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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

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1./2. Augustheft
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Das neue Frozzel-Ornament: Eine wehmütige Betrachtung
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Schuster, Julius: Goethe als botanischer Zeichner: zum 28. August 1924
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https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0380

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haben, mit Entschiedenheit oder — was noch gefähr-
licher ist — mit einem lächelnden Achselzucken abge-
tan. So bequem w'ie es sicli jetzt so manche unserer
Künstler machen möchten, liegen die Dinge denn doch
nicht. Wenn der Lorbeer des Kiinstlers so leicht er-
reichbar wäre, dann müßte man befiirchten, daß alle
80 Millionen Deutsche im Handmndrehen diesen außer-

ordentlichen bequemen Lebensberuf ergreifen würden.
Eine Hexerei.ist es wirklich nicht z. B. ein Bild äla Kan-
dinsky hervorzubringen, zumal dazu eine gedruckte Ge-
brauchsanweisung von etwa zwei Seiten als Vorberei-
tung vollständig geniigen wiirde. Und wenn ein Mensch
schon gar nichts anderes kann, — andere Leute zu
frozzeln ist keine Kunst.

Qoetbc als botantfcbet? Beicbnev

Eum 28. Augu(l 1924
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luttus Sd)U.{teü

Zu Goethes 175. Geburtstag (28. August) geben wir
nachstehenden fiir den ,,Kunstwanderer“ geschriebenen
Aufsatz iD.r. Julius Sohuster’s von der Preußischen Staats-
bibliothek Berlin wieder. Die ausführilche Darstellung
des von dhm gemachten Goethe-Fundes ist in dem Buche:
Goethe. Die Metamorphose der Pflanzen, mit dem Origi-
naibildwerk, herausgegeben von Dr. Julius Schuster,
Verlag W. Junk, Berlin, enthalten.

J ie Odyssee der Mühseligkeiten die vielberufene Me-
tamorphose der Pflanzen durch alle Fährlichkei-
ten hindurchzuretten, dauerte für Goethe doppelt so
lang wie die Irrfahrten des griechischen Helden. A'ber
auch der Metamorphose Ausgabe letzter Hand, des
82jährigen botanisches Vermächtnis, blieb die bildlich-
gegenständiiche Darstellung versagt, die der 41jährige
in der ersten Ausgabe verheissen hatte, damals der
Verkünder einer neuen Problematik des Themas, das
wie kein anderes von so überragendem Einfluß auf die
Theorien-Bildung in der Biologie werden sollte: das
Prinzip der lebendigen Form.

Es wäre tragisch zu nennen, wenn die Darstellun-
gen des besten Auges für die Welt, die durch Form und
Farbe erschöpft wird, verschollen wären, und Goethes
Klage, über diese Gegenstände fragmentarisch und
unzulänglich, weil bildlos, zu handeln, wäre auch die
unsere.

Glücklicherweise ist dies nicht der Fall. Goethes
botanisches Bildwerk ist jetzt in einer Vollständigkeit
gefunden und bekannt geworden, die jedem anschaulich
macht, was nicht jedem in der Natur vor Augen gestellt
werden kann.

❖ ❖

Als ich im Sommer 1922 in Weimar Studien ü’ber
Geschichte der Naturwissenschaften zur Zeit Goethes
oblag, kam mir der Gedanke nachzuforschen, weiche
naturwissenschaftlichen Bücher Goethe aus der Wei-
marer Bibliothek entliehen und bei seinen Arbeiten
benutzt hat. Dabei stieß ich auf die Eintragung: Zehn
kolorierte Handzeichnungen zur Erläuterung der Meta-
morphose der Pflanzen nach Goethe, teils nach Goethes
eigenhändigen Skizzen, teils nach Originalen aus

Goethes Sammlung, unter seiner Leitung ausgeführt
von Eduard Stark allhier, Weimar den 19. Dezember
1830.

Dieser bisher gänzlich unbemerkt gebliebene
Schatz fand sich dann auch in dem die Kupferwerke
enthaltenden Turm der Weimarer Landesbibliothek.
Nähere Prüfung ergab, daß es sich um den Atlas
aquarellierter Handzeichnungen zur Metamorphose von
1831 handelt, den Goethe in seinen hinterlassenen Auf-
zeichnungen als Großes Portefeuille bezeichnet. Dieses
Bildwerk entstand in der Zeit von Ende August bis
Ende November 1830, umfaßt in Wirklichkeit elf Tafeln
in größtem Folio und ist unter Leitung von Goethe
selbst sowie dessen Freund und Kunstwart Johann
Heinrich Meyer ausgeführt von dem Weimarer Maler
Stark dem Jüngeren.

In Weimar gab es Künstler, die der Forderung
Göethes nach tiefer Einsicht in die zarten Übergänge,
wie Gestalt in Gestalt sich bildet, entsprachen, nicht
mehr, seit der bewährte naturwissenschaftliche Zeich-
ner Waitz gestorben und der Kupferstecher Lips weg-
gezogen war. Aber der Plan eines Tafelwerks, das die
Folge der Metamorphose erläutert, verfolgte Goethe
immer wieder, und malte er auch die Pflanzen mit Wor-
ten weit lebendiger als Buffon bei den Tieren es ver-
sucht hatte, so fühlte er doch das Bedürfnis nach bild-
licher Darstellung, um die Sprache der Natur in ihren
Elementen vollkommen leserlich zu machen. In dem
jungen Eduard Stark, dessen Vater Johann Christian,
Kupferstecher und Maler am Industrie-Kontor in Wei-
mar, schon für ihn gearbeitet hatte, fand Goethe zwar
nicht einen Künstler wie Alexander v. Humboldt ihn
für sein Reisewerk an Turpin in Paris zur Seite hatte,
aber doch einen treuen Beobachter, der mit Geschiok
zu bilden wußte, was Goethe von naturwissenschaft-
lichen Abbildungen forderte: Naturwahrheit, überein-
stimmende Wirkung von Licht und Schatten, der Li-
nien- und Luftperspektive. So kam doch ein Atlas zur
Metamorphose zu Stande, dessen Bildwerk noch heute
für den Botaniker vorbildlich, für den Künstler beleh-
rend 'wirkt und beiden hohen ästhetischen Genuß bietet.

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