ortveränderung von Kunstwerken, die sich in öffent-
liichem Besitz befinden, an die Zustimmung des zustän-
digen Denkmalpflegers gebunden. Wenn es sich um
Fälle handelt, wie sie oben geschildert wurden, erfolgt
diese Zustimmung mit Vernunftnotwendigkeit. Sie er-
folgte auch auf Sauermanns Antrag in jedem Falle.
Daß Denkmalpfleger und Konsistorium damals für die
einzelnen Kirchen auf Ausstellung von „Reserven“ be-
standen, di'e den Gemeinden das Reclit jederzeitiger
Rückforderung stcherten, hatte seinen Grund in der
damaligen, jetzt längst überall als irrig aufgegebenen ")
Anschauung, man könne schadhaft gewordene llolzbild-
werke alter Zeit zum „ursprünglichen Glanze“ wieder-
herstellen, „restaurieren", wie man dä'S nannte. Wir
wissen heute, daß jede vermeintliche „Restauration“
den letzten Rest künstlerischen Reizes und zugleich
den urkundlichen Wert des Denkmals unwiederbring-
lich vernichtet. Aber der damalige Gedankengang war,
wie angedeutet: „Wird einmal die ganze Kirche wie-
der herge'stellt, darm soll das auch rnit den Holzbild-
werken geschehen, dann sollen diese im neuerstan-
denen Hause ebenfalls neu erstehen.“

Daß auch Heinrich Sauermann, der verdienstvolle
Gründer und Leiter eirrer höclrst rührigen Schnitz-
schule, die überall an die alte Landesleistung anknüpfte,
zeitweilig diesem Restaurier-Bedürfnis nachgab, darf
nicht wundernehmen; tm Gegente’il: daß er sioh sehr
bald von der Unzulässigkeit des Verfahrens über-
zeugt zu haben scheint, verrät Führereinsicht. Immer-
h'in Ibewahrt das Flensburger Kunstgewerbemuseum
eine kleine, ehemais sehr schöne Verkündigungmaria,
als Beispiel dieser kulturgesohichtlichen Verirrung, im
blitzblank auflackierten Zustande.

") Vgl. u. a. die ausgezeichnete Zusaiminenfassung: Katechis-
mus der Denkmalpflege von Max Dvoräk, Wien 1918.

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