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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

DOI Heft:
1./2. Novemberheft
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Bode, Wilhelm von: Der Kunstsammler Adolf Thiem †
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https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0073

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Herausgßber. Adolph Doncjtd

7ahrgang i Q23

1/2. NovßmDerheft

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A dolf Thiem, der Senior unter den Kunstsammlern
^ 1 Deutschlands, vielleicht der Welt, ist am 30. Sep-
tember in Stresa am Lago Maggiore im 91. Lebensjahre
gestorben. Obgleich geborener Hallenser (sein Bruder
war längere Zeit Bürgermeister in Haile) und obgleich
seit etwa zwei Jahrzehnten abwechselnd auf seiner
Vi 11 a in San Remo und in München lebend, ist er doch in
Berlin fast bis zuletzt einer der bedeutendsten und po-
pulärsten Sammlergestalten gewesen. Schon als
„Schenker“ der reichen, schönen Sammlung alter Bilder
im „Thiem-Kabinett“ des Kaiser Friedrich-Museums,
wenn es auch — wie wir sehen werden — mit der
Schenkung seine eigene Bewandtnis hatte. Sein holres
Alter, das allmähliche Erlöschen des Lebens fern von
der Heimat, die furchtbare Zeit, die wir durchleben und
die Sorge vor der furchtbareren Zukunft haben ver-
schuldet, daß sein Ableben kaum bemerkt worden ist,
am wenigsten hier in Berlin. Aber gerade wir Berliner,
soweit wir für Kunst gelebt haben, haben allen Anlaß,
dieses Mannes zu gedenken, sein Andenken für die Zu-
kunft festzuhalten. Ich selbst fühle mich besonders dazu
verpflichtet, da der Verewigte für unsere Museen, zumal
reiche Beihilfe für unsere Bestrebungen geleistet hat,
indem er uns andere GÖnner zuführte und zur Freude
an der Kunst erzog.

Thiem war von Beruf Makler, aber seine Tätigkeit
an der Berliner Börse erschien ihm keineswegs als
seine Lebensaufgabe; er überließ diese Arbeit gern
seinen Kommis und der Hilfe guter Freunde. Seine
wahre Freude war die Kunst, war das Kunstsammeln
und darüber hinaus der Genuß im besten Sinne. Adolf
Thiem war ein echter Lebenskünstler und sein unruhi-

ger Geist trieb ihn, imrner neue Lebensgenüsse zu ent-
decken und sie dann mit anderen zu genießen. Auf
seiner Villa in Niederschönweide und später in San
Remo übte er die schönste Gastfreundschaft; seine
Kegelbahn versammelte in seiner Berliner Villa vor
Jahrzehnten im Sommer jeden Sonnabend eine Reihe
von Kunstfreunden und Künstlern, an der Spitze Knaus
und Schaper. Ein mehrwöchentlicher Aufenthalt in
Gastein galt 1hm als unentbehrlich, obgleich er mit
Maß zu genießen wußte und daher verschmähte. Sein
Hauptgenuß war aber doch die Kunst oder richtiger der
Genuß der Kunst durcli Sammeln der Kunstwerke und
Musik — Bayreuth!

Wann Thiem zu sammeln begonnen hat, entzieht
sich unserer Kenntnis, ich nehme an, bald nach dem
ersten französischen Kriege, da die erste Sammlung
namhafter Gemälde hauptsächlich französische Land-
schaften von Th. Rousseau, Daubigny u. a. Meistern der
„Paysage intime“ umfaßte. Er hatte sie mit Hilfe eines
Freundes, des Malers Weber in Paris, und eines tüch-
tigen Berliner Kunsthämdlers, des „alten“ Lepke, er-
worben, und beide halfen ihm später auch beim Ver-
kauf dieser Bilder und der gleichzeitig auch von ilrm
gesammelten Gemälde von L. Knaus. Thiems Iuteresse
für Kunst erweiterte sioh ständig, dementsprechend
suchte er auch sein Sammeln zu erweitern; da aber
die Mittel nicht ausreichten, um dabei auch die alten
Erwerbungen zu behalten, so hat er mehr als einmal
ganze Teile seiner Sammlungen abgegeben, um nach
einer anderen Richtung mit noch höheren Ansprüchen
an Qualität von neuem zu beginnen. Zur Zeit des Ver-
kaufes seiner Franzosen lernte ich ihn kcnnen. Er hatte

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