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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

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1./2. Oktoberheft
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Bode, Wilhelm von: Neuerwerbungen im Kaiser-Friedrich-Museum: die französische "Madonna Opopenheim" und zwei verwandte Madonnen aus Italien und Süddeutschland
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https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0046

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JHeuet’tüet’bungcta tm Katse^pctedt’tcb-N^seum

Dic fpansö(ißbe „Nadonna Oppenbßim“ und 3U3ci vevwandte Jvladonncn aus Italicn und

Süddcutfcbiand

oon

UD* ü. ßode

Unter dieser Marke wollen wir fortan regelmäßig auf
die wichtigen Erwerbungen hinweisen, durch welche die
Leiter der Sammlungen des Kaiser-Friedrich-Museums in
Berlin diese noch jetzt ständig aufs glücklichste ver-
mehren. Da sie des beklagenswerten Platzmangels
wegen meist sang- und klanglos in die Sammlungen ein-
geordnet werden (wie vor kurzem wieder das herrliche
Frühwerk von L. Cranach, das Frauenbildnis von 1503),
wird das kunstliebende Publikum viel zu wenig darauf
aufmerksam gemacht. Die Red.

I m ersten Raum der jetzt in so bedauerlichcr Weise
* überfüllten, zersplitterten und sogar zuni guten Teil
rnagazinierten Abteilung der deutschen Bildwcrke hat
an der Wand links vom Eintritt, an der Direktor Demm-
ler seine größeren neuen Erwerbungen — mangels
e'ines anderen guten Platzes — regelmäßig eine Zeit-
lang auszustellen pfl'egt, die von der Sammlung Benoit
Oppenheim erworbene bedeutende lebensgroßc bemalte
Holzstatuc der Madonna eines frahzösisclien Meisters
des 14. Jahrlhunderts vorübergehend ihren Platz ge-
funden. Sie ist hier zusammengestellt mit zwei anderen
Madonnen, die schon längere Zeit 'im Besitz unseres
Museums sind. Für diese Zusammenstellung müssen
wir dem Direktor dankbar sein, da aus dem Vergleich
sich interessante Resultate ergeben. Die große Ver-
wandtschaft der beiden Statuen zur Seite der Oppen-
heim-Madonna, einer typischen Figur der nord-
französischen Kunst etwas vor der Mitte des 14. Jahrh.,
sdheint auf den ersten Blick zu ergeben, daß sie beide
gleidhfalls französisch und abhängig von den Meister-
werken der Plastik von lle-de-France sein müssen.
Abhängig ja, sehr abhängig sogar, aber keineswegs
französisch! Wilhelm Vöge, der die schöne franzö-
sische Holzfigur in die wissenschaftlidhe Literatur ein-
geführt hat (Jahrbuch, 1908 S. 217 ff.), gibt folgende
treffende Charakteristik derselben: „Die Figur, so mit-
telalterlidh sie ist, hat einen Anflug von antiker Herr-
lichkeit, besonders das Antlitz in seiner junonischen
Fülle, den vollen, dennoch abweisenden Lippen, dem
didhten feingekrausten Lockenhäar. Das Faltenwerk,
so wenig es abzuweichen scheint vom längst Geläufi-
gen, gibt feine Spiegelungen der Stimmung. Mehr
passiv bewegt, niederhängend, — schwebcnd oder —
fallend, begleitet es jene cdle Schwermut, die in den
Zügen ist.“

Die Marmor-Madonna, die links davon steht, ist im
allgemeinen so ähnlich, daß sie Vöge für eine nordische,
flandrische, Nachbildung dcs parisischen Urtypus er-
klärt; flandrisdh auf Grund einer ganz verwandten
Madonna in der Kathedrale zu Antwerpen. Aber die
Statue stammt aus Pisa und stand dort außen an einer

Kirche, angeblioh an S. Cecilia. Wenn Vöge annimmt,
daß cin im Norden lebender Pisaner sie dort anfertigen
und nadh dem Süden verschiffen ließ, so spricht da-
gegen neben der Herkunft auch das Material: kara-
rischer Marmor. Der Pisaner Handelsherr in Ant-
werpen wird sich doch schwerHch den Marmor aus
Pisa haben kommen lassen, um in Antwerpen für Pisa
eine Statue meißeln zu lassen. Aber trotz aller Ähn-
lichkeit, ja Abhängigkeit vom französischen Urtypus,
hat diese Marmormadonna auch im Oharakter etwas
unfranzös'isches, italienisches. Die allgemeine Anord-
nung, die Haltung des Kindes auf dem linken Arm, vor
allem die gezierte Hand mit der Blume, (von der, wie
meist, nur der Stengel vorhanden ist), z. T. auch der
Faltenwurf zieigen ja eine gerade'zu gesuchte Abhängig-
keit von der französiscWen Madonna; aber sehr mar-
kante Abweichungen sind doch nicht französisch, auoh
überhaupt nicht nordisdh. Statt der majestätisch gra-
dcn Haltung, der vollen, schönen Bildung der Madonna
Oppenheim und aller älmlioher, sicher französischen Ma-
donnen der Zeit ist diese Pisaner Frauengestalt fast
schmächt'ig und beweglidh und zeigt sogar schon den
Ansatz zum Kontrapost. Statt des freundHchen, huld-
vollen Lächclns dort ist der Ausdruck hier ernst und
stumm; und während die französiscWe Madonna sidli
voll dem Beschauer, der Gcmcindc, zuwendet, wendet
die Pisanerin siöh zum Kinde. Dieses zärtliche Spiel von
Mutter und Kind ist echt itaHenisch, typisch ftir die Zeit
Giovanni Pisanos und erschcint geradezu genrehaft
ausgestaltet bei Nino Pisano. Ein Blick auf die stolze
Reilie von Madonnenstatuetten der pisaner Söhule in
unserer Sammlung, die wenige Schritte entfernt aufge-
stellt sind kann davon überzeugen. Auch sie zeigen
deutlich den Finfluß von Frankreich; die Statuette von
Giovatmi Pisano, die Venturi dem N'ino zuschreibt, so-
gar noch in dem starr herabhängenden rechten Arm,
dcr in der großen Marmormadonna aus Pisa nodh fast
getreu dem französisdWen Vorbild nadhgebildet ist.
Aber wie in der größeren Beweglichkeit und in dem
besseren Zusammenschluß zur Gruppe, so verrät sich
auch im Detail: in der Anordnung des KopftudWes, in
dem Fehlen der Krone (die bei den französischen Ma-
donnen regelmäßig aus einem Stück mit der Figur ge-
arbeitet ist, während sie bei Nino Pisano, gerade wie
bei d'ieser unserer Marmor-Madonna aus Pisa, beson-
ders in Eisen oder Silber gearbeitet und aufgesetzt war)
der italienische Künstler, selbst, wo er hier ein fran-
zösisches Vorbild nachzuahmcn suühte.

Die etwas kleinere Holzfigur, die zur Zeit an dcr
anderen Seite der Oppenheim-Madonna aufgestellt ist,
— fast völlig erhalten bis auf die Farbe, die leider ent-

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