Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

DOI Heft:
1./2. Juniheft
DOI Artikel:
Widmer, Johannes: Schweizer Kunstfrühling 1924
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0315

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
einem Bil'de just dasÜbermodische schätzt, welches aber
verloren geht, wenn man sich einem Schlagwort ver-
schreibt. iVlan findet wieder eine Reihe fühlbar schwei-
zerischer Werke oder doch solche, wo das Schweize-
rische durch die dünne Schale des Zeitgemäßen durcli-
scheint. So ist über Felix Appenzeller’s (Genf)
„Haus an der Sonne“ und „Mädchen“ ein Schleier, recht
e'igentlich ein Schleier französischer Malart ausge-
breitet, aber das Ernsthafte, Sachlich-Empfindungsvolle
der Komposition und der Stinnnung, das Stammhafte
und Persönliche darunter ist mit Händen zu greifen.
Die Landschaft ist ein Höhepunkt des Turnus. Sehr
eigenartig, trotz allem von alten Sympathien nach Paris
Zuriickgebliebenen, ist die „Orientalin“ (Studie) von
Auberjonois, der eines Tages aus seinem dunkcl
ans europäische Licht treten wird. Stark von der pari-
ser Atmosphäre eingenommen ist William Martin
C o u v e t ; aber seine der Appenzeller’s ähnliche Sach-
lichkeit, — die bei beiden m'it Delikatesse und einer
mürben, reifen Farbigkeit gepaart ist, welche dort zu
schönemi Grau, hier zu bedeutsamem Gelbbraun neigt,—
diese seine Sachlicbke'it. welche unaufdringlich Archi-
tektur ins Bild bringt, ist durch und durch heimisch
und individuell. Auf andere Weise wirkt Ernst G e i -
ger subalpin und helvetisch; in ihm sind impressioni-
stische Re'infarbigkeit und traditionell schweizerische
Formlust — man braucht durchaus nic'ht nur an Hodler
zu denken, Hodler hat diesen Zug nur am stärksten ent-
wickelt, doch schon die Malergraphiker von 1750 bis
1850 haben i'hn fast alle — auf inn'igste eins geworden.
So verschieden sie sind, hat sich doch bei H o I z -
m a n n , Hermann Huber, Mairet, selbst bei Eu-
gene M a r t i n und Louis de M e u r o n , wiederum bei
Morgenthaler, Ruegg (hier ist nicht das heu-
tige Paris, sondern das prärafaelitische und auch wohl
frühbarocke Italien welsche Anziehungskraft), Stur-
z e n e g g e r , V a 11 e t u. a. überall ein ähnlicher
Verselbständigungsprozeß eingestellt. — Aucli bei den
Bildhauern ist ähnliches zu beobachten. (Von den viel-
genannten H a 11 e r , Hubacher, Hünerwadel,
V i b e r t nichts zu sagen, beschränke ich mich hier
auf die Nennung einiger außer den Landesgrenzen noch
wenig bekannten Narnen: Frutschi, Scbeuer-
mann, Schwerzmann, K ö n i g. Der im
Salon Wolfsberg (Zürich) ausgestellt hat, V a 11 e t,
ist eine wesentliche Kraft der kunstlerischen Schweiz.
Obgleich er der Herkunft nach Franzose, aus den Alpen
der Dauphine, ist, wuclis er docli in C.enf auf, war
des Graphikers Martin Schüler und des Hodler der Zeit

von „Marignano“ einsichtiger Beobachter und Verehrer
und steht geistig und dem Gemüt nach den Deutschen
um Dürer nah. In bewundernswerter Weise hat er
seine Erkenntnisse und Erfahrungen miteinander ver-
glichen, einander angeglic'hen und wie wenige den
seinem ernsten Gegenstand — Land und Leute des
Wall'is — und seincm schweren Stil — seelisch neigt er
manchmal einer frcilich mannhaften Anachoretik zu —
angemessenen Wcg gefunden. In Genf hat der Salon
W y a 11 seine Räurne erweitert und mit Werken
Hodler’s, Rheiner’s und Forestier’s ge-
füllt. Im April hatten die Maler und Bildhauer der Stadt
das Museum R a th beansprucht. Im Mai gab es irn
Athenäum eine Ausstellung des Malers A1 e x a n -
d r e P e r r i e r : das ist zum guten Scbluß wieder
ein Name, der berufen ist, ins Ausland zu drin-
gen. Sein Träger ist um die Sechzig, unabhängig, zu-
rückgezogen. Seine Landschaften sind Kristallisatio-
nen von Berg und See.

Nun noch eine offizielle Meldung: die neueingerich-
tete Kupferstichsam m 1 u n g der E i d g e -
nössischen Technischen Hochschule,
die im Verlauf von fünf jahrzebnten zu elnem reichen
Schatz allgemeiner und schweizerischer Graphik ge-
worden ist, wird soeben aufgetan, und im selben Zürich
ist es der Kunstgesellschaft durch das Zusammenwir-
ken von Privaten und Behörden ermöglicht worden,
ihrem stets wachsenden Besitz neue Säle zu bereiten.
Inzwischen ist es Mai geworden, und die Werke Alexan-
der P e r r i e r ’ s sind ausgestellt. „Visions de Laes
et de Montagnes“ ist die Gruppe benannt, die man, so
wie sie ist, möchte durch die Welt wandern sehn. Eine
so lautere, erhaben freundliche, mild großartige, un-
irdische und doch malerische, phantasievolle klare
Landschaftskunst ist eine Offenbarung und Erquickung.
So möchte man einen Tempel heitern, zarten Glaubens
geschmückt sehen.

Im selben Hause, dem genfer Athenäum findet man
eine Wand voll Gemälde von Abram H e r m e n j a t.
Der reinste Maler wdhl, den wir in der Schweiz haben.
Als menschlicher, dichterischer Typus nicht so einzig-
artig wie Perrier, der ein Seher ist, sieht Hermenjat das
Nahe, farbig Reiclie, Würzige, Sprühende und ordnet es
zu Bildnissen, Blumenstücken, Stilleben und Land-
sc'haften, die Maestria und Meisterschaft zugleich be-
deuten, Schwung und seelische Tiefe haben. Die jungen
Künstler zieht er an wie reife, überreife Pflaumen die
Wespen. Sie haben Mühe Perrier zu verstehn. Doch
es ist gut, daß beide Meister unser sind. '

281
 
Annotationen