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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

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1./2. Novemberheft
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Bode, Wilhelm von: Der Kunstsammler Adolf Thiem †
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https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0074

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von der Riviera, wohin er seine kranke Gattin alijähr-
lich begieitete, ein paar.alte Bilder und Majoiike.n mit-
gebracht, die er mir zu zeigen wünschte. Bei diesem
Ankauf war er genau so hineingefallen wie fast alle,
die an der Riviera oder im Oberengadin „aite Kunst“
von italienischen Händlern kauften. Die beiden Ghir-
landajo und Botticelli waren wenigstens alte Bilder,
aber die beiden Majoliken, die „herrlichsten alten Ur-
bino-Stücke“, ließen starken Zweifel aufkommen, ob
Herr Tliiem jemals ein gutes uud echtes Kunstwerk
würde schätzen und verstehen lernen. Diese „einzigen
Prachtstücke“ waren zwei Gruppen, von denen die eine
„die Entdeckung von Ameri'ka“, die andere — erinnere
ich mich recht — „die Eroberung von Mexiko“ dar-
stellte! Selbst die hohen Majolikensäulen sollten alt und
zugehörig sein. Wer hätte nach diesen Aufängen
ahnen können, daß derselbe Mann schon nach wenigen
Jahren eine gewählte Sammlung farbiger Delft-Ware
zusammenbringen würde!

Ich hatte damals den Kunsthändler Sedelmeyer in
Paris, den wir durch den gleichz'eitigen Ankauf von
drei der prächtigsten Rcmbrandts fiir uns gewonnen
hatten, bestimmt, alljährlich ein oder zweimal mit
guten alten Bildern nach Berlin zu kommen. Thiem
benutzte diese Gelegenheit in geschicktester Weise. In
wenigen Jahren brachte er die Sammlung koloristisch
ausgezeichneter Porträts und Stilleben der nieder-
ländischen Schule zusammen, die jetzt das Thiem-Kabi-
nett bei uns vereinigt. Er vermehrte diese Sammlung
noch durch die Ausnutzung von Beziehungen zu Samm-
lerkreisen, die er von seiner Villa in San Remo aus in
Genua und namentlich in Mailand anknüpfte und durch
die er eine kleine Zahl gewählter primitiver Nieder-
länder und Italiener zu erwerben verstand. Vor
zwanzig Jahren war die Sammlung so angewachsen,
daß er wieder einmal an eine Abgabe eines größeren
Teils derselben denken mußte. Es war zudem in-
zwischen auch wieder eine neue Liebe, die zum Sam-
meln alter vorderasiatischer Teppiche in ihm erwacht.
Ich hatte seit den siebziger Jahren aus dem italienischen
wie aus dem englischen Kunsthandel alte Teppiche ftir
unsere Museen wie für mich und Bekannte regelmäßig
mitgebracht. Thiem nutzte auch diese Gelegenheit und
fand solcbe Freude daran, daß er seibst nach England
ging, in den Docks erst „alte“, Bokhara, dann aber bei
einem amateur-marchand Robinson dessen k'leine, aber
sehr gewählte Sammlung alter persischer Teppiche er-
warb, zu denen er in Italien noch einige Stüoke hinzu-
kaufte. Leider hat er diese Sammlung nicht sehr lange
behalten; ein als Sammler geschickter Amerikaner
Ch. T. Jakes, dessen übler Ruf ihm von Chicago nach
New York folgte, maohte Thiem ein so hohes Gebot auf
die Sammlung, daß er sie ilnn als Ganzes verkaufte.
Damit wurde in Amerika der Auftakt gegeben zum
Sammeln von orientalischen Tepp'ichen, die dort jetzt
die große Mode sind. Mein Wunsch, diese Sammlung für
unsere Museen zu erwerben, ließ sich leider nicht ver-
wirklic'hen, da damals — vor fast 30 Jahren — das In-
teresse an Teppichen im Kunstgewerbemuseum, das zu

der Zeit allein der Platz dafür war, noch nic’ht groß ge-
nug war, um in den Preisen mit den Amerikanern kon-
kurrieren zu können. Dagegen erbot sich Thiem, die
hauptsächlichsten Gemälde seiner Sammlung unserer
Galerie zu überlassen, in der durc'h die damals gerade
erfolgende Fertigstellung des Kaiser Friedrich-Mu-
seums der Platz sich bot. Leicht waren die Unter-
handlungen freilich nicht; um das Beispiel von Dr.
James Simon nachzuahmen und die Sammlung zur Er-
öffnung des neuen Museums zu schenken, war Thiem
nicht reich genug. Er war zwar von seiner Forderung
nicht abzubringen, aber er erbot sich schließlich, die
beiden wertvolisten Bilder: das große Bildnis der
Marchesa Geronima Spinola von A. van Dyck und eine
Madonna von Hans Memling als Geschenk (über den
Kaiser) an die Galerie gelangen zu lassen. Daraufhin
einigten wir uns, und die Sammlung konnte schon bei
der Eröffnung des neuen Museums in einem besonderen
Kabinett mitgezeigt werden.

Thiem hätte in seiner Villa in San Remo so viel von
seinen Kunstschätzen zurückbehalten, daß die Räume
noch stattlich dekoriert waren. Aber, obgleich schon
ein Siebziger, ließ er doch nicht vom Sammeln, wobei
ihm die Nähe zweier an altem Kunstbesitz so reicher
Städte wie Genua und Mailand bei seiner Villa und
seinem regelmäßigen Sommeraufenthalt in München zu-
statten kamen. In wenigen Jahren hatte er wieder eine
Sammlung von Bildern, in denen umfangreicbe Meister-
werke von A. Mor, Snyders, Tintoretto, Cariani, Mo-
roni, Tiepolo u. a. in treflichen Werken vertreten waren.
Auch von ihnen wenigstens, von den besten darunter,
hat er sich noch getrennt; gewiß schweren Herzens,
aber im Gefühl seines ho'hen Alters, seiner achtzig
Jahre. Doch se'ine Zeit war noch nicht gekommen. Er
mußte den Krieg noch erleben, wurde ausgewiesen aus
seiner italienischen Villa, die er — nach dem Kriege —
als Mieter wieder hat beziehen dürfen! Der warme Pa-
triot hat sein, nur altzu langes, Leben beschließen müs-
sen ohne Aussicht auf den „Wiederaufbau“ Deutsch-
lands, von dem so viel geredet und fiir den so wenig
getan wird!

Adolf Thiem hat für das Kunstteben in Deutschland
weit größere Verdienste als die Tatsache, daß er eine
ansehnlidhe Zahl bedeutender Kunstwerke nach
Deutschland gebracht hat, von denen wenigstens eine
Reihe dauernd hier festgehalten sind. Er hat durch sein
Beispiel, durch seine Begeisterung und seine Betrieb-
samkeit — auch durch den Wechsel in seinen Sammel-
neigungen — sehr anregend für das Kunstverständnis
in Berlin und weit darüber hinaus in Deutschland ge-
wirkt; durch seine lebhafte, heitere und gewinnende
Art hat er neue Sammler angeregt, die zum Teil die
Mittel besaßen, und in ihren Erwerbungen noch über
ihn hinausgehen konnten. Jetzt, wo die Kunstsamm-
lungen Deutschlands im Privatbesitz eine nach der
anderen versohwinden, wollen wir wenigstens das Bild
ihrer Sammler selbst lebendig zu erhalten suchen; in
dieser Porträtgalerie muß das Bild von Adolf Thiem mit
obenan stehen.

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