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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

DOI Heft:
1./2. Mai
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Dresdner, Albert: Der Begründer der norwegischen Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0281

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f|er Begründer einer selbständigen norwegischen
Kunst wurde Dahl.

Johann Clausen Dahl (1788—1857), aus bäuerlichem
Blute stammend' in sehr einfachen Verhältnissen zu Ber-
gen geboren, ging daselbst bei Johann Georg Müller m
die Malerlehre. Müller hatte sich an der Kopenhagener
Akademie die Formgebung des Klassizismus angeeignet,
aber es ist bezeichnend, daß dieser Einfluß an Dahls
Persönlichkeit gleichsam spurlos abtropfte. Er
fand seinen Weg aus der Kraft seines Natur-
gefühls. Dies Naturgefühl Dahls hatte seine zeit-
geschichtlichen Wurzeln in der Rousseauschen
Naturromantik, die überall das Ursprüngliclie und
Wilde, das Erhabene und das Empfindsame in der
Landschaft suchte. Dänische Maler hatten die Ergiebig-
keit der norwegischen Landschaft, dieser „nordischen
Schweiz“, für die neue Naturanschauung entdeckt, und
es entstanden Stichrei'hen, die die Wildheit der Felsen
und Gebirge, die tobende Unbändigkeit der Wasser-
fälle, den malerischen Reichtum der Landschaftsformen
Norwegens stimmungsmäßig zu schildern suchten. Die-
ses romar.tischen Geistes Kind war der Bergenser
Malergeselle. Er kannte die norwegischen Landschafts-
stiche, aber als Sohn der norwegischen Erde stand er
der heimatliehen Natur mit unvergleichlich tieferer Ver-
trautheit und stärkerer Erlebniskraft gegenüber als
fremde Besucher. Als er 1811 durch die Unterstützung
woblgesinnter Förderer instandgesetzt wurde die Aka-
demie in Kopenhagen zu beziehen, kannte er noch kein
höheres Ziel als sich zum tüchtigen Dekoratlonsmaler
auszubilden. Erst hier ging ihm die Wclt der Kunst
und die Möglichkeiten auf, die sie über das Handwerk-
liche hinaus bot, und er begann sich an den alten Hol-
ländern und an den Werken der von Eckersberg be-
gründeten, frisch aufblühenden dänischen Malerschule
in die Landschaftsmalerei einzuarbeiten. Als er 1818
Kopenhagen verließ, plante er eine große Auslands-
reise, deren erste Station Dresden sein sollte. Es wurde
sein Lebensziel. Was ihn dort festhielt, war die Persön-
lichkeit und die Kunst Kaspar David Friedrichs, in der
er sein bisher ihm wohl nur ahnungsweise vorschwe-
bendes Ideal verwirklicht fand: eine Erfassung und
Darstellung der Natur durch das Medium tiefpersön-
liohen Erlebens. Friedrichs Einfluß auf Dahl ist in
Motivenwahl und Auffassung oft und lange greifbar,
aber schließlich war der Norweger doch von so kräf-

*) Dieser Aufeatz bildet einen Abschnitt aius dem Buchc
„Schwedische u n d norwegdsche K u n s t seit der
Kenaissance“ von Albert Dresdner, das, reich mit Ab-
bildungen ausgestattet, deimnächst bei Ferd. Hirt und Sohn in
Bresliau in der Reihe „Jedernnanns Büchered“ erscheint (Preis:
M. 2,50). Es ist dies die erste zusammenfassende Darstellung der
neueren Kunst der beiden 'skandinavischen Vöiker in der deut-
schen Kunstliteratur.

tigem Eigenwuchse, daß die Individualität seines Ta-
lentes sich immer freier entfalten und er sich einen
eigenen und gleichberechtigten Platz neben Friedrich
erringen konnte. Sein Seelenleben, seine Phantasie,
überhaupt die Dichternatur in ihm war weniger mächtig
und glühend als Friedrichs; es war nüchterner, sach-
licher, er empfand die Natur körperhafter als jener, und
er war ihm und allen Zeitgenossen überlegen in dem
Gefühle für das mächtige, in sich ruhende, allem Men-
schenwerk und Menschenwesen fremde Leben einer
Urnatur. Das war sein norwegisches Erbe, das er mit
Festigkeit wahrte, und als er 1820—21 auf Einladung
des Priuzen C'hristian Friedrich von Dänemark in
Italien weilte, da hielt er, wie Schnorr von Carolsfeld
bezeugt, auclt dort „eigensinnig an seiner nordischen
Richtung fest". So liegt es im natürlichen Sinne seines
Lebensganges, daß er in den vollen Besitz seiner
Kunstmittel erst daun kam, als er sich aus dem Um-
gange mit seiner Heimat neu befruchten konnte. Das
geschah auf den fünf Reisen, die er in den Jahren
1826—1850 nach Norwegen unternahm und von denen
er mit reichgesättigter Anschauung zurückkehrte. Die
Gefahr, mit der er immer zu kämpfen gehabt hat, war
die sich zu sehr an die Fülle der mit feinster Liebe
beobachteten Hinzelheiten zu verlieren; seine Entwick-
lung zeigt, daß er diese Gefahr erkannt und mit be-
harrlichem Bemühen nach großer Ordnung der Massen
und geschlossener Gesamtwirkung gestrebt hat, und
schließlich steht die Sache so, daß in seinen gelun-
gensten Arbeiten, zuerst in kleineren, wie dem „Saeter-
idyll“ von 1827, späterhin auch in größeren Komposi-
tionen, wie dem „Hellefoss“ (1838) und „Fortundalen“
(1842), die strömende Fülle seines Naturerlebnisses
tiber die Gefahr der Formzersplittrung triumphiert und
vor allem durch kraftvolle Raumgestaltung und Licht-
fü'hrung die Emzelformen in den Bildrythmus ein-
schmilzt. Dahl ist der erste gewesen, der das Antlitz
der norwegischen Erde künstlerisch sichtbar gemacht
hat. Seine Motive schöpfte er aus der ihm vorzugs-
weise vertrauten Landschaft Westnorwegens, von
ihren heiteren Talbreiten bis zu den Wildnissen des
Hochgebirgs- Die Haltung seiner Kunst ist männlich'
ernst und selbst herb. Er sah die Natur nicht als er-
starrtes Bild, sondern als bewegten Vorgang; das lädt
seine Bilder mit einer inneren dramatischen Spannung.
Schwere unruhige Himmel drücken auf die Landschaft,
das Licht rührt die Formen auf und spannt sie wieder
zusammen, mit elementarer Kraft tobt der Wildbach
gegen die Felsen, mit unwiderstehlicher Masse quilt
der Gletscher aus dem Bergesschoße. In allem bewährt
sich ein starkes Gefühl für das Organische der Natur-
erscheinungen; seine Berge, seine Bäume sind ge-
wachsene, im Kampfe der Elemente gestaltete Gebilde,
und so kann man auch wohl die Stimmungen seiner

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